Krieg in der Ukraine

Berliner Hauptbahnhof: Wie auch Russen ukrainischen Geflüchteten helfen

Seit der russischen Invasion der Ukraine sind zehn Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Wie reagiert Berlin? Wir besuchen den Hauptbahnhof.

Ekaterina ist Russin, sie hilft Ukrainern am Hauptbahnhof. Seit zwei Wochen begrüßt die freiwillige Helferin Geflüchtete aus der Ukraine.
Ekaterina ist Russin, sie hilft Ukrainern am Hauptbahnhof. Seit zwei Wochen begrüßt die freiwillige Helferin Geflüchtete aus der Ukraine.Emma Bratt

Berlin-Der Krieg in der Ukraine ist seit einem Monat in dieser Stadt sichtbar - vor allem am Berliner Hauptbahnhof. Es ist Donnerstag, den 24. März, genau ein Monat seit der russischen Invasion der Ukraine. Seitdem sind in diesem Land, das nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt liegt, bis zu zehn Millionen Menschen vertrieben worden; davon sind 3,6 Millionen aus dem Land geflüchtet. Nach Angaben der Vereinten Nationen seien mehr als 225.000 davon nach Deutschland gekommen.

Jetzt dienen die allgegenwärtigen gelb-blauen Fahnen und Hinweisschilden in verschiedenen Sprachen dazu, diese Menschen bei ihrer Weiterfahrt zu helfen; sie zeigen den Weg zu dem Bus zum Flüchtlingslager im Tegeler Flughafen, oder zu der Spendenstellen für kostenloses Essen und Hygieneprodukten. Und überall im Bahnhof, zwischen den luftigen Etagen und Hallen, bewegen sich Freiwilligen in Warnwesten; sie sind bereit, Fragen zu beantworten, Menschen zu ihrem Zug zu begleiten – oder den Weg zu dem Spielraum für die Kinder zu zeigen.

Eine davon ist Ekaterina. Sie trägt eine orangefarbene Weste mit einem Namenschild und den Verkürzungen „RU“, „DE“ und „EN“ drauf; Das steht für die Sprachen, die sie kennt. Sie kommt ursprünglich aus Moskau. Am Anfang hatte sie Angst, dass die geflüchteten Ukrainer keine Unterstützung von einer Person aus dem Land, das in ihre Heimat einmarschiert ist, annehmen wollen würden. Aber es hat für sie keine solche Probleme gegeben.

„Viele Menschen, die ich getroffen habe, haben selbst Familie in Russland“, sagt sie. Sie hat selbst ihre Großeltern und Cousinen aus Kiew von der polnischen Grenze abgeholt und sie zur Sicherheit in Deutschland gebracht. Am Hauptbahnhof bekommt Ekaterina oft Fragen über Hilfsangebote in Deutschland gestellt, ob Berlin schön sei und welche anderen deutschen Städte sie Flüchtlingen empfehlen könne.

Berlin ist für viele Geflüchteten nur einen Zwischenstopp

Eine konkrete Zahl der bereits in Berlin angekommenen Menschen ist schwierig zu berechnen: Ein Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat am Montag dieser Woche bestätigt, dass seit dem 5. März 7000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Berlin registriert worden seien. Der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zufolge konnten aber bis zu zwei Drittel der Geflüchteten, die seit ihrer Ankunft privat untergebracht worden sind, noch nicht registriert werden. Wie viele dieser Menschen in Berlin bleiben wollen, ist ebenfalls unklar, denn die Stadt ist für viele nur ein Ausgangspunkt für die Weiterfahrt in andere Länder.

Dascha und Katja aus Kiew in dem Zelt des Berliner Senats am Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof.
Dascha und Katja aus Kiew in dem Zelt des Berliner Senats am Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof.Emma Bratt

Genau das ist der Fall bei Dascha und Katja. Am Dienstag waren sie nach fast 50 Reisestunden aus Kiew über Polen in Berlin angekommen. Aber ihre Reise ist noch nicht zu Ende, sie wollen beide weiter in die Schweiz fahren. Dascha will zu Verwandten, Katja will einfach einen Job im deutschen Nachbarland finden. Sie haben beide den Großteil ihrer Familien in der Ukraine zurückgelassen; ihre Väter kämpfen jetzt in der Armee, andere Familienmitglieder sind wegen älterer Verwandter oder großer Zuneigung zur Ukraine geblieben. „Wir können jetzt nur von Tag zu Tag planen“, so Katja. „In diesem Monat haben wir unser Geld, unsere Heimat und alle andere Pläne verloren.“

Die beiden jungen Frauen sitzen in einem großen weißen Zelt vor dem Hauptbahnhof, das seit dem neunten März vom Senat betrieben wird. Dort wird Essen verteilt, es gibt eine Spielecke für Kinder, Freiwillige der Berliner Stadtmission geben Informationen über weitere Busfahrten nach Tegel per Lautsprecher bekannt.

Koordinatoren für die Freiwilligen am Hauptbahnhof erzählen der Berliner Zeitung am Wochenende, sie wären froh über Angebote wie das Zelt und die Cateringstelle in der unteren Bahnhofshalle. Am Anfang mussten sie den Großteil der Betreuung der Geflüchteten selbst übernehmen, langsam bekämen sie mehr Unterstützung von den Behörden.

Aber es gibt noch viel zu tun: In einem Brief von letzter Woche an den Senat und Franziska Giffey beschwerten sich die Freiwilligen über „fehlende Kommunikationsstrukturen“ und ein Vorgehen, dass nur das Ziel habe, ankommende Menschen „so schnell wie möglich weiterzuleiten“, statt ihnen „mit menschenwürdigem Handeln zu begegnen“.

Bald wird der Krieg vorbei sein

Und es sind nicht nur organisatorische Probleme, mit denen die Freiwilligen zu kämpfen haben. Seit Beginn des Krieges kursieren Berichte von Männern, die am Berliner Hauptbahnhof junge ukrainische Frauen ansprechen und ihnen eine Unterkunft anbieten würden, mit dem einzigen Ziel, sie sexuell auszubeuten.

Ekaterina sagt, dass sie schon die Polizei rufen musste, denn ein Mann in einer orangenen Weste habe sich als Helfer ausgegeben und Frauen angesprochen. Svitlana und Nataliia, zwei Frauen mittleren Alters, die ebenfalls im Zelt sitzen, erzählen, dass sie auf der Flucht gehört hätten, „dass man allen Menschen vertrauen könne, die diese Art Weste tragen.“

Die beiden Frauen, Professorinnen an einer Universität in Kiew, sind sich nicht sicher, ob sie in Berlin bleiben wollen – sie haben Arbeitsvisa für die USA, wollen aber eigentlich nicht zu weit weg von der Ukraine reisen. Denn eines ist ihnen gewiss: Eines Tages wollen sie zurück nach ihrem Land, zu ihren Männern, die dort kämpfen. Sie sind davon überzeugt, dass der Krieg bald vorbei sein werde. Dascha und Katja haben da weniger Hoffnung, aber auch sie wollen so schnell wie möglich zurück in ihr Land, um beim Wiederaufbau zu helfen. „Meine Zukunft liegt in der Ukraine“, sagt Katja entschlossen.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.