Russland

Zwei Familien von russischen Gas-Baronen tot aufgefunden: Wer steckt dahinter?

Es könnte ein Zufall gewesen sein, doch mitten im Krieg glauben nur wenige an Zufälle. Was über die Tat in Russland bisher bekannt ist.

Das Logo der Gazprombank auf einem Gebäude in St. Petersburg, Februar 2022.
Das Logo der Gazprombank auf einem Gebäude in St. Petersburg, Februar 2022.SOPA Images via ZUMA Press Wire

Mit einem Zeitabstand von drei Tagen erschütterten zwei ähnliche Todesfälle die russische Businesselite. Der ehemalige Vizepräsident der Gazprombank, Vladislav Avayev (51), hat angeblich seine Frau und seine Tochter (13) getötet und danach Selbstmord begangen. Ihre Leichen wurden am Montag in ihrer Wohnung in Moskau gefunden. Alle starben durch Schusswunden einer Pistole, heißt es vonseiten der Ermittler. Die Verwandten hätten die Familie lange nicht erreichen können und die Polizei gerufen.

Am Donnerstag entdeckte dann die Polizei in der spanischen Stadt Lloret de Mar die Leichen der Familie des Geschäftsmanns Sergey Protosenya, der bis 2016 Hauptbuchhalter und Vorstandsmitglied des größten russischen privaten Energiekonzerns Novatek mit Sitz in Westsibirien war.

Vladislav Avayev
Vladislav AvayevSocial Media
Sergey Protosenya
Sergey ProtosenyaSocial Media

Seine Frau und die 18-jährige Tochter wurden Ermittlungen zufolge mit einer Axt ermordet. Protosenya selbst wurde erhängt aufgefunden. Sein geschätztes Vermögen betrug 2011 etwa 440 Millionen US-Dollar, in den letzten Jahren lebte er in Südfrankreich, hatte aber auch ein Haus in Lloret de Mar. Auch in diesem Fall konnte sein Sohn, der in Frankreich geblieben war, seine Familie nicht erreichen. Die spanische Polizei fand keine Abschiedsbriefe am Tatort, die den Selbstmord bestätigen oder erklären könnten. Auch die spanische Zeitung El Punt Avui zweifelt an dieser Theorie, ohne sie komplett auszuschließen.

„In Krisenzeiten verstärken sich die Widersprüche“

Man darf vermuten, dass es eine Verbindung zu den aktuellen Kriegsereignissen gibt. Hinzu kommt, dass die Gasindustrie ein Rückgrat für die Wirtschaft des postsowjetischen Russlands ist. Und sie befindet sich gerade wegen der Sanktionen in einer existenziellen Krise.

Es wäre jedoch zu einfältig, wie der Focus es tut, gleich einen Auftragsmord Wladimir Putins zu vermuten. Denn die Väter der Opferfamilien gelten in der russischen Businesswelt als Top-Manager und keine Oligarchen. Auch Putins emotionaler Ausfall vor einigen Wochen über die „Selbstreinigung“ der Gesellschaft von „Verrätern“ und „Abschaum“ betraf nicht unbedingt Oligarchen, sondern eher alle Russen, die wegen des Krieges Russland verlassen wollen oder verlassen haben. Avayev lebte aber weiterhin in Moskau, Protosenya hingegen in Frankreich, aber das schon seit längerer Zeit. Was noch interessant ist: Auch Avayev hatte Novatek-Aktien.

Ein Kenner der russischen Businesselite erzählte der Berliner Zeitung anonym, dass das Labyrinth der russischen staatsnahen Gaskonzerne voller Widersprüche verschiedener oft kleiner krimineller Clans sei, die sich um Finanzströme streiten würden. Es habe in den Gasprom-Strukturen in St. Petersburg einmal schon bestätigte Attentatsversuche untereinander gegeben.

„In Krisenzeiten verstärken sich diese Widersprüche“, sagt der Gesprächspartner der Berliner Zeitung. „Dies sind eben Anzeichen für die Zersetzung einiger Teile der Elite. Das Machtzentrum in Moskau wird zwar versuchen, die zentralisierte Kontrolle über diese Finanzströme zu erhöhen. Die Erfahrungen des Iran mit strengen Sanktionen zeigen jedoch, dass die Geheimdienste bzw. die Sicherheitskräfte in einer solchen Situation nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich an Gewicht gewinnen.“

Es ist immerhin sehr leicht, sich schweigende Teile der russischen Businesselite vorzustellen, die solche Todesfälle auf sich und ihr eigenes Sicherheitsrisiko beziehen. Unabhängig davon, was in den beiden Fällen wirklich passiert ist, lässt sich erahnen, dass die Mordfälle eine Wirkung auf den Rest der russischen Geschäftswelt ausüben werden – auch wenn Avayev und Protosenya tatsächlich einen erweiterten Selbstmord begingen.