Berlin-Zum Jahresende will man auch mal etwas anderes hören als immer nur Corona, Corona, Corona. Kurz vor dem Fest bietet sich hier vielleicht die Weihnachtsforschung an. Diese ist zwar kein eigenes Fachgebiet. Aber Forscher verschiedenster Disziplinen beschäftigen sich seit Jahren immer wieder mit Themen rund um Weihnachten, weit über religiöse und kulturelle Hintergründe des Fests hinaus, wie es etwa Theologen, Soziologen und Kulturwissenschaftler tun. Es geht dabei eher um Alltagsphänomene und darum, dass auch Forscher einmal im Jahr „ihrem Affen Zucker geben“ wollen.
Nahezu legendär ist zum Beispiel die mathematische Darstellung von Forschern der Naturwissenschaftlichen Fakultät der TU Freiberg, was die Aktivitäten des sogenannten Weihnachtsmannes betrifft. Wenn dieser alle Kinder in christlichen Familien der Welt an einem Tag beschenken wollte, hätte er pro Haushalt nur eine Tausendstel Sekunde Zeit, berechneten die Akademiker. Er müsste mindestens 378.000 Tonnen an Geschenken transportieren und bräuchte 216.000 Rentiere für seinen Schlitten. Dieser müsste mit einer Geschwindigkeit von 1040 Kilometern pro Sekunde fliegen – wobei die Tiere durch den ungeheuren Luftwiderstand sofort verdampften. Durch die 17.500-fache Erdbeschleunigung wäre es auch mit dem Weihnachtsmann schnell vorbei.
Der Weihnachtsmann reist durch bis zu 26 Dimensionen
Diese Berechnung – deren Richtigkeit wir hier nicht nachprüfen können – wird oft zitiert. Wobei der Schriftsteller Peter Glaser einmal beim Deutschlandfunkt Kultur zu bedenken gab: „Theoretische Physiker weisen darauf hin, dass der Weihnachtsmann möglicherweise gar nicht durch unser vierdimensionales Kontinuum reist. Die aktuelle Theorie über den Zustand des Universums erlaubt bis zu 26 Dimensionen, und je mehr Dimensionen, desto schneller lassen sich Geschenke verteilen.“
Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren aber noch viel mehr präsentiert. So testeten Forscher der Fachhochschule Aachen, wie standfest Weihnachtsbäume sind. Das hat durchaus einen realen Hintergrund, denn schon einige Male sind große Tannenbäume im Freien bei Sturm umgefallen. Und die Forscher wollten nun wissen, mit welchem Gewicht sie verankert sein müssten, um nicht umzufallen.
Wie die Tanne auch bei Sturm standfest bleibt
Sie stellten eine 1,20 Meter hohe Tanne in einen Windkanal und erzeugten eine Windgeschwindigkeit von etwa 80 Kilometern pro Stunde. Das Ergebnis: Die Tanne war nicht besonders windschnittig. Ihr Luftwiderstand ähnelte dem eines kantigen Lastkraftwagens. Und man weiß ja, wie schnell Lastwagen bei großem Sturm umgeblasen werden können. Nach einer Umrechnung ergab sich: Ein frei stehender, zehn Meter hoher Baum müsste mit einem Gewicht von zehn bis zwölf Tonnen im Boden verankert werden, um bei heftigem Sturm ganz sicher zu stehen.

Mit den Eigenschaften von Schokoladenweihnachtsmännern befasste sich die TU Freiberg – offenbar ein echter Hort der Weihnachtsforschung. Das Bruchverhalten der Schoko-Männer unter Zug und Biegung wurde etwa von Matthias Kröger, Professor für Maschinenelemente, in einer Vorlesung getestet. Dabei kam heraus: Schokolade und Stahl sind sich durchaus ähnlich – wenn auch nicht im Geschmack. Wie beim Stahl hätten auch in der Schokolade Kerben einen großen Einfluss auf die Bruchfestigkeit, so Kröger. Auch die Temperaturen wirkten sich aus. Während Schokolade bei niedrigen Temperaturen eher splittere und breche, verforme sie sich bei höheren Temperaturen – was sich dann bei zu viel Wärme im Weihnachtszimmer auf die „Tragfähigkeit“ der Weihnachtsmänner auswirke.
Schokolade sei ein „komplexes Verbundmaterial, das aus Zucker, Kakao-Bestandteilen und gegebenenfalls Milchpulver besteht“, heißt es in der Mitteilung der TU Freiberg. „Vor allem die Kakaobutter als essentieller Schokoladenbestandteil ist hierbei entscheidend.“ Je nach Temperatur kristalliere sie in sechs verschiedenen Formen. Aber nur eine sorge für den schönen Glanz, das Knacken beim Brechen und ein zart schmelzendes Gefühl im Mund, ohne zu schmieren und zu kleben. Yvonne Joseph, TU-Professorin für Nano- und Sensortechnologie, zeigte anhand eines Experiments, wie man Schokolade perfekt temperieren kann.
Wunderkerzen sind wahre Stickoxidschleudern
Weihnachtsvorlesungen bietet seit 2016 auch die Universität Osnabrück an, leider inzwischen unterbrochen durch Corona. Zum Beispiel zeigten Physiker und Chemiker originelle Möglichkeiten, die Temperatur von Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt zu ermitteln. Ob man dafür aber mit Wärmebildkamera und Flammenthermometer hantieren muss – wie die Forscher – oder eher herkömmliche Messmethoden nutzt (Becher berühren, Nase drüber halten, kosten), hängt vom wissenschaftlichen Anspruch des Besuchers am Glühweinstand ab.
