Infrastrukturausbau

China in Rekordtempo: So kann Reisen in der Bahn sein – ein Erfahrungsbericht

Die schnellsten Züge, die beste Infrastruktur im Bahnhochgeschwindigkeitsnetz – ein System der Superlative. Und bald kommt der 1000-Stundenkilometer-Zug.

Hochgeschwindigkeitszüge stehen bereit am Bahnhof von Zhengzhou, 13 Millionen Einwohner, Hauptstadt der Provinz Henan.
Hochgeschwindigkeitszüge stehen bereit am Bahnhof von Zhengzhou, 13 Millionen Einwohner, Hauptstadt der Provinz Henan.imago

Vier Hochgeschwindigkeitszüge stehen am Bahnhof von Qingdao, der Zehn-Millionen-Stadt am Gelben Meer, zur Abfahrt nach Peking bereit, die aerodynamisch schlanken Triebköpfe Richtung Ausfahrt gerichtet. Zwei der Züge gehören der ersten Generation chinesischer Schienenflitzer an; sie tragen den Namen „Harmonie“ und sind für Geschwindigkeiten über 300 Stundenkilometer ausgelegt.

Die Züge der zweiten Generation bekamen einen Namen, der übersetzt etwa „Wiederauferstehung“ oder „Wiedererstarken“ bedeutet. Diese rasanten Flitzer beschleunigen auf mehr als 400 Kilometer pro Stunde. Chinesische Produkte, gebaut mit Technologie von Alstom, Siemens oder Shinkansen, der jeweiligen Klimazone – von kaltem Hochland bis tropischer Ebene – angepasst.

Der polierte weiße Steinfußboden des Bahnsteigs glänzt streifenfrei, kein Krümel, keine Kippe, kein Kaugummi. Nichts stört die Reinheit. Weiße, lichte Stahl-Glas-Konstruktionen überwölben die Bahnsteige auf ganzer Länge. Der hochmoderne, elegante Teil schmiegt sich an die Rückseite des alten Bahnhofsgebäudes von Qingdao, in Deutschland besser bekannt unter dem Namen Tsingtao, von 1897 bis 1914 Hauptstadt der deutschen Kolonie Kiautschou.

Genaue Sicherheitskontrollen

15 Minuten vor Abfahrt der Züge strömen die Passagiere mit ihren Koffern und Taschen heran und steigen ein. Sie haben sich nach der Sicherheitskontrolle – Ausweis, Ticket, Gepäckdurchleuchtung fast wie am Flughafen – im Wartebereich aufgehalten. Kein Gedränge, kein Geschiebe, alles fließt ruhig in wohlgeordneten Bahnen. Videokameras zeichnen das Geschehen auf.

Bahnhof von Qingdao, vier Hochgeschwindigkeitszüge stehen bereit. Hinten: Teile des erhaltenen sanierten und erweiterten Bahnhofsgebäudes aus deutscher Kolonialzeit.
Bahnhof von Qingdao, vier Hochgeschwindigkeitszüge stehen bereit. Hinten: Teile des erhaltenen sanierten und erweiterten Bahnhofsgebäudes aus deutscher Kolonialzeit.Maritta Tkalec

Der Zug zur Station Beijing Nan rollt auf die Sekunde genau los, und die roten Zahlen des Displays im Waggon zeigen bald die Reisegeschwindigkeit von 305 Kilometern pro Stunde über lange Strecken. Leise und rüttelfrei gleitet der Zug über die Schienen. Die Reise verläuft so, wie der Name des Zuges verheißt: in Harmonie.

In der Nähe von Siedlungen häufen sich die Lärmschutzwände. Neue Brücken überspannen Flüsse, ein Nebenarm des Gelben Flusses, dreimal so breit wie der Rhein, ist zu überqueren. Eine Kleinstadt fliegt vorüber, ein Blick auf einen Kirchturm voller Glocken ist zu erhaschen. Die geschätzt 70 Millionen Christen, vor allem Protestanten, gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten in China.

Drei oder viermal hält der Zug – in Millionenstädten, deren Namen in Deutschland kaum einer kennt, wie Zibo – mit 4,7 Millionen Einwohnern eine Stadt „mittlerer“ Kategorie. In etwas mehr als viereinhalb Stunden ist das etwa 650 Kilometer entfernte Ziel erreicht. Drei Minuten schneller als der Fahrplan versprochen hat.

Der Zug der nächsten Generation fährt ebenfalls zwischen Peking und Qingdao auf eigens für die höhere Geschwindigkeit verlegten Gleisen. Mit 400 Stundenkilometern erreicht er das Ziel nach drei Stunden. Die Zeitung China Daily meldete im Juni 2023, ein Zug der zweiten Generation habe eine Spitzengeschwindigkeit von 453 Kilometern pro Stunde erreicht.

