Soziale Medien

Twitter schränkt lesbare Tweets ein, Musk trollt weiter: „Wir sind alle Twitter-Süchtige“

Elon Musk untergräbt die Grundlage, auf der Twitter aufgebaut ist. Warum sollten User weniger Inhalte sehen? Deutsche Nutzer bereuen auch: #RIPtwitter.

Twitter-Eigentürmer Elon Musk Mitte Juni in Paris.
Twitter-Eigentürmer Elon Musk Mitte Juni in Paris.Joel Saget/AFP

Es herrscht wieder Chaos auf Twitter. Zahlreiche Nutzer beschweren sich seit Samstag über eine seltsame Fehlermeldung, die, wie so oft bei Twitter, ohne Vorankündigung kam: „Sorry, aber du hast das Zugriffslimit erreicht. Bitte warte einen Moment und versuche es erneut“, heißt es dort.

Erst später am Samstag meldete sich der Eigentümer der Plattform, Elon Musk, selbst und verkündete die neue Regel ab 1. Juli: Die Anzahl der lesbaren Tweets wird für Nutzer eingeschränkt – und zwar für alle, ob zahlende oder nicht zahlende User. Musk begründet die plötzliche Entscheidung mit der Befürchtung, dass KI-Systeme Unternehmen helfen könnten, „riesige Datenmengen“ aus dem sozialen Netzwerk zu entnehmen.

Nach den neuen Bestimmungen können nicht verifizierte Twitter-Konten (solche ohne blaues Häkchen) nur noch 600 Beiträge pro Tag sehen. Für neue, nicht verifizierte Nutzer sinkt diese Grenze auf 300 pro Tag. Für verifizierte Konten (mit einem blauen Häkchen und einer Gebühr von 8 Euro pro Monat) gilt weiterhin eine Obergrenze von 6000 Beiträgen pro Tag. Musk versicherte später, dass die Grenzen für verifizierte Konten bald auf 8000 und für neue Konten ohne blaues Häkchen auf 400 erweitert werden können – und dann weiter auf 10.000 bzw. 1000.

Data-Mining auf Twitter: Musk sieht Gefahr durch KI-Unternehmen

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Elon Musk darüber beschwert, dass mehrere private Unternehmen aggressives Data-Mining auf Twitter gestartet hätten. Er hatte bereits seinen Unmut über Unternehmen geäußert, die Künstliche Intelligenz entwickeln, wie etwa OpenAI mit dem ChatGPT – ohne allerdings konkrete Namen zu nennen.

Der Vorwurf lautet, dass solche Unternehmen Twitter-Daten verwenden, um ihre umfangreichen Sprachmodelle zu trainieren. Musk formulierte keine direkte Anschuldigung. Der Kurznachrichtendienst, den Musk im vergangenen Jahr für 44 Milliarden Dollar gekauft hatte, befindet sich seitdem in einem Prozess der permanenten und tiefgreifenden Transformation, die darauf abzielt, Kosten zu senken und Gewinne zu erwirtschaften.

Elon Musk trollt weiter auf Twitter, anstatt den Schritt zu erklären

Die Ernennung von Linda Yaccarino, die frühere Nummer eins im Bereich Werbung bei NBC Universal, zum neuen Twitter-CEO war Anfang Mai ein klares Signal, dass die Plattform wieder attraktiv für Werbekunden machen sollte.

Es stellt sich nun die Frage, wie dieser Schritt von Werbekunden aufgenommen werden wird. Denn die Begrenzung der Anzahl der Beiträge ist ein Schritt, der offensichtlich in die entgegengesetzte Richtung geht. Wenn die Anzahl der sichtbaren Beiträge begrenzt ist, haben Werbetreibende möglicherweise wenig Anreiz, auf der Plattform zu werben, weil sie wissen, dass ihre Werbung irgendwann nicht mehr für einen Nutzer sichtbar ist, der die Anzahl der Beiträge, die er an einem Tag sehen kann, überschritten hat. Alle Bemühungen, das Vertrauen von Werbekunden wiederherzustellen, scheinen dadurch erheblich untergraben. Es bleibt unklar, inwieweit der neue CEO an dieser Änderung beteiligt war, berichten US-Medien. Bisher hat sich Yaccarino weder öffentlich noch auf ihrem Twitter-Account geäußert.

Elon Musk agierte in den vergangenen zwölf Stunden eher wie ein Twitter-Troll als wie der Eigentümer eines Unternehmens – und postete Beiträge über die Gründe, warum die neue Maßnahme beschlossen worden sei: „Der Grund, warum ich ein ‚View Limit‘ gesetzt habe, ist, dass wir alle Twitter-Süchtige sind und nach draußen gehen müssen. Ich tue hier eine gute Tat für die Welt. Außerdem ist das eine weitere Ansicht, die du gerade benutzt hast“, schrieb er in einem Tweet.



Die Sperrung und die Reaktion der Nutzer weltweit: #RIPtwitter

Im Moment ist nur eines sicher. Am Samstagmorgen in den USA und am späten Abend in Europa begannen Zehntausende von Twitter-Nutzern, Probleme mit dem Dienst zu melden. Sie wurden gewarnt, dass sie die Anzahl der Beiträge, die sie an einem Tag lesen konnten, überschritten hatten, und ihre Timelines wurden auf null zurückgesetzt.

Die Beschwerden tauchten zuerst auf der Seite downdetector.com bzw. allestörungen.de auf. Dort gingen in den letzten 24 Stunden stündlich Tausende von Meldungen ein.

Dann begann im deutschsprachigen Twitter der Hashtag #RIPtwitter zu trenden, unter dem sich die Empörung über die neue Regelung entlädt und User erneut ihr Vorhaben äußern, die Plattform zu verlassen – wie jedes Mal, wenn der unberechenbare Tech-Unternehmer Änderung an der Plattform ankündigt. Welche Folgen die Entrüstung der Nutzer diesmal haben wird, bleibt abzuwarten.