Berlin-In Berlin ist es bei den Abgeordnetenhauswahlen zu schweren Unregelmäßigkeiten gekommen. Teilweise mussten Berlinerinnen und Berliner lange warten, um ihre Stimmen abgeben zu können. Petra Michaelis, die mittlerweile zurückgetretene Berliner Landeswahlleiterin, kann eine Wiederholung der Berlin-Wahlen wegen der zahlreichen Fehler am gestrigen Wahltag nicht mehr ausschließen. Wir wollten wissen: Was haben unsere Leserinnen und Leser am Wahltag erlebt? Das sind die Antworten.
Es dauerte ewig
Hallo! Ich war an diesem denkwürdigen Sonntag als Wahlhelfer, sogenannter Beisitzer, im Wahllokal 315 in der Grundschule am Teutoburger Platz eingesetzt. Vorher war gesagt worden, man müsse um 7 Uhr da sein, die zehn Stunden von 8 bis 18 Uhr würden die Wahlhelfer sich aufteilen, ab 18 Uhr würden dann alle zusammen auszählen. Doch es kam ganz anders. Direkt ab 8 Uhr bildete sich eine Schlange vor der Tür, die eigentlich nie abnahm. Ich war eine Stunde mittags etwas essen, sonst von 7 Uhr bis 2 Uhr in der Nacht im Einsatz.
Schon am Vormittag war klar, dass sich aufgrund der hohen Wahlbeteiligung und der komplizierten parallelen Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl lange Schlangen bildeten. Doch erst um etwa 14 Uhr wurde vom Bezirksamt die Erlaubnis gegeben, eine dritte Wahlkabine aus Tafeln in der Schule selber zu bauen. Inzwischen war die Schlange sicher 200 Meter lang.
Spätestens ab 15 Uhr war klar: Die Stimmzettel werden nicht ausreichen. Dem Wahlvorstand wurde vom Bezirksamt am Telefon nur gesagt, es könnten keine neuen Stimmzettel geliefert werden, die müsse man schon selbst abholen. Als einer der Wahlhelfer im Rathaus Pankow ankam, musste er erst lange einen Ansprechpartner suchen. Irgendwann hat er im Keller jemanden gefunden und man hat ihm auch Stimmzettel gegeben. Allerdings, wie er dann im Wahllokal feststellte, die falschen. Als dann ein anderer Wahlhelfer wieder zum Rathaus Pankow gefahren war, waren sämtliche Stimmzettel ins Rathaus Weißensee gebracht worden. Einen Grund dafür konnte niemand geben. Dort warteten aber schon viele andere verzweifelte Wahlhelfer aus anderen Wahllokalen mit den gleichen Problemen. Es dauerte ewig.
Ausgezählt haben wir dann noch bis 2 Uhr nachts
Ich stand seit 14.30 Uhr vor dem Wahllokal und habe versucht, den großen Andrang irgendwie zu kontrollieren. Derweil sind andere Wahlhelfer mit ihren Fahrrädern zu benachbarten Wahllokalen gefahren, um dort Stimmzettel zu leihen. Irgendwann kam eine Wahlhelferin aus einem anderen Wahllokal weinend zu mir, weil sie die Beschimpfungen nicht mehr ertragen hat. Vom Bezirksamt war niemand zu sehen.
Um 17 Uhr waren bei uns die Stimmzettel aus, die Wahl musste unterbrochen werden. Ich habe versucht, die Leute, die warteten, irgendwie zu beruhigen. Um 17.45 Uhr haben wir alle gebeten, auf den Schulhof zu gehen, damit wir kontrollieren können, wer schon vor 18 Uhr da war. Dann habe ich von 18 Uhr bis 20.30 Uhr an dem Tor gestanden und versucht, irgendwie den Überblick zu behalten. Ich weiß nicht, ob es vielleicht andere Zugänge zu dem Schulhof gab. Den Wählern, die zur Toilette gehen mussten, ihre Kinder nach Hause bringen wollten oder sich nur etwas zu trinken holen wollten, habe ich ihre Wahlbenachrichtigungen markiert – nur so konnte ich erkennen, wer schon vor 18 Uhr da war. Ob nicht doch Menschen gewählt haben, die nicht vor 18 Uhr ankamen, kann ich nicht genau sagen. Die Stimmung war fatalistisch, die Leute haben sich über den Zaun Bier und Wein bringen lassen, Kinder haben ihren Eltern was zu essen gebracht – alle waren total entsetzt. Viele haben auf ihren Handys die Wahlsendungen verfolgt, einige sind gegangen. Um etwa 19 Uhr konnte die Wahl wieder aufgenommen werden, da es endlich wieder Stimmzettel gab. Um 20.30 Uhr haben die Letzten gewählt.
In der ganzen Zeit gab es vom Amt keinerlei Hilfe. Ich musste gegenüber der Polizei, die irgendwann auftauchte, die Verantwortung übernehmen, warum das Wahllokal noch immer geöffnet war. Kein einziger Mitarbeiter der Bezirksamts hat sich blicken lassen, den ganzen Tag nicht. Ausgezählt haben wir dann noch bis 2 Uhr nachts.
Beste Grüße, J. Knigge
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