Der Bahnhof der chinesischen Küstenstadt Qingdao, mit Sorgfalt gepflegtes koloniales Erbe aus der deutschen Zeit 1897 bis 1914
Der Bahnhof der chinesischen Küstenstadt Qingdao, mit Sorgfalt gepflegtes koloniales Erbe aus der deutschen Zeit 1897 bis 1914Maritta Tkalec

Und das ist nicht das Ende der Tempomöglichkeiten: Ein mitreisender chinesischer Geschäftsmann berichtet mit leuchtenden Augen, bald werde es noch schneller gehen, denn China entwickele Hochgeschwindigkeitszüge, die es auf Tempo 600 bringen: „Keine Zukunftsmusik“, sagt der Mann, „das werden wir in China bald erleben“, eine erste 300 Kilometer lange Teststrecke sei bei Schanghai in Betrieb.

Der Mitreisende erweist sich als gut informiert und weiß zu berichten: Die Züge der vierten Generation werden dann 1000 Stundenkilometer erreichen und aus Sicherheitsgründen in einer Röhre fahren – und zwar als Weiterentwicklung der deutschen Magnetschwebebahntechnik. Er sucht im chinesischen Internet (westliche Dienste wie Google sind nicht zugänglich) nach genaueren Informationen und übersetzt: Im April 2023 haben chinesische Entwickler den ersten erfolgreichen Test einer Magnetschwebebahn mit 1000 km/h Geschwindigkeit durchgeführt. Die sogenannte Hyperlooptechnologie nutzt die weitgehend luftfreie Röhre – das erlaubt enorme Beschleunigung und spart Energie.

Blick in die Bahnhofshalle mit Tonnengewölbe in Qingdao aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II.: Passagiere gehen durch eine Sicherheitskontrolle, bevor sie in die Wartehallen gelangen. Der Betrieb ist durchdigitalisiert.
Blick in die Bahnhofshalle mit Tonnengewölbe in Qingdao aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II.: Passagiere gehen durch eine Sicherheitskontrolle, bevor sie in die Wartehallen gelangen. Der Betrieb ist durchdigitalisiert.Maritta Tkalec

Magnetschwebebahn – Ältere erinnern sich: Den deutschen Transrapid (Siemens und ThyssenKrupp), der 1991 die technische Einsatzreife erlangt hatte, wollte in Deutschland keiner, die Teststrecke im Emsland wurde 2011 stillgelegt. Die einzige Transrapidstrecke der Welt ging am 31. Dezember 2002 in Schanghai in den Regelbetrieb, als Zubringer zum Flughafen. In Deutschland blieben die Planungen für Strecken – zwischen Berlin und Hamburg oder als Flughafenzubringer in München – Mitte der 1990er stecken. In China wurde die Technik weiterentwickelt. Der Mitreisende lobt deutsche Technik und ist überzeugt: Die Zukunft mit superschnellem Tunnel-Magnettechnik-Zug liege nicht mehr fern. 1000 Stundenkilometer – das entspricht Flugzeugtempo.

Dem Mann ist es sichtlich peinlich vor den Deutschen aus dem vermeintlichen Hightechland, dass „Harmonie“ kein Wlan anbietet. Er entschuldigt sich für den Qualitätsmangel beim Reisen. Wenn der von der Deutschen Bahn und dem wahren Zustand des einstigen Spitzenleisters wüsste.

Die stille Fahrt im Superzug bei 305 Stundenkilometern erzeugt keinen Schwindel, der kommt beim Blick auf die Infrastrukturdaten des chinesischen Statistikportals: Nach den offiziellen Zahlen vom 7. August 2023 verfügt China derzeit über 42.000 Kilometer Hochgeschwindigkeitsgleise, ein Viertel der gesamten Weltstrecke. Allein seit 2019 sind 20.000 Kilometer hinzugekommen. Der Neubau der ICE-Strecken Würzburg–Hannover und Stuttgart–Mannheim, 426 Kilometer, dauerte 17 Jahre.

Ausbau in China-Tempo

Zum Vergleich die Strecken anderer Länder: Deutschland 6200 Kilometer, Frankreich 4500, Japan 3500, Saudi-Arabien 2800. Und schließlich die USA mit 2524 Highspeed-Kilometern. Rund 500 Milliarden US-Dollar hat China seit dem Start des Bahnausbauprogramms für Hochgeschwindigkeitszüge 1999 investiert. Seither folgt ein Superlativ dem nächsten. Es entstanden die vier längsten Brücken der Welt. Jene, die bei Nanjing den Fluss Jangtse überquert, ist neun Kilometer lang und gilt als Eisenbahnbrücke mit der längsten Spannweite, den meisten nebeneinander verlegten Gleisen der Welt.

China hat diesen gewaltigen Ausbau der Schienen-Infrastruktur vor allem unternommen, um große Menschenmassen schnell zwischen den Riesenstädten transportieren zu können und auch um entfernt liegende, noch unterentwickelte Regionen wirtschaftlich besser erschließen zu können. Die gigantischen Investitionen haben die Schulden der Staatsbahn enorm vergrößert, doch in China ist man überzeugt, dass sich das auszahlen wird.

Und der Mitreisende sagt: „Das ist Ausbau in chinesischem Tempo.“ Und: „Alles passiert jetzt.“