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Experte zum Trend- und Food-Thema Gewürze: „Senfkörner sind völlig unterschätzt“

Der Koch und Kochbuchautor Heiko Antoniewicz über die Kraft der Aromen, die Vielfalt im Gewürzregal und wieso man dringend einen Mörser zu Hause haben sollte. Ein Interview.

Vielfalt der Aromen: In Berlins türkischen und asiatischen Supermärkten ist die Auswahl an Gewürzen unglaublich groß.
Vielfalt der Aromen: In Berlins türkischen und asiatischen Supermärkten ist die Auswahl an Gewürzen unglaublich groß.Roshanak Amini für die Berliner Zeitung am Wochenende

Gewürze sind ein wichtiges Food-Thema – und das nicht nur in der Gegenwart. Früher wurden Gewürze wie Gold gehandelt und hatten einen hohen Stellenwert, nicht nur in der Küche. In Deutschland machten zwar lange Zeit fertig bestückte Gewürzboards den Trend zum Mittelmaß, aber inzwischen sind die Aromen wieder vielfältiger, das Wissen ist größer geworden. Auch in den Supermarktregalen ist es zu beobachten: Die Gewürzvielfalt im Sortiment wächst.

Eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr zeigte, dass die Deutschen mehrheitlich nicht nur mit Salz und Pfeffer würzen, sondern auch andere Solo-Gewürze nutzen. 52 Prozent aller Befragten verwenden demnach zusätzlich Gewürzmischungen, um Speisen zu verfeinern. Nur sechs Prozent gaben an, sie würzten in der Tat nur mit Salz und Pfeffer beziehungsweise gar nicht.

Allen anderen könnte das neue Buch gefallen, das der Koch und Kochbuchautor Heiko Antoniewicz gerade auf den Markt gebracht hat. „Ohne Gewürze wäre alles Essen blass“, heißt es darin. In „Gewürze – Das Kochbuch“ liefert Antoniewicz über 70 Rezepte von bodenständig bis exquisit und führt in die Welt der Gewürze und deren Bedeutung beim Kochen ein. Wir hatten auch ein paar Fragen an den Würz-Experten.

Herr Antoniewicz, Sie haben Ihr jüngstes Kochbuch ganz den Gewürzen gewidmet. Wie kam es dazu?

Ich habe mich schon in jungen Jahren sehr für Gewürze interessiert. Angefangen hat das in Urlauben in Nordafrika: Wenn man auf tunesischen Märkten diese ganzen Gewürze aufgereiht sieht, die Farben und den Duft wahrnimmt, das fand ich unglaublich betörend. Später, als junger Koch, war ich in vielen anderen Ländern unterwegs, und spätestens auf den malaysischen Nachtmärkten war es um mich geschehen. Malaysia ist ja ein Vielvölkerstaat, ein Schmelztiegel der Kulturen. Auf den Märkten und in den Küchen merkt man das: Die Gerichte sind sehr authentisch, stark chinesisch und indisch geprägt, dazu kommen die Einflüsse der traditionellen Malaienküche – und eben auch die entsprechenden Gewürze. Dort habe ich das erste Mal schwarzen Kardamom entdeckt, der so groß ist wie eine Muskatnuss, über offenem Feuer getrocknet wird und ganz anders schmeckt als der grüne Kardamom, den wir hier so kennen …

… und den ja viele nicht so gern mögen.

Genau, weil er ihnen zu seifig und zu intensiv schmeckt. Der schwarze Kardamom ist herber und rauchiger im Geschmack, ich verwende ihn gern als Kaffeegewürz. Dazu Kardamom, Cayennepfeffer, Zimtblüten und getrocknete Ingwerwurzel fein mörsern und entweder ins Kaffeemehl geben oder den Milchschaum damit aufschlagen. Wunderbar! Ich sage immer: Zum Würzen gehören ein Stück Mut und auf der anderen Seite Feingefühl. Dann kann man in der Küche viele tolle Überraschungen erleben.

Eine wahre Freude: einkaufen auf tunesischen Gewürzmärkten.
Eine wahre Freude: einkaufen auf tunesischen Gewürzmärkten.imago/agefotostock

Aus der Jugend kennen viele noch diese fertig bestückten Gewürzregale, in denen die Standards in Gläsern aufgereiht waren. Wie viele Gewürze umfasst Ihr heimisches Repertoire?

Zu Hause habe ich um die 20 Gewürze, in meiner Profiküche über 180. Dass man so viele Gewürze einsetzt, hängt damit zusammen, dass das Wissen und die Verarbeitung heute auf einem ganz anderen Level sind. Das hat sich erst in den letzten Jahren geändert. Seit man unbegrenzt reisen kann, seit es das Internet gibt, ist auch die Gastronomie vielfältiger geworden. Früher gab es doch kaum vietnamesische Restaurants in Deutschland; dass man zum Inder geht, ist auch erst seit den 80er-Jahren verbreitet. Vorher waren der Italiener oder ein jugoslawisches Restaurant schon das Nonplusultra. Das ist gewachsen, heute gibt es bei uns im Ruhrgebiet und natürlich auch in Berlin kaum eine Länderküche, die nicht vertreten ist. Damit haben die Deutschen auch exotische Gewürze besser kennengelernt – und nicht nur die Standards wie Pfeffer, Kümmel, Paprika und Muskat.

