Berlin-Kein Unternehmen ist so umstritten wie Palantir. Die US-Softwareschmiede gilt als verlängerte Werkbank der CIA. Die Software des Unternehmens findet sowohl bei Unternehmen als auch bei Polizei und Geheimdiensten regen Anklang. Bei Bürgerrechtlern indes schrillen die Alarmglocken, sie bezeichnen die Firma gern als Datenkrake. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung am Wochenende schildert Unternehmenssprecher Jan Hiesserich seine Sicht der Dinge.
Berliner Zeitung am Wochenende: Herr Hiesserich, über Palantir kursieren zahlreiche Gerüchte. Das Geschäftsmodell wird selbst von den Anlegern der Firma oft nicht so ganz verstanden. Womit verdient Palantir eigentlich sein Geld?
Jan Hiesserich: Wir verdienen unser Geld mit Software, die es Organisationen ermöglicht, in den komplexesten und schwierigsten Umgebungen mittels Datenanalyse bessere Entscheidungen zu treffen und diese möglichst effektiv umzusetzen. Im Wesentlichen verkaufen wir zwei Plattformen: Die eine nennt sich Gotham, sie wird eingesetzt im Regierungsbereich, insbesondere dort, wo investigative Zwecke verfolgt werden, also auch bei Polizei und Geheimdiensten. Die zweite Plattform ist Foundry, und die verstehen wir als Betriebssystem für das moderne Unternehmen. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in einer Welt leben, in der die Datenanalyse den Grundbaustein für den Erfolg von Unternehmen bildet.
Das Unternehmen gilt als die verlängerte Werkbank der CIA. Wie kam es dazu?
Zum Gründungsmythos von Palantir gehört, dass das Unternehmen nach den Anschlägen des 11. Septembers gegründet wurde. In der Aufarbeitung der Anschläge wurde festgestellt, dass die Anschläge hätten verhindert werden können, wenn es gelungen wäre, die Informationen und Warnungen, die bei den unterschiedlichen Behörden vorhanden waren, rechtzeitig zusammenzuführen. Das hat Amerika und die westliche Welt schockiert. Die Frage, die sich die Palantir-Gründer damals gestellt haben, war: Wie kann man Daten besser analysieren, um solche Anschläge künftig zu verhindern? Daraus ist unser Geschäftsmodell entstanden: Datensilos aufzubrechen und Daten, die in großen Mengen vorhanden sind, sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Mit unserer Datenanalyse können wir einen Beitrag dazu leisten, Komplexität zu erschließen und produktiv zu machen.
Die Idee, Datenquellen miteinander zu verknüpfen, wird von Bürgerrechtlern oft kritisiert. Zwar sind Datensilos bei Sicherheitsbehörden oft nur ein Resultat von Missmanagement. Trotzdem dürfte die Idee, immer mehr Daten zusammenzuführen, nicht nur auf Gegenliebe stoßen. Datenschützer fürchten den Überwachungsstaat.
Da geht immer viel durcheinander. Selbstverständlich ist es so, dass die Technologie es erlaubt, komplexe und unstrukturierte Daten zusammenzuführen. Wir haben kein Problem damit, komplexeste Daten im Petabyte-Bereich zusammenzuführen und zu analysieren. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal von Palantir. Wir glauben aber nicht, dass sich Datennutzung und Datenschutz gegenseitig ausschließen. Ganz im Gegenteil: Wir haben Gotham und Foundry bewusst so konzipiert, dass Daten nur von berechtigten Nutzern eingesehen und analysiert werden können. Dabei kommt dem Datenschutz eine große Rolle zu, denn mit unserer Software lässt sich immer feststellen, wer wann auf welche Daten zugegriffen hat. Für Datenschutzbeauftragte ist dies ein Gewinn, da so eine effektive Auditierbarkeit häufig überhaupt erst möglich wird. Und um dies klar zu sagen: Palantir selber hat keinerlei Interesse an Kundendaten, weder sammeln noch monetarisieren wir Daten.
Große amerikanische Technologiefirmen streiten sich regelmäßig mit den Strafverfolgungsbehörden, die auf Kundendaten zugreifen wollen. Apple weigerte sich beharrlich, dem FBI Software zu Verfügung zu stellen, um Telefone von Straftätern zu entschlüsseln. Wie stellt Palantir sicher, dass die Kundendaten weder von Palantir noch von Geheimdiensten eingesehen werden können?
Die Kontrolle und Verfügungsgewalt über die Daten bleibt stets beim Kunden. In Hessen und Nordrhein-Westfalen arbeiten wir mit der Polizei zusammen, dort bleiben die Daten auf den eigenen Servern. Doch das gleiche Prinzip gilt für die Daten in der Cloud. Wenn eine Anfrage von Sicherheitsbehörden käme, liefe sie bei uns deshalb ins Leere.
