Kolumne: Brutal Berlin

Zeit für Brot: In Berlin gibt es entweder zu teure – oder zu billige Backwaren

Unsere Autorin würde gerne in einer Stadt leben, in der es günstiges, gutes Brot gibt. Aber sie lebt in Berlin. Entweder wird man hier arm oder unglücklich.

Tritt sich fest: Wenigstens als High Heels bieten sich die trockenen Berliner Kniften an.
Tritt sich fest: Wenigstens als High Heels bieten sich die trockenen Berliner Kniften an.Maciek Miloch/Natalia Mleczak

Berlin-Ich liebe Brot. Schon immer. Dieser Geruch, wenn man ein frisches Dinkelbrot aus der Tüte holt und tief einatmet. Oder das Geräusch, wenn man auf dem Nachhauseweg schon mal ein Stück von einem rustikalen Weißbrot abreißt und ohne alles verschlingt. Ich kann mir nichts Leckeres vorstellen. Hätte Marie Antoinette mir auf französisch geraten, doch Kuchen zu essen, hätte ich ihr einen Vogel gezeigt, vor die Füße gespuckt oder mich anderer Gesten der Ablehnung bedient, die im 18. Jahrhundert en vogue waren.

Niemand, der Bock auf ein knuspriges Brot mit Butter und Salz hat, wäre jemals mit einen Kuchen zufrieden. Niemand. In den letzten Jahren ist es für mich leider immer schwerer geworden, gutes Brot zu finden. Und das, obwohl ich in einem sehr bürgerlichen Stadtteil Berlins wohne (Schöneberg, schlimmer noch: Bayerisches Viertel). Die einzigen „Bäckereien“ im Umkreis von dreihundert Metern sind ein türkischer Backshop, der tiefgefrorene Teighaufen auftaut, und ein schwäbisches Café, dessen Backerzeugnisse gleichermaßen hart wie teuer sind.

Es ist nicht so, dass es kein gutes Brot gäbe

Ich verstehe das Problem nicht. Wie kann es sein, dass es in Berlin für etwas so Essentielles wie Brot keine guten Läden gibt. In Frankreich steht an jeder zweiten Ecke eine Boulangerie, die ohne großes Aufheben fantastisches Baguette verkauft. Wenn ich Samstagvormittag aufwache und den harten Kanten im Brotkorb sehe, geht mein erster Weg nach draußen, um Brot (und eine Zeitung) fürs Frühstück zu kaufen. Ich begegne vielen Menschen in teuren Jogginghosen, die draußen umherstreifen, ebenfalls auf der Suche nach Brot.

Am Ende landen wir alle beim selben Franzosen, der gute Croissants, aber entsetzliche Angestellte hat. Da stehen wir dann alle in der Schlange und fragen uns, warum das so sein muss. Was ist das Problem? An mangelnder Nachfrage kann es eigentlich nicht liegen. Ich denke dann an Christian Lindner und frage mich: Wo ist denn jetzt dieser Markt, dessen unsichtbare Hand alles regelt? Isst du kein Brot? Ist dir das egal? Bist du low-carb? Er antwortet mir dann: „Pech gehabt, ich wohne über Butter Lindner, da ist ein Brötchen zwar teurer als Benzin, aber das ist mir egal.“ Und er hat ja recht. Es ist nicht so, dass es hier gar kein gutes Brot gäbe.

Einfach nur Wohlstandsverwahrlosung

Mir ist nicht entgangen, dass die Leute draußen wieder vermehrt Schlange stehen. Aber nicht wegen des neuen iPhones oder eines PCR-Tests, sondern wegen etwas viel Wichtigerem, für das die Menschen in Frankreich mit Mistgabeln und Fackeln auf die Straße gingen: Es geht um Brot. Um teures Brot. Sehr teures Brot. Es gibt diese neuen Stores, die Brote verkaufen, als wären es High-End-Geräte. „Zeit für Brot“ zum Beispiel, eine Kette, die es nur im reichen Teil des Westens und reichen Teil des Ostens der Stadt gibt, aber nirgendwo dazwischen. Allein wie diese Stores aussehen: klare Linien, Glas, beruhigendes Holz, aber bloß kein Leben. Alles nach dem Motto: Just bread.