Haben Sie ein Lieblingsgewürz?

Den schon erwähnten schwarzen Kardamom. Weil ich den sehr vielschichtig einsetzen kann. Wie beim grünen Kardamom wird einfach nur die Kapsel mit dem Handrücken aufgebrochen, dann kann man sie im Reis mitkochen, gerieben lässt sich damit toll die Backkartoffel würzen, aber auch Fleischgerichten verleiht schwarzer Kardamom ein intensives Aroma. Ich liebe ihn in Ragouts und koche auch meine Salzkartoffeln damit. Das gibt ein ganz tolles Geschmacksbild. Kaufen kann man die Kapselfrüchte aus der Familie der Ingwergewürze in Asiamärkten oder im Internet.

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DK Verlag/Vivi D'Angelo
Zur Person
Heiko Antoniewicz ist 57 Jahre alt und lebt in der Nähe von Dortmund. Der gelernte Koch arbeitet mittlerweile als selbständiger Berater und unterstützt Unternehmen und Köche in den Bereichen Molekularküche, Geschmacksschulung und Produktentwicklung. In seinen Büchern widmet er sich der Welt der Aromen und Gewürze, sein Fachwissen bereitet er mit kreativen Rezepten für Hobbyköche auf. Sein erstes Buch „Fingerfood – Die Krönung der kulinarischen Kunst“ wurde gleich mit dem World Cookbook Award als „Innovativstes Kochbuch der Welt“ ausgezeichnet.

Auch in Berlin ist Heiko Antoniewicz immer wieder tätig, besucht die hiesigen Food-Festivals und greift Start-ups wie dem veganen Lieferdient Good 'n' Vegan mit seiner Expertise unter die Arme.

Sein neuer Band „Gewürze – Das Kochbuch“ ist im DK Verlag erschienen (240 Seiten, 34,95 Euro).

Wenn Sie nur noch drei Gewürze nutzen dürften, welche wären das?

Zunächst einmal muss ich das Salz ausnehmen: Salzen ist nicht würzen, auch wenn viele sofort diese Assoziation haben. Aber Salz ist nun mal kein Gewürz und auch kein pflanzliches Produkt, sondern ein Mineral. Für Gewürze zählen nur Blüten, Früchte, Knospen, Samen, Rinden, Wurzeln und Zwiebeln. Aber zur Frage: Wichtig ist es, alle Geschmacksrichtungen einzubeziehen, also süß, sauer, salzig, bitter und Umami. Ich verwende Sternanis sehr gern, zum Beispiel um meinen Reis damit zu würzen oder in Fischeintöpfen. Dann natürlich schwarzen Kardamom; und ich würde noch Vadouvan nennen, eine indische Mischung aus fermentierten Gemüsen und Gewürzen – eine echte Rarität, mit der man den Umami-Geschmack gut akzentuieren kann.

Schwarzer Kardamom: das Lieblingsgewürz unseres Gesprächspartners.
Schwarzer Kardamom: das Lieblingsgewürz unseres Gesprächspartners.imago images

Nun sind drei Gewürze natürlich viel zu knapp, aber damit man nicht den Überblick verliert: Welche Grundausstattung sollte jeder in der Küche haben?

Ich bin ein sehr großer Freund davon, am heimischen Herd jede Länderküche mal zu streifen. Also sollte Ras el-Hanout nicht fehlen, das viele orientalische Gerichte und Rezepte aus der Levante-Küche bereichert. Ich mag auch Harissa sehr, eine Gewürzpaste aus der arabischen und türkischen Küche. Kümmel ist wichtig, und Paprika – da mag ich die geräucherte Variante am liebsten. Völlig unterschätzt sind meiner Meinung nach Senfkörner. Man kann sie karamellisieren fürs Kompott oder sie in indische Kohlsalate einarbeiten, das gibt einen schönen Biss, wenn man auf die Körner beißt. Sie können mal mehr, mal weniger scharf sein, je nach Sorte auch süß schmecken.

Worauf sollte man beim Gewürzkauf achten – und wo kann man in Berlin gute Ware bekommen?

Auch da würde ich nach den ländertypischen Gepflogenheiten gehen und jeweils Händler aufsuchen, die aus der Region stammen. In Berlin gibt es viele türkische und arabische Lebensmittelhändler, bei denen man zum Beispiel Baharat und Harissa finden kann. In Asia-Märkten ist die Auswahl an Gewürzen riesig, oft für kleines Geld. Ich achte immer darauf, dass die Mischungen eine gute Farblichkeit haben und rieche auch an den Tüten. Generell kaufe ich keine offenen Gewürze, wie sie manchmal auf Wochenmärkten angeboten werden. Wir setzen in Europa die Gewürze ja nicht so ein wie in Marokko oder Tunesien, wo sie einen schnelleren Umschlag haben. Hier würden die Gewürze schnell leiden, die Aromastoffe verfliegen. Da ich viele Mischungen selbst herstelle, achte ich auch auf intakte Kapseln und Früchte – und natürlich braucht man einen guten Mörser.

