Viktoriapark in Kreuzberg
Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, auch die, die erst seit zwei Wochen in dem an Friedrichshain angrenzenden Stadtteil leben, sind in der Regel voll lokalem Besitzerstolz, wenn das Wort „Viktoriapark“ fällt. Die höchste natürliche Erhebung in „61“ gilt den Einwohner des Stadtteils als Versicherung, an einem Stück Geschichte teilzuhaben. An welchem, spielt bei den Kreuzbergern und Kreuzbergerinnen eher eine untergeordnete Rolle.

Am 18./19. August 2021 im Blatt:
Rot-Grün-Rot hat laut Umfragen eine Mehrheit im Bundestag von 52 Prozent. Ist das ein linkes Schreckgespenst oder Rettung aus der Not?
Annalena hat wenig Chancen auf das Kanzleramt. Wird Robert Habeck in vier Jahren also der erste grüne Regierungschef? Wir haben ihn für unsere große Reportage getroffen.
Wir haben Mitleid mit Carsten Maschmeyer, dem Drückerkönig und Zentrum der Maschsee-Connection. Denn er gibt tiefe Einblicke in sein Seelenleben.
Kolumne „Berlin Brutal“: Bye-bye, urbanes Paradies: Warum die Oderberger Straße eine Zumutung ist
https://berliner-zeitung.de/wochenendausgabe
Dass mit dem neogotischen Denkmal auf der Spitze des zu steilen Berges preußischer Kriegsherrlichkeit gedacht wird, scheint seltsamerweise da, wo sonst voller Awareness jeder gesellschaftlicher Aspekt bedacht wird, egal, wenn es darum geht, im Park seinen Spaß zu haben. Seite an Seite ist man in Kreuzberg sonst gegen Gentrifizierung, Mietenwahn und Autolobby, fürs Gendern und ein unbebautes Tempelhofer Feld. Beim Viktoriapark werden einfach ganz fest beide Augen zugedrückt, der Ausblick ist aber auch zu schön. Wen juckt da die Geschichte des Schinkeldenkmals, des Nationaldenkmals für die Befreiungskriege, mit dem „bedeutenden Schlachten“ gedacht werden soll? Richtig. Keinen. Hier kommt man her, um sich zu betrinken oder den Ausblick über die Stadt zu genießen.
Auf der Höhe der Pandemie war die Aussichtsplattform geschlossen, und das ist irgendwie sinnbildlich für diesen doch in gewisser Weise uncharmanten Ort mit seinem albernen künstlichen Wasserfall und den zu steilen Wegen hinauf. Wer schnaufend oben angekommen ist, dem ist auch schon bald alles wurscht, da sagt es sich ganz unterm Kriegsdenkmal dann mit letztem Atem ganz wie von selbst Adieu, wo aller Schlachten gedacht wird, kann man auch die eigene zu Ende bringen. Wieder unten angekommen, geht man dann niedergeschlagen oder mit leichtem Herzen getrennter Wege und besäuft sich in einer der an den Park und seinen albernen Wasserfall angrenzenden Kaschemmen. Marcus Weingärtner

Spreebalkon in Kreuzberg
Eine ältere Frau sonnt sich, nur im Bikini, ein schwules Pärchen streitet sich betont leise, aber mit schneidenden Stimmen und drei Jugendliche teilen sich eine Wodkaflasche. Ein typischer Sonntagvormittag am Spreebalkon. Es ist: der beste Ort zum Schlussmachen in ganz Berlin.
Wenn man von der Markthalle 9 in Kreuzberg in Richtung Spree läuft, führt die Eisenbahnstraße direkt auf den Spreebalkon zu. Früher gab es an dieser Stelle einmal eine Brücke, die wurde abgerissen, dann war jahrelang die Sicht wegen einer Mauer versperrt – im Jahr 2007 schließlich wurde diese Metallstruktur eröffnet. Die Stadt Berlin schreibt diesen schönen Satz über diesen Ort auf ihrer Website: „Der Spreebalkon ist der markante Vorbote der umfassenden Aufwertung eines spannenden Entwicklungsraums der Stadt.“
Um Gottes willen, was soll das bitte heißen? Was es wirklich ist: ein brachliegendes Projekt für eine Fußgängerbrücke, die es wohl nie geben wird, und ein kleiner Balkon, von dem noch nicht einmal die Anwohner richtig wissen, was sie damit anfangen sollen. Außerdem führt der Blick, den der Balkon bietet, wohl auf die deprimierendste Ecke von Berlin, das Neubauviertel rund um die Mercedes Benz Arena.
Man kann sich also dieser Tage dort auf den Balkon stellen und sich vorstellen, welche Scheichs aus Dubai wohl diese Wohnungen im Turm gekauft haben, für dessen Bau sogar ein Stück Berliner Mauer an der East Side Gallery abgebaut wurde. Und wer erinnert sich noch an die hochtrabenden Ideen, die einst mit dem Wort „Media Spree“ verbunden wurden? Da kommen die Tränen ganz von selbst.
Das Beste an diesem Trennungsort ist die Tatsache, dass man anschließend in getrennte Richtung gehen kann: einer Richtung Osten, einer Richtung Westen. Nur in einer der beiden Richtungen ist allerdings der Zalando-Outlet-Store. Dort soll es Adidas-Sneakers für zehn Euro geben. Das trocknet die Trennungs-Tränen. Sören Kittel