Viele Leute in Berlin lieben das, so wie sie eben die grundlegenden Dinge lieben, die ihnen mit neuer Message und für viel Geld verkauft werden. Seien es Seifen im Apothekenlook, Stifte aus Japan oder eben Brot aus dem Steinofen. Ist man endlich an der Reihe, muss man sich wahnsinnig schnell für ein Brot entscheiden, das dann Namen trägt wie: ‚80 Prozent Dinkel, 20 Prozent Vollkorn‘. Wer will, kann sich dazu noch eine der berühmten Zimtschnecken kaufen, für die Menschen schon mal quer durch mehrere Kieze gefahren sind. Und das kostet unverhältnismäßig viel: zehn Euro für Brot! Das nenne ich einfach nur Wohlstandsverwahrlosung.

Schade, dass man Backstores nicht wählen kann

Aber „Zeit für Brot“ ist nicht der einzige. Es gibt weitere Konzept-Stores wie Gragger, deren Schriftzug so aussieht, als hätten ihn sich Menschen mit Faible für das Germanische ausgedacht. Fast wie Sütterlin. Richtig deutsch eben. Ihre Botschaft „Brot ist Mehl, Wasser, Salz und Zeit“ will so klingen, als käme jetzt diese gute, alte Zeit zurück, als die Welt noch in Ordnung war, weil es Bäcker gab, die Brot selber backten. In seiner Banalität könnte dieser Spruch aber auch Teil dieses Textes sein. Ja, ich weiß, Brot besteht aus Mehl, Wasser, Salz und Zeit, deswegen frage ich mich ja, warum ihr mir so viel Geld dafür abknöpfen müsst.

Als ich dachte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, eröffnete KEIT. Ja, KEIT, eine neue „Backstube“. Der Name repräsentiert das Suffix -keit und steht für drei Grundwerte: Dankbarkeit, Verlässlichkeit, Nachhaltigkeit. Wer jetzt nicht aufpasst, hat schnell die Hand auf dem Herzen oder ein falsches Kreuz auf dem Wahlzettel. Schade, dass man Backstores nicht wählen kann. KEIT verkauft genau vier Sorten Brot. Jedes kostet gleich viel, nämlich fünf Euro, die Égalité des teuren Backstores. Im Schaufenster stehen die Laibe zwischen den Deko-Ähren wie Mannequins, allzeit bereit, dem hilflos Suchenden das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Diese Stadt ist immer noch geteilt, in Backfactory und Zeit für Brot.

Mir geht es nicht um das Geld, nicht wirklich jedenfalls. Mich regt nur diese Sprache auf, dieser Look, die Einstellung, Brot wie Gold zu verkaufen, nur weil es geht. Denselben Menschen, die solche Backstores leiten, haben wir auch schon Naturwein zu verdanken. Hat Jesus etwa so viel Aufhebens um Brot und Wein gemacht? Nein, der war praktisch veranlagt und meinte: „Nehmet und esset und trinket.“

Nicht wenige Samstage in Schöneberg schaute ich mit leeren Magen in den Himmel und hoffte auf ein Wunder. Aber nein. Nach wochenlanger Suche nach einer Bäckerei, die gutes Brot in normalen Läden anbietet, habe ich aufgegeben. Diese Stadt ist immer noch geteilt. In „Backfactory“ und „Zeit für Brot“. Entweder du isst Brötchen für 10 Cent oder für 10 Euro. Der Berlin Bread Gap.

Das Schlimmste ist: Wir Deutschen sind wahrscheinlich selbst schuld an unserer Situation. Das Problem begann, als wir anfingen, am Brot zu sparen. Mit jedem harten Brötchen, das wir mit einer Zange aus der SB-Back-Theke im Supermarkt fischten, musste ein Bäcker aufgeben. Weil sie ihren Azubis nicht mehr den Lohn zahlen konnten, diesen armen Menschen, die für ein paar Euro die Stunde morgens um vier Uhr aufstehen. Wir Deutschen sind ein Pack, weil wir kein Geld für Lebensmittel ausgeben wollen. Und jetzt ernten wir, was wir säen. Wenn Cem Özdemir das nächste Mal mit selbstgefälliger Miene an mir vorbeiradelt, als wolle er mir sagen, „Hab ich dir doch gesagt!“, werde ich reumütig rufen: „Okay Cem, du hast gewonnen. Ich komm ja zum nächsten Veggie Day. Aber bitte mach, dass die leckeren Brötchen zurückkommen.“ Doch so schnell geht das nicht. Ich schwöre mir: Sobald mein nächster Monatslohn kommt, werde ich ihn in den nächsten Back-Store tragen und ein Brot kaufen. Wenn ich es mir dann noch leisten kann.


Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.