Analyse

Steigende Preise und Lieferengpässe: So dramatisch ist die Situation wirklich

Lieferengpässe, Inflation und Preiseanstieg bedrohen die Wirtschaft, aber stärken auch die Position gut ausgebildeter Arbeitnehmer. Seien Sie 2021 also mutig!

Die Preise für Schiffscontainer auf der Überfahrt von Schanghai nach Hamburg haben sich seit Januar 2019 verzehnfacht.
Die Preise für Schiffscontainer auf der Überfahrt von Schanghai nach Hamburg haben sich seit Januar 2019 verzehnfacht.Imago

Berlin-Haben Sie in diesen Tagen auch schon Schwierigkeiten gehabt, das passende Weihnachtsgeschenk für Ihre Lieben zu bekommen? Vielleicht eine Playstation 5? Und Sie waren erfolglos? Dann geht es Ihnen wahrscheinlich wie Millionen anderer Menschen derzeit in diesem Land. Ob Elektrogeräte, Waschmaschinen, Basketbälle oder einfach die Weihnachtsgans. In den Geschäften und Onlineshops sind viele Artikel „derzeit nicht lieferbar“. Und das, obwohl viele Bürger in den vergangenen zwei Jahren durch Lockdowns und die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung viel Geld gespart haben. Trotzdem gibt es derzeit Schwierigkeiten, die Konsumnachfrage der Bürger zu befriedigen.

Und auch wenn wir jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken sollten, sollte uns die wirtschaftliche Situation in Deutschland und weltweit beunruhigen, denn die Weltwirtschaft befindet sich derzeit in einem Ausnahmezustand. Das lässt sich vor allem an den derzeitigen Lieferengpässen ablesen. Hier ein paar Beispiele: Die Firma Rotkäppchen-Mumm etwa gab kürzlich bekannt, dass Sekt in den nächsten Wochen knapp werden könnte. Der Grund: Holzpaletten für den Transport seien derzeit kaum zu bekommen. Weihnachtsgänse sind auch ein knappes Gut, das liegt vor allem an der derzeit in Europa grassierenden Vogelgrippe. Die meisten Vögel sind bereits an die Gastronomie verkauft, wer eine im Handel ergattert, muss bis zu 40 Prozent mehr zahlen als noch im vergangenen Jahr. Und die begehrte Spielekonsole Playstation 5 ist nicht zu bekommen, weil es immer noch einen Engpass bei Computerchips gibt.

Schiffcontainer von Shanghai nach Hamburg kosten das Zehnfache

Die Gründe für diese Knappheit sind vielfältig und auch durch die Pandemie zu erklären. Denn im vergangenen Jahr wurden viele Produktionskapazitäten reduziert und Arbeitnehmer teilweise in Kurzarbeit geschickt, als das Leben dann zurückkam, konnten die Wirtschaft und die komplexen Lieferketten nicht schnell wieder reaktiviert werden. Derzeit etwa stauen sich in den größten Häfen der Welt die Containerschiffe. Selbst Container sind Mangelware. Das verzögert nicht nur die Lieferzeiten, sondern sorgt vor allem für steigende Preise. Im Januar 2019 kostete es rund 2000 Dollar einen Container von Shanghai nach Hamburg zu verschiffen. Im September 2021 kostete das Ganze dann schon 20.000 Dollar - also das Zehnfache.

Zudem haben alle Branchen derzeit mit einem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen, denn viele Arbeitnehmer haben während der Corona-Pandemie ihren Arbeitgeber gewechselt. Und verdienen inzwischen in anderen Branchen mehr Geld. Wenige wollen zurück in ihre schlechter bezahlten vorigen Jobs. Das wird vor allem in der Gastronomie deutlich, viele Berliner Restaurants arbeiten derzeit auf Notbetrieb, sie finden einfach keine Mitarbeiter. Um die Attraktivität zu erhöhen, forderte der Gaststättenverband Dehoga kürzlich einen monatlichen Mindestlohn von 2535 Euro und damit ein plus von 36,4 Prozent. 

Und die steigende Nachfrage führt überall zu einem knappen Angebot, das die Preise steigen lässt. Ein Freund, der mit Rohstoffen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen handelt, erzählte mir vergangene Woche, dass er innerhalb von wenigen Wochen Kalidünger mit einer Bruttomarge von 100 Prozent weiterverkauft habe. Und er wegen der derzeitig hohen Gaspreise aktuell Weizen kaum mehr mit Binnenschiffen zu den Mühlen transportieren könne, weil etwa der Energieriese RWE für viel Geld bundesweit Frachtkapazitäten blockiere, um Kohle zu den Kraftwerken zu bringen. Statt 1000 Tonnen per Schiff zu transportieren, müsse der Freund jetzt seine Rohstoffe per Lkw, der nur 25 Tonnen Frachtkapazität hat, transportieren. Auf die Frage, ob an Weihnachten jetzt die Brötchen knapp werden, sagt er: „Ich glaube nicht, aber teurer werden sie in den nächsten Wochen schon werden.“

Die Inflation galoppiert mit 5,2 Prozent jährlich

Das Statistische Bundesamt hat für diesen Zustand auch schon die richtige Zahl parat: Innerhalb eines Jahres hätten sich die Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte um rund 18 Prozent verteuert. Und dieser Angebotsschock führt für den Verbraucher zu einer Geldentwertung, weil er für das gleiche Geld weniger Waren kaufen kann. Im November lag die Inflationsrate in Deutschland bei astronomischen 5,2 Prozent. Das heißt, wenn Sie 100.000 Euro verdienen, bleiben Ihnen davon nach einem Jahr nur noch 94.800 Euro. 

Und neu an der Situation ist, dass die Inflation zwar gerade galoppiert, wir aber kaum Wirtschaftswachstum haben. Laut Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) hätten die Lieferengpässe im Jahr 2021 das deutsche Sozialprodukt immerhin 40 Milliarden Euro und damit deutlich mehr als 1 Prozent Wachstum gekostet. Laut Wirtschaftsexperte Bert Rürup befinden wir uns derzeit deshalb in einer gefährlichen Phase der „Stagflation“. Und zur ungünstigen Gesamtsituation trägt jetzt zusätzlich das Auftauchen einer neuen Coronavariante bei, die den deutschen Leitindex Dax in dieser Woche auf Talfahrt (mehr als 1000 Punkte Minus) schickte.

Die gute Nachricht: Es gibt Hoffnung

Allerding gibt es auch Zeichen der Hoffnung für die Zukunft, denn wenn die Preise der Produkte steigen, dann überlegt der Kunde sich vielleicht, nicht jedem Kaufimpuls nachzugeben, und ein Teil der billig produzierten Schrottprodukte wie Fast Fashion verschwindet immer mehr aus den Regalen. Und auch für gut ausgebildete Arbeitnehmer in den westlichen Industrieländern hat die derzeitige Situation in Kombination mit der Demografie - Tausende Babyboomer gehen jetzt Monat für Monat in Rente und stehen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung - auch Vorteile. Denn ihre Arbeitskraft wird in Zukunft mehr denn je gebraucht, das verbessert die Situation der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber. Hört sich vielversprechend an? Dann wissen Sie jetzt also, welche Vorsätze Sie sich für das neue Jahr vornehmen sollten: Fordern Sie von Ihrem Chef eine saftige Lohnerhöhung. In meiner Heimatstadt Dortmund sagt man dazu: Harte Arbeit, ehrlicher Lohn.


Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.