Der Palantir-Ko-Gründer und CEO Alexander Karp warnt Technologie-Unternehmen davor, mit autoritären Staaten zu kooperieren. Gleichzeitig wird das Bekenntnis zum Westen in Europa oftmals vor allem als einseitiges Bekenntnis zu den USA verstanden.
Tatsächlich ist es so, dass wir uns hier sehr klar geostrategisch positioniert haben. Karp rät anderen Tech-Unternehmen im übrigen nicht davon ab, mit China zu kooperieren. Er sagt aber: Macht es transparent. Wer Amerika kennt, weiß: Es ist okay, eine Regierung abzulehnen, aber keiner Regierung, auch nicht unter Trump, ist es bisher gelungen, das Wertefundament der USA zu erschüttern. Gerade wenn man für Demokratie einsteht, muss man debattenfähig sein. Das Gleiche gilt für Europa. Das vermisse ich manchmal bei unseren Kritikern. Es wird sehr viel über uns gesagt, aber sehr selten mit uns gesprochen. In der Vergangenheit haben wir uns dem ein Stück weit entzogen, das war sicherlich nicht immer richtig. Aber spätestens mit dem Börsengang hat sich hier viel getan. Und ich verweigere mich sicherlich keiner konstruktiven Debatte.
Viele Softwareingenieure im Silicon Valley gelten als linksliberal, sie lehnen es ab, für die Regierung zu arbeiten. Wie darf man sich die internen Diskussionen bei Palantir vorstellen?
Unser Engagement für Kunden wie die ICE (die amerikanische Einwanderungs- und Grenzschutzbehörde) und andere Mandate werden intern intensiv diskutiert, es gibt da auch kein „Ober sticht Unter“. Wir haben eine starke Debattenkultur, und die befördern wir auch.
Palantir arbeitet sowohl in Hessen als auch in NRW mit der Polizei zusammen. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Ganz grundsätzlich: Die Polizeibehörden haben einen hoheitlichen Auftrag, dem müssen sie zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nachkommen können. Dafür braucht es die richtigen Mittel. Niemand kommt auf die Idee, einen Streifenpolizisten in Bochum mit einem Messer in einen Gunfight mit organisierten Clans zu schicken. Das würde nicht nur das Vertrauen in den Staat untergraben, sondern auch der Verantwortung gegenüber dem einzelnen Beamten nicht gerecht werden. Wir beobachten, dass das organisierte Verbrechen im digitalen Bereich massiv aufrüstet. Dem müssen auch unsere Behörden Rechnung tragen. Jeder Bürger sollte ein Interesse daran haben, dass die Polizei effektiv arbeiten kann und fähig ist, auf die Herausforderungen eines sich zunehmend internationalisierenden Verbrechens Antworten zu finden. Früher war das Verbrechen noch sehr regional organisiert, heute arbeiten Cyberkriminelle international zusammen.
Was heißt das für die Polizeipraxis?
Wir versetzen Polizeibeamte mit einer intuitiven Software in die Lage, ihrer Aufgabe nachzukommen – auch dann, wenn sie keine Softwareexperten sind. Laut der Polizei in Hessen verbringt die Kriminalpolizei derzeit 80 Prozent damit, zu recherchieren und nur 20 Prozent damit, konkrete Ermittlungen anzustellen. Es ist derzeit wahnsinnig schwierig, auf alle rechtmäßigen Daten zuzugreifen, die man braucht, um effektiv ermitteln zu können. Viele Datentöpfe liegen irgendwo isoliert oder sind sogar nur analog vorhanden – dann muss der Beamte Anfragen stellen, im günstigen Fall per E-Mail, oftmals noch per Fax oder Post.
Das wird durch die Software von Palantir beschleunigt?
Richtig. Die zahlreichen Anfragen einzeln zu stellen ist sehr zeitaufwendig. Dabei ist gerade bei Terrorermittlungen Zeit ein entscheidender Faktor. Wir wollen helfen, das Verhältnis zwischen Ermittlungsarbeit und Recherche umzukehren.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Nehmen Sie den Fall Anis Amri. Was ist damals in Berlin schiefgegangen. Ähnlich wie bei 9/11 kann man im Nachhinein sagen: Hätte man es nicht vorher wissen müssen? Es gab genügend Informationen, dass hier etwas nicht stimmt. Anis Amri ist unter verschiedenen, aber sehr ähnlichen Namen in Erscheinung getreten. Das hätte den Sicherheitsbehörden auffallen können, wenn sie die richtigen technischen Mittel dafür gehabt hätten. Die hatten sie aber nicht. Wichtig dabei ist, dass ein Polizeibeamter, der im Rahmen einer Terrorbekämpfung Ermittlungen durchführt, andere Rechte und Befugnisse hat als beispielsweise ein Streifenpolizist. Unsere Plattform ist in der Lage, diese Berechtigungskonzepte den einzelnen Beamten zuzuweisen, so dass die Beamten, sofern sie dazu berechtigt sind, schnell auf die für sie wichtigen Informationen zugreifen können. Der Zeitgewinn ist immens, bei gleichzeitiger Wahrung aller rechtlichen Vorgaben.