Zu Whitney Houston im Auto
Ich will nicht Schluss machen. Und ich will noch viel mehr nicht, dass mit mir Schluss gemacht wird. Nie wieder. Das Leben muss einfach nicht mehr so aufwühlend sein wie damals, als Beziehungen etwas waren, das man wie Kleidungstücke anprobierte und dann umtauschte, weil es doch nicht mehr passte, hier pikste, dort zwickte, plötzlich nicht mehr gefiel. Es soll auch bitte nicht mehr so anstrengend sein, puuh, diese ganzen Gespräche über gebrochene Herzen, zerstörte Träume, untergegangene Welten. Außerdem habe ich echt keine Lust mehr, mich wochenlang zu betrinken. Mich entweder als Trennungsopfer in Selbstmitleid zu suhlen oder mir als Trennungstäter selbst dafür die Schuld zu geben, dass es eben vorbei ist, zu Ende, tut mir leid, vielleicht können wir ja Freunde bleiben.
Aber wenn doch, also nur falls ich doch noch mal einen Schlussmachtag erleben sollte, dann hätte ich einen Wunsch, wie dieser aussehen könnte. Ich würde nämlich gern im Auto Schluss machen. Oder eben: Ich wünschte, mit mir würde während einer Autofahrt Schluss gemacht werden. Ich stelle mir das so vor: ein lauer Sommerabend, wir sind im Cabrio unterwegs, und während die Stadt sich in Land auflöst, hören wir Lieder aus Listen, die man im Netz findet: „Die traurigsten Trennungslieder aller Zeiten“, „Diese Lieder helfen wirklich bei Liebeskummer“, „11 Songs, die dich vor, während und nach der Trennung begleiten“. Da ist für jeden Trennungstyp etwas dabei.
Und das ist mein Soundtrack des Schlussmachens: „Nothing compares 2 U”, Sinead O’Connor, „You’ve got to hide your love away”, The Beatles, „Standing in the doorway”, Bob Dylan, der singt: „The ghost of our old love has not gone away“ – das erst mal als Einstieg, bis die ersten Tränen trocknen, und irgendwo in Brandenburg geht die Sonne unter. Dann: „Don’t speak”, No Doubt, „Take a bow”, Madonna, „Someone like you”, Adele, mit der Zeile: „Never mind, I’ll find someone like you“. Und als großes Finale: Whitney Houston und „I will always love you“, hach, schön, oder? Bliebe dann nur noch die Frage: Zu dir oder zu mir oder gleich im Cabrio? Paul Linke

Ein sauberer Cut am Alexanderplatz
Da ist der fransige Faden (längst kein Band mehr), der mich und meinen Ex-to-Be zusammenhält. Die Schere haben wir schon vor Tagen zurechtgelegt. Wir wissen beide, wer den Schnitt machen wird. Also treffen wir uns, um uns zu trennen. Es darf höchstens zehn Minuten dauern, denn es muss ein sauberer Cut sein, präzise und kalt. Emotionen beim Abschied? Das geht nur in schlechten Filmen gut.
Wir suchen einen Ort, an dem wir nicht länger bleiben wollen als unbedingt nötig, der nach Einkaufstütenplastik und Pisse stinkt und jeden romantischen Gedanken erstickt, bevor er sich dem Gegenüber offenbaren kann. Melancholie und Aber-was-wenn-wir-doch-Gespräche? Damit sind wir durch. Auf zum Alexanderplatz, zum besten Ort in ganz Berlin, um eine gescheiterte Beziehung zu beenden.
Wir treffen uns und um uns herum brodeln die Alltagsdramen: Jemand hat seine Pommes ohne Majo bekommen, ein anderer ein kaputtes Nextbike, und ganz bestimmt schlagen sich gleich zwei besoffene Männer. Unsere Liebe ist kälter als die majofreien Pommes. Wer also sind wir, um zu leiden? Wir sagen tschüss und wünschen uns das Beste, als wären wir nicht mehr als Karohemd-Kollegen. Dann verschwinde ich zwischen den Hässlichkeiten des Alexanderplatzes, um irgendwo unter einem prächtigen Laubbaum mein Herz mit Wodka zu wärmen.
Zugegeben, in der Vergangenheit praktizierte ich das Gegenteil dieses Szenarios. Da saß ich in meinem Lieblingsrestaurant, gegenüber der Mann, den ich immer noch liebte, und wir versagten dabei, unsere Tränen zu unterdrücken, die, tropf, tropf, tropf, das schon kalte Essen versalzten. Und wir saßen lange fest, denn wer will in so einem Zustand den Kellner an den Tisch bitten? In diesem Lokal meide ich bis heute den Platz, an dem wir eine wunderschöne Beziehung auf die emotionalste und damit schlimmste Weise beendeten. Olivia Kortas




