Pro & Contra

Regt Euch ab: Joshua Kimmich steht nicht am Pranger, er soll bloß nachdenken

Joshua Kimmich kann sich alle zwei Tage testen lassen – und er hat Zugang zu den Antworten, die er so dringend braucht. Er ist privilegiert.

Der Fußballer Joshua Kimmich
Der Fußballer Joshua KimmichAFP

Berlin-Der Bayern-Spieler Joshua Kimmich hat sich bisher nicht gegen das Corona­virus SARS-CoV-2 impfen lassen. Das hat er im TV-Sender Sky nach dem Spiel gegen Hoffenheim zugegeben. Er habe „persönlich noch ein paar Bedenken, gerade, was feh­lende Lang­zeitstudien angeht“, sagte der 26-Jährige. Gleichzeitig schloss er eine Impfung nicht aus. Derzeit wird Kimmich, der auch in der Nationalmannschaft spielt, alle zwei Tage getestet. Seine Aussa­gen haben viel Kritik hervorgerufen, unter anderem von der Ständigen Impf­kommission und dem Deutschen Ethikrat. Am Mittwoch verlor Bayern gegen Borrusia 0:5. Unser Autor Sören Kittel kritisiert Kimmichs Meinung. Lesen Sie hier auch die Gegenmeinung aus unserem Pro-und-Contra-Teil der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung, verfasst von Milosz Matuschek.

Der Fußballkommentator Tom Bartels konnte es sich am Mittwoch beim Spiel Bayern gegen Mönchengladbach nicht verkneifen: „Und natürlich schauen auch wir auf Joshua Kimmich“, sagte er bei der Liveübertragung, „nachdem er dargelegt hat, dass er sich nicht impfen lassen möchte, mal schauen, ob ihm etwas anzumerken ist.“ Es war ihm nicht viel anzumerken – außer vielleicht die Frustration, die er mit seinen Teamkollegen teilte, nach dem 0:5 seiner Mannschaft.

Doch Kimmich hatte aus ganz anderen Gründen bereits eine anstrengende Woche hinter sich. Der 26-Jährige war ganz plötzlich von einem Experten fürs Toreschießen zu einer Ikone der Impfgegner geworden. Er hatte am Wochenende bei einem Interview mit dem Sender Sky gesagt, dass er sich erst einmal nicht impfen lassen wolle, und begründete das so, wie es auch die große Zahl der Erzgebirgler tun, die in Deutschland die niedrigste Impfquote haben: Mit der viel zitierten Langzeitstudie, die es eben noch nicht gebe. Kimmich reichen also sieben Milliarden verabreichte Impfdosen weltweit nicht aus, um ihn zu überzeugen. Wahrscheinlich werden es auch die nächsten sieben Milliarden nicht tun.

Doch beschäftigen wir uns zunächst mit den Argumenten meines Gegners auf dieser Seite. Beginnen wir mit dem, was Berliner besonders elektrisiert: der Vorfall im Berghain. Da feiert also ein Club nach 2G-Vorschriften eine Party und es kommt zu einer Verbreitung der Krankheit Covid-19. Was mein Kollege aber unterschlägt: Bisher hatte keiner dieser Clubgänger einen schweren Verlauf. „Es sind keine Hospitalisierten gemeldet worden“, lässt sich ein Arzt zitieren. Die Party wird auch an diesem Wochenende stattfinden, wieder nach den 2G-Maßnahmen, und diejenigen, die sich dorthin begeben, gehen damit ein überschaubares Risiko ein, solange sie geimpft sind.

Ein zweites Argument, das häufig genannt wird, ist das Problem der Langzeitfolgen nach der Schweinegrippe. Mein Kollege unterschlägt auch hier die echten Zahlen und Fakten, weil die seine Argumentation stören: Von rund 90 Millionen verabreichten Dosen der Schweinegrippe-Impfung hatten 500 Fälle die angesprochene Narkolepsie. Eine derart seltene Nebenwirkung kann in keiner Studie entdeckt werden.

Redakteur Sören Kittel
Redakteur Sören KittelEnya Mommsen

Ganz abgesehen davon, dass mein Kollege durch seine umständliche Wortwahl besonders aggressiv klingt („Unterwerfungsmobbing“ und „Hinrichtungsbarbarei“), ist es ihm nicht gelungen, wirklich zu erklären, warum es sinnvoll ist, sich am Ende des zweiten Jahres einer Pandemie gegen die einzig mögliche Maßnahme zu ihrer Eindämmung zur Wehr zu setzen. Die Impfung reduziert nun einmal nachweislich nicht nur die Möglichkeit eines schweren Verlaufs, sondern auch von Long-Covid – verkürzt die Dauer der Ansteckung.

Ja, es gibt Impfdurchbrüche und die sind nicht neu, die waren von der Wissenschaft immer eingepreist. Deshalb schützt die Impfung zu 95 Prozent und nicht zu 100 Prozent. Deshalb raten die Ärzte zu Boosterimpfungen. Aber die Impfung deshalb abzulehnen, ist schlicht nicht logisch. Es ist sogar gefährlich. Man kann die Aussage von Christian Drosten nicht oft genug wiederholen: Diejenigen, die sich nicht impfen lassen, werden diese Krankheit auf jeden Fall bekommen. Deren Langzeitfolgen sind noch nicht genug erforscht, weil die Krankheit noch nicht einmal zwei Jahre grassiert. Aber schon jetzt ist klar, dass sich das Virus in unterschiedlichen Körperteilen einnistet und nicht daran denkt, den Körper zu verlassen.

Und zum Thema Mobbing: Niemand wird hier „gecancelt“. Im Gegenteil, hier wird viel zu viel Platz eingeräumt für eine Position, die mit falschen Zahlen arbeitet, aber mit Ängsten spielt. Joshua Kimmich ist privilegiert, weil er jeden zweiten Tag getestet wird. Doch das Problem ist: Kimmich hat wie jeder Bürger dieses Landes Zugang zu dem Wissen um das Virus und er hat sich aktiv für das höhere Risiko entschieden. Er wolle nur Fragen stellen, heißt es. Er hat nun Antwort bekommen – und sollte danach handeln. Wie sagen die Amerikaner, wenn sie sich impfen lassen: Take one for the team, Joshua.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.