Was macht einen guten Mörser aus?

Er muss innen leicht aufgeraut sein, keine glatte Beschichtung bitte, damit auch harte Zutaten gut zerstoßen werden können. Ich kaufe meine Mörser im Apothekerbedarf, dort sind sie am besten. Gewürze zu mörsern, ist zwar mühselig, aber ich würde das einer Mühle oder elektrischen Gerätschaften immer vorziehen, weil die Gewürze so nicht warm werden.

Man könnte auch die fertigen Gewürzmischungen kaufen. Etliche TV-Köche haben sich damit eine goldene Nase verdient.

Es ist natürlich günstiger, wenn man die Mischung selbst herstellt – und dann kann man auch nach persönlichem Geschmack individuell akzentuieren. Letztlich hat es viel mit Leidenschaft und Passion zu tun, wie ich einkaufe und wie ich mit Gewürzen umgehe. Man muss probieren, experimentieren und am Ende seinem eigenen Geschmack folgen.

Ein Rezept aus dem Buch: Der Salat mit süßem Knoblauch bekommt durch Rauchpaprikapulver eine besondere Note.
Ein Rezept aus dem Buch: Der Salat mit süßem Knoblauch bekommt durch Rauchpaprikapulver eine besondere Note.DK Verlag/Vivi D'Angelo

Apropos Geschmack: Wenn Gewürze schnell leiden, ist es vermutlich nicht sehr clever, sie in Plastiktüten zu lagern?

Ich würde sie immer in dunkle Gläser oder Dosen umfüllen, damit sie lichtgeschützt sind. In meinen Küchen verwende ich Violettglas, das keine UV-Strahlung durchlässt. Dadurch bleiben Farbe und Aroma deutlich besser erhalten. Gewürze sollten nicht warm stehen, also auch nicht direkt über dem Herd. Sie sollten nie direkter Hitze oder Sonne ausgesetzt sein. Der beste Lagerort wäre die Speisekammer, wenn man denn eine hat.

Gibt es einen Kardinalfehler bei der Verwendung von Gewürzen, der Ihnen immer wieder begegnet?

So würde ich es nicht bezeichnen. Aber ich würde immer den Tipp geben, Gewürze wie Paprikapulver, Sternanis, Kreuzkümmel oder Koriander zunächst in einer Pfanne ohne Fett kurz anzurösten und sie dann erst zum Gemüse oder Fleisch zu geben. Currys röstet man vorab in etwas Fett an. So kommen die Aromen besser zur Geltung und man braucht weniger. Pfeffern erst später, sonst verbrennt es. Und salzen auch erst später, damit das Gericht besser dünsten oder dämpfen kann und das Salz nicht zu viel Wasser entzieht.

Einer der Lieblinge von Heiko Antoniewicz: Kürbis mit Walnussköfte. Das Gericht wird mit Dukkah abgeschmeckt.
Einer der Lieblinge von Heiko Antoniewicz: Kürbis mit Walnussköfte. Das Gericht wird mit Dukkah abgeschmeckt.DK Verlag/Vivi D'Angelo

Sie schreiben in Ihrem Buch, seit Sie sich von einigen Regeln der traditionellen Kochschule, wie sie in der Ausbildung vermittelt werden, verabschiedet haben, merken Sie immer wieder, wie Sie an Grenzen der dort verwendeten Begriffe, Definitionen und Techniken stoßen. Was meinen Sie damit? Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Wir haben früher beim Würzen zuallererst ans Salzen gedacht. Wenn wir heute über Zimt- oder Birkenrinde sprechen, dann klingt das komisch und weicht von den traditionellen Pfaden ab. Andere Kulturen aber setzen das ganz selbstverständlich ein. Auch Zitronenschale ist entgegen der herkömmlichen Meinung in der klassischen Ausbildung ein Gewürz, sie hat einen eigenen Charakter und ist hocharomatisch.

Im Buch haben Sie 75 Rezepte versammelt, gruppiert nach sinnlichen Erlebnissen wie dem Waldbaden oder der Hitze der Nacht. Welches Gericht liegt Ihnen besonders am Herzen?

Das fällt mir schwer zu sagen, schließlich habe ich alle gekocht und in mein Herz geschlossen. Aber die Walnussköfte mit Kürbis sind schon sehr besonders. Dafür arbeite ich mit Dukkah, einem ägyptischen Gewürz, das mich seinerzeit total überrascht hat. Es ist eine Mischung aus Sesam, Kichererbsen, Koriandersamen, Kreuzkümmel, schwarzem Pfeffer, Thymian und Minze, die typisch für die Küche des Nahen Ostens ist. Je nach Region oder Familienüberlieferung enthält Dukkah noch Nüsse oder weitere Kräuter. Als Dip zu Brot oder über Gemüse gestreut, ist es ein Klassiker. Für mich gehört es auf Fisch oder Hühnerbrust, Sous-vide-gegart, weil Dukkah dafür genau die richtige Leichtigkeit hat und gleichzeitig geschmackliche Tiefe gibt.