Liebe & Sex

„Für mich war Tinder zu romantisch, also probierte ich eine Hook-Up-App aus“

Unser Autor lebt in Kreuzberg. Nach einer Trennung schaute er sich bei Tinder um. Doch seine Dates fühlten sich falsch an. Dann zog es ihn auf eine Hook-Up-App.

Tinder ist fürs Dating okay. Aber es gibt nicht nur diese App.
Tinder ist fürs Dating okay. Aber es gibt nicht nur diese App.imago

Berlin-Seit zwei Jahren bin ich Single, seit zwei Jahren ringe ich nach einer Trennung mit mir selbst und mit der Frage: „Was will ich eigentlich im Leben? Was für eine Beziehung ist die richtige?“ Ich bin 35 und müsste es eigentlich wissen. Aber... Das Leben läuft nicht so, wie es die Schablonen der Eltern wollen. Eines habe ich in den vergangenen zwei Jahren gelernt: Innere Unruhe und Ungewissheit sind nicht die besten Voraussetzungen, um sich auf den Dating-Markt zu werfen. Man sollte wissen, was man will.

Was wäre, wenn wir jeden Tag Sex hätten?

Von Pelén Boramir-Nabbs

07.08.2021

Ich möchte das mit einem Beispiel skizzieren. Als ich mich ein paar Wochen nach meiner Trennung auf der Dating-App Tinder angemeldet hatte, traf ich eine bildhübsche Frau in einem Kreuzberger Café zu einem ersten Date nach meinem persönlichen Trennungsdesaster. Sie hatte in ihrem App-Profil keine weltbewegenden Informationen hinterlassen, lediglich ihr Alter, ein paar Bilder aus Berlin und die Botschaft, dass sie sich fürs Schachspielen, Filmkunst und Schokolade interessiert. Ich wiederum habe wissentlich verschwiegen, dass ich gerade eine Trennung durchlaufen hatte. Im Grunde war dieses Treffen nach dem Match nahezu ein klassisches Blind Date, bei dem beide Kandidaten nichts übereinander wissen – und beide Vorstellungswelten angepasst werden müssen.

Manchmal will man einfach keine feste Beziehung

Als wir dann in dem Café saßen und ich, während ich sie anschaute, immer wieder an meine Ex-Freundin denken musste, bemerkte ich, dass mir das Date völlig entglitt. Die Frau vor mir berichtete von ihrem langen Singledasein, vom Bedürfnis, endlich die Liebe ihres Lebens zu finden, ein Haus zu bauen, Kinder zu bekommen, in Charlottenburg sesshaft zu werden und all diese Kreuzberger Luftikusse hinter sich zu lassen, die Träumer und Unentschlossenen, die ihr nun schon seit mehreren Jahren das Dating-Leben zur Hölle machen. Ich gestehe: Schweißperlen standen mir auf der Stirn. Ich kann nicht sagen, dass ich dieses Date dafür nutzen wollte, um mit der mir gegenüber sitzenden Frau gleich ins Bett zu hüpfen. Aber über Heiratspläne hatte ich weiß Gott nicht nachgedacht. Zugegeben: Es war nicht das beste Match für ein unverbindliches Treffen nach einer Trennung. 

Nach mehreren Stunden Gespräch verabschiedeten wir uns. Was folgte, war ein Chatverlauf, der mir Ausreden abverlangte, um ein weiteres Date zu vermeiden. Unsere Vorstellungen passten einfach nicht zusammen. In den folgenden Monaten machte ich immer wieder diese Erfahrung und bemerkte schlicht, dass ich noch nicht bereit bin für eine feste Beziehung. Klar, mir ist schon bewusst, dass auch dieser Satz bereits Teil eines Repertoires von Mitte-Dreißig-Jährigen ist, die sich in Berlin nicht richtig binden wollen, nicht klar kommen im Leben, die ihr nonchalante Existenz so lange ausreizen möchten, wie es nur geht. Aber seien wir doch mal ehrlich! Die Gründe für den Wunsch, einen Menschen ohne Druck, ja ganz unverbindlich treffen zu wollen, können unterschiedlich sein und müssen nicht immer auf eine Beziehungsstörung, eine misslungene Kindheit oder einen narzisstischen Knacks hinauslaufen. Manchmal will man einfach keine feste Beziehung. That‘s it. Und das gilt für Männer sowie für Frauen.

Die Geschlechterklischees

Eins kann ich sagen: Die nächsten Monate waren für mich nicht einfach. Immer wieder kam ich in Situationen, in denen ich merkte: „Nein, ich möchte nichts Festes, bloß ein Treffen ohne Verbindlichkeiten, gerne mit Sex, aber ohne Beziehung.“ Ich traf nicht immer auf Frauen, die das gut fanden. Doch es wäre gelogen, zu sagen, dass in der Online-Datingwelt nur Männer nach dem schnellen Sex suchen. Das wäre ein falsches Klischee. Ich wollte ehrlich zu mir und zu meinen Partnerinnen sein. Also warum nicht konkret sein? Mir sagte ein Freund, dass ich in mein Profil schreiben solle, wonach ich suche. Doch ich wollte mich nicht als Abziehbild Kreuzberger Stereotypen präsentieren. Was hätte ich schon in mein Profil schreiben sollen? „Mann, 35, sucht nach etwas Lockerem.“ Wirklich? Schon beim Lesen dieses Satzes dreht sich mir der Magen um. 

Mir wurde irgendwann klar, dass es so nicht weitergehen kann. Ich musste weg von Tinder. Was tat ich also? Ich sah mich im Internet um, ob es noch andere Apps gibt – und landete auf der App „Pure“, auf einer Hook-Up-App, die insbesondere in Indien und im englischsprachigen Ausland häufig genutzt wird. Das Besondere an der App: Wenn man sich matcht und beim Swipen zueinander findet, sind die Profile anonym und informationsarm. Die weiblichen Profile sind meistens ohne Bild, so dass man mit fingiertem Namen miteinander sprechen und schreiben kann. Bei der App sind die Erwartungen ganz klar: Alle suchen nach etwas Unverbindlichem. Männer wie Frauen. Es gibt keine Enttäuschungen und keine falschen Erwartungen. 

Die folgenden Wochen zeigten mir, dass es eben doch ein Klischee ist, dass immer nur der Mann derjenige ist, der beziehungsgestört nach etwas Flüchtigem sucht und die Frau händeringend nach der Hochzeitsnacht. Ganz im Gegenteil. Ich lernte viele emanzipierte Frauen kennen, die in einer ähnliche Situation waren wie ich. Die keine Beziehung suchten, sondern einfach: Sex. Leidenschaft. Körperkontakt. Ein paar intensive Stunden. Ich lernte Literaturwissenschaftlerinnen kennen, die an ihrer Promotion arbeiteten und einfach keine Zeit für eine Beziehung hatten. Oder Managerinnen, die keine Lust hatten auf ihre Ehemänner, dafür aber auf anonyme Affären und Spaß. Mein Bild von den Klischees der Geschlechter wurde nachhaltig korrigiert. Die Suche nach Abenteuern geht weiter, aber eben auf Augenhöhe, ehrlich und transparent. Und wer weiß?! Vielleicht brauche ich genau das: Eine Frau, die auch so verletzt ist wie ich. So könnte vielleicht doch noch etwas Festes entstehen.

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