Viele Polizisten sind nicht unbedingt Computerexperten, was nützt ihnen der Zugriff auf die Rohdaten?
Die allermeisten von uns sind keine IT-Experten. Das ist für die Ermittlungsarbeit aber ein besonderes Problem, denn viele der Daten, die erhoben werden, sind nicht intuitiv nutzbar. Der Mehrwert unserer Plattform liegt darin, dass sie eine Vielzahl von Daten auch für weniger computeraffine Nutzer zugänglich macht. Es macht einen enormen Unterschied, ob ich eine Excel-Tabelle voller Telefonverbindungen habe und versuche, dort Muster zu erkennen, oder ob ich dieselben Telefondaten auf eine Karte übertragen und sofort sehen kann, von wo aus welche Telefonate geführt worden sind. Die sinnvolle Aufbereitung von Daten ist ganz entscheidend. Ein weiterer wichtiger Punkt: Alle Aktionen, die der einzelne Beamte vornimmt, lassen sich im Nachhinein nachvollziehen. Wenn eine andere Stelle die Ermittlungen übernimmt, kann man die Ermittlungsergebnisse einfach und unter Wahrung aller relevanten Berechtigungskonzepte weiterleiten. Früher musste alles ausgedruckt und ein Begleitschreiben verfasst werden. Das kostet viel Zeit.
Die Software von Palantir wird nicht nur bei der Polizei, sondern auch bei Unternehmen eingesetzt. Welche Rolle spielt der Mensch künftig bei der Entscheidungsfindung? Macht die künstliche Intelligenz uns überflüssig?
Die Fortschritte, die bei der künstlichen Intelligenz erzielt worden sind, sind ganz beachtlich, aber wir teilen nicht den Hype. Unsere Philosophie ist eine andere, wir nennen das Augmented Intelligence. Das Konzept geht zurück auf „Man-Computer Symbiosis“, ein fantastisches Buch von J.C.R. Licklider aus den 60ern. Wir glauben nicht, dass künstliche Intelligenz den Menschen ersetzen soll. Wäre das das Ziel, wäre die Welt schnell eine ärmere. KI kann in kontrollierten Umgebungen hervorragend automatisieren und Effizienzgewinne heben. Die Welt gleicht aber eher einem Flohzirkus. Da kommt KI, abgesehen von den zahlreichen ethischen Fragestellungen, schnell an Grenzen. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Technologie soll uns in die Lage versetzen, auf Basis aller verfügbarer Informationen schnell bessere Entscheidungen zu treffen und diese ähnlich schnell umzusetzen. Datenanalyse allein reicht also nicht, schließlich entscheidet sich der Erfolg einzig im Handeln. Das, sowie unser Fokus auf Datenschutz und -sicherheit, ist eine direkte Folge unserer Herkunft im Sicherheitsbereich.
Aber es geht doch auch um Mustererkennung und Erkenntnisgewinn?
Die Welt um uns herum wird immer komplexer. Technologie kann dabei helfen, diese Komplexität produktiv zu machen. Wir dürsten ja nach Wissen, aber ertrinken gleichermaßen in Informationen. Warum? Die Komplexität an sich ist ja nicht das Problem, sondern dass wir nie gelernt haben, damit umzugehen. Wolf Lotter weist zu Recht darauf hin, dass der Reduktionismus ein Ergebnis der Industriegesellschaft ist. Dieser sieht Abweichungen als Problem, dabei sind Abweichungen gut, weil sie Varianten aufzeigen, Chancen. Um diese zu nutzen, braucht es aber Kontextkompetenz und Kreativität. Wir müssen wieder lernen, den Wald UND die Bäume zu sehen. Technologie kann uns hervorragend in der Analyse und Identifikation von Mustern unterstützen. Wie wir diese aber interpretieren und was wir dann damit machen, das sollten wir nicht an Computer delegieren, da braucht es den menschlichen Entscheider. Das ist das Konzept der Augmented Intelligence.
Welche Probleme löst Palantir in der Industrie?
