Food-Tipp

Berliner Küche neu gedacht: Das Restaurant Einsunternull ist wieder eine Nummer

Ins Einsunternull in Berlin-Mitte sollte man wieder gehen. Warum? Weil die Küche jetzt Silvio Pfeufer übernommen hat, ein echter Berliner Koch aus Lichtenberg.

Zander: In Butter angebraten mit Knoblauch, Thymian und Lorbeer auf dem Zander (Salat von Estragon, Petersilie und Imperial Kaviar) nebendran
Zander: In Butter angebraten mit Knoblauch, Thymian und Lorbeer auf dem Zander (Salat von Estragon, Petersilie und Imperial Kaviar) nebendraneinsunternull

Champignonbrot – das ist es, was mir von meinem letzten Besuch im Einsunternull in Erinnerung geblieben ist. Hauchdünn aufgefächerte Pilze mit ein wenig nichts. Begleitet wurde das Ganze von einer extremen Weinbegleitung, und zwar extrem für jemanden, der sich auf dem Feld Naturwein schon recht weit vorgewagt hat.

Fünf Jahre später ist alles anders. Die Küchenleitung hat jetzt der 32-jährige Silvio Pfeufer inne, ein gebürtiger Lichtenberger, der nach Stationen auf Sylt und in dem Münchner Drei-Sterne-Restaurant Atelier wieder in seine Berliner Heimat zurückgekehrt ist. Und anders als seinem Vorgänger Andreas Rieger ist dem Metzgerenkel an Wohlgeschmack gelegen, daran, dass Gäste nicht verstört, sondern beglückt das Restaurant verlassen.

Seinen Namen verdankt das zwischen Friedrichstraße und Naturkundemuseum gelegene Einsunternull der Tatsache, dass sich alles in der unteren Etage abspielt. Wer im gläsernen Aufzug den Minus-1-Knopf drückt, entflieht dem Wahnsinn der Stadt. Das hat schon was. An einem Dienstagabend ist rund die Hälfte der Tische besetzt, fast ausschließlich mit ausländischem Publikum.

Touristen die Berliner Küche näherbringen, geht das?

Und das ist auch so gewollt, denn nicht zuletzt diesem möchte Pfeufer, so liest man, die Berliner Küche nahebringen. Mir hat das überwiegend sehr gut gefallen, auch wenn eine radikal-unverwechselbare Handschrift fehlt. Bis auf den Haupt- und einen Zwischengang spielte Fisch die Hauptrolle, den das Einsunternull entweder von der Brandenburger Farm 25 Teiche oder dem Berliner Importeur Fish Klub bezieht.

Am Gaumen schmelzend war der kurz gebeizte Saibling, serviert mit Grünzeug eines gewissen Bauer Peter, mit dem das Restaurant eng zusammenarbeitet, und einer tiefgründigen Creme aus fermentiertem Knoblauch, die ich gerne glasweise hätte. Nur die frittierten Fischschuppen hätte es nicht gebraucht. Das ist aber ein persönliches Ding. Fantastisch auch der Müritz-Zander mit dem trendigen Salicorn, auch bekannt als Queller oder Meeresspargel, Rumrosinen, himmlischem Langostino-Tatar und komplexem Bouillabaisse-Sud. Ein Biss auf die millimeterkleinen pochierten Austernstücke spülte die volle Ladung Atlantik in den Mund – nur, again, bitte ohne Fischschuppen.

Bouillabaisse
Bouillabaisseeinsunternull

Das gebeizte Ei mit dreierlei Champignons sah hübsch aus mit seiner Blumendeko, wobei der Ring aus gehobelten Röstkartoffeln eher an einen Netflix-Snack als an Hochküche erinnerte. Der Veggie-Hauptgang – Rondini-Zucchini mit Pfifferlingen, Morchelvinaigrette und Sumach – konnte das hohe Level der vorangegangen (Fisch-)Gänge nicht ganz halten, was aber nicht an der aromensatten Jus lag, sondern am fehlenden Pepp der Zucchini.

Mit Madeleines im Mund den Himmel über Berlin genießen

Mit am komplexesten war das Dessert, bestehend aus einer Mini-Rhabarber-Tartelette mit Buchweizencreme, Fichtensprossen, Shisoblättern, Douglasiengel und und und. Der Berlinbezug tauchte dann noch mal bei den Petit Fours auf, in Form einer Mini-Nachbildung der East Side Gallery, die als Tablett für eine leider zu süße Praline diente. Den Himmel über Berlin habe ich hingegen beim Hineinbeißen in die ofenwarmen Madeleines mit Vanillerahm und Estragonöl gesehen.

Abgerundet wurde all das nicht von schrägem Naturwein, sondern einer naturnahen, komplett selbstgemachten alkoholfreien Begleitung. Anna-Patricia Schilling sammelt und braut und baut Geschmacksbilder, als ginge es um ihr Leben, und diese Leidenschaft transportiert sich ins Glas. Das Erdbeer-Acqua-Fresca mit Zitronenverbene und die Grapefruit-Fliederlimonade würde ich am liebsten den ganzen Sommer hindurch trinken.

Der zum Hauptgang servierte Holunderbeeren-Lavendel-Kombucha ist mit seinen Syrah-ähnlichen Bittertönen zwar etwas für Fortgeschrittene, aber sehr gelungen; lediglich beim Rhabarberauszug mit geröstetem Buchweizen irritierte mich der Geruch so sehr, dass ich den Geschmack nicht wirklich genießen konnte.

Gutes Arbeitsklima trotz Personalmangel

Ganz zum Schluss wurde ein Lebensproblem gelöst: Der koffeinfreie Espresso von Five Elephant schmeckt, im Gegensatz zu den meisten anderen, wirklich nach Kaffee. Der durchweg junge, selbstbewusst-freundliche Service ließ vergessen, dass gerade überall Personalmangel herrscht; überhaupt scheint das Arbeitsklima hier für alle ein angenehmes zu sein. Kein Wunder, schließlich wird das Einsunternull die während der Pandemie eingeführte Vier-Tage-Woche beibehalten.

Aus einem verkopften Geschmacksexperiment (Champignonbrot!) ist ein Ort geworden, an dem man unter Tage eine komplexe, aber nie überladene Küche genießen kann, mit Produkten aus der Region minus Regionalitätsdogma. Herrliches Kartoffelsauerteigbrot gibt es auch, von Champignons keine Spur.

Bewertung: 5 von 5 Punkten.

Einsunternull, Hannoversche Str. 1, 10115 Berlin, geöffnet Freitag–Montag 19–23 Uhr.


Hinweis: Wir lassen uns bei unseren Restauranttests nie einladen und geben uns nicht als Tester zu erkennen. Haben Sie Fragen, Ideen oder Wünsche für Geschichten oder einen Restauranttipp für uns? Dann schreiben Sie unserem Food-Chef Jesko zu Dohna auf Instagram oder per Email: briefe@berliner-zeitung.de