Berlin-Die Reise des zwölften deutschen Raumfahrers, Matthias Maurer, begann sehr aufregend. Erst musste der Saarländer lange warten, weil sein Start mehrfach verschoben wurde. Als er endlich „oben“ war, musste er die Internationale Raumstation (ISS) mit den anderen Astronauten am Montag zweimal kurzfristig verlassen und sich in einem an der Station angedockten Raumschiff in Sicherheit bringen. Der Grund: Es bestand die Gefahr einer möglichen Kollision mit einer Weltraumschrott-Wolke.
Eigentlich soll Maurer während seiner halbjährigen ISS-Mission „Cosmic Kiss“ intensiv forschen, wie alle anderen Raumfahrer vor ihm auch. Dafür stehe eine große Infrastruktur bereit, sagte Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. „Wir betreiben technische Forschung im Weltraum, um den Menschen auf der Erde zu helfen. Viele Produkte und Innovationen gehen darauf zurück.“
Matthias Maurer hat eine Liste von mehr als hundert Experimenten abzuarbeiten, darunter etwa 36 aus Deutschland als stärkster und umfangreichster Nutzer der ISS. Das Spektrum der Experimente reicht von der Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung in Bereichen wie Lebenswissenschaften, Materialwissenschaft, Physik, Biologie, Medizin, Technologieentwicklung und Künstliche Intelligenz sowie Erdbeobachtung.

Der promovierte Materialwissenschaftler Matthias Maurer wird zum Beispiel auf der ISS Schmelzversuche machen, die unter Schwerelosigkeit präziser als im Labor auf der Erde gelingen, weil hier bestimmte Störungen wegfallen. Die Ergebnisse sollen unter anderem zur Herstellung von neuartigen und leichteren Flugzeugturbinenschaufeln und Motorgehäusen genutzt werden.
Außerirdischer Gefährte hilft dem Astronauten
Maurer wird auch erstmals verschiedene Betonmischungen testen, die für den Bau von Siedlungen auf dem Mond oder dem Mars eingesetzt werden können, aber auch beim nachhaltigen Hausbau auf der Erde. Auch dies funktioniert in der Schwerelosigkeit besser, weil die irdische Schwerkraft bei der Aushärtung von Beton dafür sorgt, dass sich die Anteile mit hoher Dichte am Boden ablagern.

