Es ist, als würden wir in einer Zeitschleife festhängen. Bald ist Weihnachten und das Virus tut alles, um uns das Fest zu vermiesen. Wie vor einem Jahr. Damals, am 13. Dezember, beschloss die Bundesregierung den harten Lockdown, die Kontaktbeschränkungen hatten Folgen für große Familientreffen. Und heute? Kann man sich angesichts der Infektionszahlen überhaupt auf Weihnachten freuen? Hier das Ja. Und jetzt das Nein.
Auch ich habe Post aus Himmelpfort bekommen. Es ist schon eine Weile her, ich muss sechs gewesen sein. Es war der Startschuss meiner Weihnachtsliebe. Wochenlang wartete ich damals geduldig auf die Antwort vom Weihnachtsmann, als sie kam, wähnte ich mich im siebten Weihnachtshimmel. Seitdem laufen traditionell schon Ende November bei mir die Weihnachtsplatten, es wird gebacken (nur ohne Rolf Zuckowski als Begleitmusik) und über die Jahre konnte ich eine unterhaltsame Sammlung bizarrer Weihnachtsmode anhäufen. Kurzum: In Weihnachtsstimmung komme ich eigentlich immer, zur Not hilft Glühwein in der Kälte.
Nun muss ich nicht nur ernüchtert feststellen, dass der Typ in Brandenburg offensichtlich verlottert ist und vollkommen wahllos Post an mehr oder weniger sehnsüchtig wartende Kinder verschickt und dass ich mit dieser Erkenntnis meine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte neu schreiben sollte. Die Himmelpfort’sche Weihnachtswerkstatt scheint immer mehr eine Seniorenresidenz für abgehalfterte Engel und alte weißbärtige Männer zu werden, die neben willkürlich verschickten Briefchen auch das Schönste an Weihnachten vergessen: die Überraschung.
Doch nicht nur der Weihnachtsmann und seine Helferinnen und Helfer verlieren sich in unbesinnlichen Weihnachtsüberraschungen, auch wir als Land schlittern ins sogenannte Corona-Weihnachten 2.0. Nach dem ersten Pandemieweihnachten 2020 – mit all seinen merkwürdigen Regeln – folgt nun die Fortsetzung. Wie bei allen Weihnachtsfilmen ist sie meist schlechter als das Original. Oder mussten Sie bei „Kevin allein in New York“ noch so richtig lachen?
Wie im vergangenen Jahr gibt es auch jetzt wieder eine Corona-Mutation als Weihnachtsbescherung. Nach Delta im Dezember 2020 nun also Omikron. Am Donnerstag wurden bei der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten die nächsten „härteren“ Regeln beschlossen: strengere Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte soll diese Gruppe zum Impfen bewegen, Clubs und Diskotheken werden bei Inzidenzen ab 350 geschlossen, auch für Geimpfte gelten wieder Teilnahmeobergrenzen bei privaten und öffentlichen Veranstaltungen.
Wieder schränken sich Vorsichtige und Verantwortungsvolle ein, weil Politik und Gesellschaft versagen
Wie im vergangenen Jahr ist es auch dieses Jahr wieder vollkommen unsicher, wie man sich in der Weihnachtszeit verantwortungsvoll treffen soll. Meine jährliche Schrottwichtelrunde habe ich bereits abgesagt. Zu groß die Sorge, beim schadenfrohen Lachen über die Verteilung der Ramschgeschenke Freundinnen und Freunde mit Omikron-Aerosolen anzuprusten. Trotz vorab auferlegter 2G-plus-Regelung. Noch ein Zeichen für meinen heimischen Shutdown, er beginnt wie im vergangenen Jahr schleichend: Die ersten digitalen Glühweintreffen habe ich auch schon hinter mich gebracht. Dabei lebt der Dezember doch vom Beisammensein mit der Sippschaft, von Treffen mit der Wahlverwandtschaft.
Und wieder schränken sich Vorsichtige und Verantwortungsvolle ein. Wieder müssen sie das tun, weil Politik und Gesellschaft versagen. Selbst nach knapp zwei Jahren bekommt dieses Land die Pandemie nicht in den Griff. Gesundheitsämter sind weiter überlastet, die digitale Nachverfolgung Infizierter gelingt kaum. Für wirklich harte Maßnahmen hat die Politik nicht ausreichend Mut, sich mit der lauten Minderheit der Ungeimpften und rechten Querulanten anzulegen. Dabei beweisen Studien immer wieder, dass ein landesweiter kurzer, aber umfassender Shutdown als Wellenbrecher funktioniert. Gleichzeitig ließ die neue Bundesregierung die epidemische Notlage auslaufen. Ist es das richtige Signal an Impfunwillige, die insbesondere die Gefahr von Covid-19 immer wieder angezweifelt haben?
Der Deutschen Presse-Agentur sagte die Psychotherapeutin Christina Jochim vor kurzem, dass beim zweiten Corona-Weihnachten in Folge „weniger Ängste und viel mehr Ärger und Frustration im Spiel“ seien. Selten konnte ich einer Expertin mehr zustimmen. Statt „Kevin“ werde ich dieses Jahr also miesepetrig „Der Grinch“ gucken.