In einer Vorlesung ging es auch um die Förderung von Nachhaltigkeit – von der Beleuchtung übers Essen und Trinken bis zu Deko und Geschenken. „Wunderkerzen sind Stickoxidschleudern ohnegleichen“, sagte zum Beispiel der Osnabrücker Chemiedidaktiker Marco Beeken. Man sollte überlegen, ob man sie in geschlossenen Räumen benutzt. Die meisten Kerzen wiederum bestünden aus fossilen Brennstoffen und seien ebenfalls wenig nachhaltig.
Beeken präsentierte einen Adventskranz ohne Kerzen, dafür mit vier Dosen, die mit Wasserstoff betrieben wurden. Die kaum sichtbare Wasserstoffflamme wurde mit „Farbsalzen“ verstärkt. Beim Abstellen des Wasserstoffstroms strömte Sauerstoff nach. Es entstand ein Knallgasgemisch. Rumms – die „Kerzen“ flogen in die Luft. Beeken führte auch die „weltweit erste essbare Kerze“ vor, die man anzünden könne. Man nehme einfach eine Stange Marzipan, sagte er, stecke oben eine halbe, in Fett getränkte Mandel hinein, die gut brenne. Danach könne man alles essen.
Ein neuer, nachhaltiger Raketenantrieb für den Weihnachtsmann-Schlitten wurde ebenfalls erprobt. Er basierte auf flüssigem Stickstoff. Und man testete auch, wie umweltschädliches Alu-Lametta elegant entsorgt werden kann. Das passierte in einer Lösung aus Kupferchlorid und Salzsäure. Sie wurde angezündet – und die Lamettakugel löste sich auf. Man kann nur sagen: Wenn Chemiker Weihnachten feiern!
Bei Geschenkverpackungen sollte man nicht übertreiben
Aber auch andere Wissenschaftler – etwa aus Psychologie, Wirtschaft und Marketing – befassen sich mit der Weihnachtszeit. Regelmäßig gibt es Bestandsaufnahmen. 2019 hieß es etwa, dass in Deutschland jährlich etwa 100.000 Tonnen Weihnachtsgebäck verzehrt würden. Ein Drittel davon werde bereits im September gekauft. Etwa 30 Millionen Weihnachtsbäume würden aufgestellt. Am häufigsten verschenkten die Leute Gutscheine und Geld.
Nach Auswertung verschiedener Studien gibt es angeblich drei evidenzbasierte Regeln, um gute Geschenke zu machen. Erstens: Am besten kommen einfache und praktische Geschenke an. Man sollte sich nicht auf den Preis und den Aufwand konzentrieren, sondern darauf, wie ein Geschenk in das Leben einer Person passe, sagte Nathan Novemsky, Marketingprofessor an der Yale University. Viele Leute bevorzugten zum Beispiel beim geschenkten Restaurant-Gutschein das kleine Lokal um die Ecke, statt das Spitzenrestaurant, zu dem man eine Stunde fahren muss.
Zweitens: Man sollte es auch nicht mit der Verpackung übertreiben. Wenn man den Gutschein fürs Restaurant in einen großen Karton mit Glitzerpapier und Schleife packt, könnte das nach hinten losgehen, weil eine bombastische Aufmachung zu große Erwartungen weckt. Drittens: Man sollte fragen, was die Person selbst geschenkt haben will. Eine 2011 veröffentlichte Studie der Business Schools in Harvard und Stanford ergab, dass Geschenkempfänger im Allgemeinen viel glücklicher seien, wenn sie genau das bekämen, worum sie gebeten hätten, und nicht etwas „Wohlüberlegtes“, das sie aber nicht gebrauchen könnten.
Auf all dies könnte man sicher auch als Laie nach gründlicherem Nachdenken kommen. Aber wenn Forscher es sagen, bekommt es gleich ein höheres Gewicht. Auch, wenn es darum geht, wie sich das Weihnachtsfest verändert hat – und zwar nicht nur durch die Corona-Pandemie. Diese macht, dass man in kleineren Runden feiert als früher, keine großen Geschenke-Einkaufsrunden unternehmen kann und neue Kommunikationsformen eine viel wichtigere Rolle spielen. „Wir wollen mit Freunden parallel das gleiche Gericht kochen und gemeinsam vor der Kamera essen“, sagte zum Beispiel der Mainzer Psychiater und Resilienzforscher Klaus Lieb schon 2020 im Journal Forschung & Lehre.
„Schneeflöckchen, Weißröckchen“ passt irgendwann nicht mehr
Und der Freiburger Theologe und Weihnachtsforscher Stephan Wahle erklärte in einem Interview auf watson.de, dass sich seiner Meinung nach der Klimawandel stärker auf Weihnachten auswirken werde als Corona. „Die weiße Weihnacht existiert fast nicht mehr, nur noch in wenigen Regionen. Lieder wie ‚Schneeflöckchen, Weißröckchen‘, die stets Teil der Weihnachtszeit waren, wirken noch als Sehnsuchtslieder, irgendwann passen sie aber nicht mehr“, sagte Wahle. Auch Weihnachtsbäume – früher uneingeschränktes Symbol des Weihnachtsfests – würden weniger verkauft. Biobäume seien zunehmend gefragt.