Weitere Experimente befassen sich zum Beispiel mit neuen Oberflächen, die die Bildung von Biofilmen verhindern – und damit die Keimbelastung in Krankenhäusern oder der Industrie verringern könnten. Oder mit Künstlicher Intelligenz. So testet Maurer einen „außerirdischen Gefährten“, einen smarten digitalen Assistenten namens Cimon. Dieser ist nicht nur Sprachhilfe, sondern soll Maurer mit Hilfe vieler kleiner Propeller frei schwebend begleiten, ihn unterstützen und bei komplexen wissenschaftlichen Arbeiten anleiten. Auf der Erde könnte der mobile Crewassistent in der Industrie, dem Bildungswesen, der Medizin und Pflege zum Einsatz kommen.
Einen großen Raum bei der Forschung nimmt der Mensch selbst ein. Die Versuche sollen hier sowohl der Vorbereitung auf Langzeitflüge dienen, etwa zum Mars, als auch der Verbesserung der Medizin auf der Erde. Matthias Maurer testet zum Beispiel ein neuartiges, bequem zu tragendes Gerät zur Atemgas-Analyse. Es heißt MetabolicSpace und soll zeigen, wie gut die körperliche Leistungsfähigkeit des Astronauten ist. Möglicherweise könnte es irgendwann einmal auch beim Training von Leistungssportlern auf der Erde eingesetzt werden.
Regelung der Körperkerntemperatur ist im Weltall gestört
Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist allein mit vier Projekten beteiligt, gefördert mit mehr als 1,5 Millionen Euro. „Sie beschäftigen sich mit der Überwachung der Körpertemperatur und der Muskeleigenschaften im All, einem verbesserten Training gegen Muskelabbau sowie veränderten Kontakten zwischen Zellen unter Schwerelosigkeit“, teilt die Charité mit.
„Wegen der vorherrschenden Schwerelosigkeit bietet uns die ISS einmalige Bedingungen“, sagt Hanns-Christian Gunga, stellvertretender Direktor des Instituts für Physiologie der Charité und Sprecher des dort angesiedelten Zentrums für Weltraummedizin und Extreme Umwelten Berlin (ZWMB). „Hier lassen sich biologische und physikalische Vorgänge weitgehend ohne Störeffekte untersuchen, wie es in keinem Labor auf der Erde möglich wäre. “
Ein Projekt untersucht das sogenannte Weltraumfieber. Dieses entsteht dadurch, dass das Aufrechterhalten einer konstanten Körperkerntemperatur in der Schwerelosigkeit gestört ist. Es kommt zu einem dauerhaften Temperaturanstieg. „Damit Astronauten wie Dr. Maurer beim Sport oder bei Außenbordeinsätzen nicht überhitzen und ihre Gesundheit gefährden, wird im Projekt Thermo-Mini die Körperkerntemperatur und Tagesrhythmik durch einen miniaturisierten Thermosensor an einem Stirnband aufgezeichnet“, teilt die Charité mit.
Die über längere Zeit aufgezeichneten Daten sollen zeigen, ob der Mini-Thermosensor für eine Standardüberwachung der Gesundheit von Astronauten geeignet ist. Vielleicht könnte er auch bei extremen Arbeitssituationen auf der Erde eingesetzt werden, etwa in Bergwerken oder bei Feuerwehreinsätzen.
Spezieller Anzug hilft mit Stimulation beim Muskeltraining
Myotones heißt ein weiteres Projekt. Die Astronauten messen hier den Zustand ihrer Muskeln, Sehnen und Faszien. Dazu müssen sie nur ein handliches Messgerät auf etwa zehn Stellen der Haut aufsetzen. Der Muskelabbau gehört zu den folgenschwersten Auswirkungen eines Langzeitaufenthalts im All. Dem soll ein geeignetes Muskelaufbautraining in der Schwerelosigkeit entgegenwirken. Das Charité-Projekt dient dazu, dieses Training kontinuierlich zu begleiten.

Um das Muskeltraining während der Mission zu unterstützen, trägt der Astronaut einen speziell für die Raumfahrt qualifizierten Trainingsanzug namens EasyMotion. In diesen sind Elektroden integriert, die eine sogenannte Elektro-Myo-Stimulation (EMS) zusätzlich zum Routinetraining bewirken. Damit ließen sich die Trainingszeiten von derzeit etwa 2,5 Stunden pro Tag verkürzen. Das Projekt Cellbox-3 wiederum befasst sich mit dem „Zellkontakt zwischen Nerven- und Muskelzelle an der sogenannten neuromuskulären Synapse“, der für die Funktionsfähigkeit der Muskulatur essenziell sei, wie die Charité mitteilt.

Für die Forschung wurde ein vollautomatisches Mikrolabor geschaffen. Hier werden Kulturen von Nervenzellen zusammen mit jungen Muskelzellen untersucht. Die Erkenntnisse sollen helfen, die molekularen Abläufe bei der Versorgung der Muskeln durch die Nervenzellen besser zu verstehen, um möglicherweise Rehabilitations- und Trainingsprogramme auf der Erde zu optimieren.
Stress in der Raumstation schwächt das Immunsystem
Untersucht wird auf der ISS auch, wie Stress das Immunsystem schwächt. Der 51-jährige Astronaut Matthias Maurer unterliegt im All vielen Stressoren – dazu braucht es gar keine unliebsamen Überraschungen wie eine plötzliche Evakuierung. Bereits Schwerelosigkeit, Strahlung, Isolation, hohe Arbeitsbelastung und Störungen des Schlafrhythmus führen bei Astronauten zur Schwächung des Immunsystems, wie frühere Untersuchungen feststellten. Müdigkeit, Abgeschlagenheit und erhöhte Infektanfälligkeit können die Folge sein.



