Finanzen

Von der Leyen mit neuer Variante: Gelingt EU Ukraine-Rettung in letzter Sekunde?

Die EU muss plötzlich 90 Milliarden Euro finden, um die Ukraine am Laufen zu halten. Das sollte möglich sein – vor allem für Deutschland.

Ursula von der Leyen am Mittwoch im EU-Parlament.
Ursula von der Leyen am Mittwoch im EU-Parlament.AFP

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Mittwoch im EU-Parlament in Strasbourg klargemacht, dass die Staats- und Regierungschefs der EU diese Woche eine Entscheidung über die Finanzierung der Ukraine treffen müssen. Es gehe darum, „für Russland die Kosten des Krieges zu erhöhen“, sagte von der Leyen auf Englisch (Übersetzung hier gemäß der offiziellen deutschen Version auf der Website der EU-Kommission).

Von der Leyen: „Es liegt an uns, zu entscheiden, wie wir den Abwehrkampf der Ukraine finanzieren. Wir wissen, wie dringlich es ist. Es ist akut. Wir alle spüren das. Wir alle sehen das.“ Aus diesem Grund habe die EU-Kommission „für den Europäischen Rat diese Woche zwei Optionen vorgeschlagen“: „Eine, die auf Vermögenswerten beruht, und eine, die auf Darlehen beruht. Wir werden uns entscheiden müssen, welchen Weg wir einschlagen wollen. Aber eins ist klar: Die Entscheidung, wie wir den Finanzbedarf der Ukraine in den nächsten beiden Jahren decken wollen, die müssen wir auf diesem Europäischen Rat treffen.“

Anders als bisher sprach von der Leyen nicht mehr von 140 Milliarden Euro, die die EU aufbringen müsse. Sie präsentierte eine neue Rechnung: „Nach Schätzungen des IWF und der Kommission beläuft sich der Finanzbedarf der Ukraine in den Jahren 2026 und 2027 auf etwas mehr als 137 Milliarden Euro. Europa sollte zwei Drittel davon abdecken, also 90 Milliarden.“ Wenn man davon ausgeht, dass „Europa“ auch die nicht mehr zur EU gehörenden Briten einschließt, dürfte diese Summe von den EU-Staaten relativ leicht aufzubringen zu sein.

Deutschland käme mit etwa 23 Milliarden Euro sehr günstig davon. Die ursprünglichen EU-Pläne hatten etwa 50 Milliarden Euro für Deutschland veranschlagt. Natürlich hängt der deutsche Anteil davon ab, ob und in welchem Ausmaß die anderen Mitgliedstaaten mitziehen.

Merz: „Wenn wir jetzt nicht springen, wann denn dann?“

Deutschland könnte mit 90 Milliarden Euro auch allein die Garantien für die eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank übernehmen. Damit könnte Belgien die goldene Brücke für dessen Zustimmung gebaut werden – trotz der Warnungen des bisher am stärksten betroffenen Wertpapierhauses Euroclear. Frankreich könnte in den Kompromiss geschoben werden, weil Paris zunächst die russischen Assets, die in Frankreichs Banken liegen, geheim halten kann.

In der jetzt aufgerufenen Größenordnung dürften auch gemeinsame Schulden für Merz keine unüberwindbare Hürde sein. Merz hatte erst am Dienstag im ZDF eine „klare europäische Haltung gegenüber Russland“ gefordert und gesagt: „Wenn wir jetzt nicht springen, wann denn dann?“ Die Reduktion auf 90 Milliarden könnte es der EU ermöglichen, die Ukraine künftig in kleineren Tranchen zu finanzieren.

Von der Leyen gab keine Präferenz ab, ob sie die Enteignung der Russen oder Eurobonds als Lösung sieht. Sie machte aber klar, dass die EU allein darüber entscheiden werde, was mit dem russischen Vermögen geschieht: Sie bezog sich auf den in der vergangenen Woche beschlossenen Notstand, wonach ab sofort ein einzelnes Mitglied – etwa Estland oder ein anderer baltischer Staat – die Rückgabe auf Ewigkeit blockieren kann.

Von der Leyen wörtlich: „Letzte Woche haben wir bereits einen wichtigen Schritt unternommen und uns auf die nachhaltige Immobilisierung russischer Vermögenswerte geeinigt. Das ist ein entscheidender Schritt, der ein sehr starkes politisches Signal aussendet. Es bedeutet, dass die russischen Vermögenswerte eingefroren bleiben, bis wir etwas anderes beschließen. Bis Russland den Krieg beendet und bis Russland die Ukraine für alle entstandenen Schäden angemessen entschädigt.“

Sollte die Ukraine, wie geplant, auf schnellstem Weg EU-Mitglied werden, könnte auch diese die Rückgabe für immer blockieren. Von der Leyen: „Nun, da die Vermögenswerte auf unbestimmte Zeit eingefroren sind, geht es auch darum, die Fähigkeit der Ukraine zu stärken, einen echten Frieden zu sichern – einen Frieden, der gerecht ist. Der von Dauer ist. Und der die Ukraine, aber auch Europa schützt.“

Wer die nun plötzlich fehlenden 47 Milliarden Euro Kredit gewähren soll, ist unklar. Derzeit verhandelt die Ukraine mit dem – von den USA dominierten – Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Kredit von acht Milliarden Euro. Allerdings stellt der IWF Forderungen, wie Ukraine Business News berichtet: Der IWF will eine Liberalisierung des Gasmarktes. Die Ukraine müsse ihre Praxis der Gewährung von Preisnachlässen für Verbraucher aufgeben.

Der IWF fordert außerdem eine „Entschattung der Wirtschaft durch die Abschaffung von Steuervergünstigungen für Einzelunternehmer“. Derzeit würden 30 Prozent des ukrainischen BIP nicht offiziell erfasst, besteuert oder reguliert. Auch müsse die Währung abgewertet werden, um die in Griwna denominierten Haushaltseinnahmen zu erhöhen.

Rechts- und Liquiditätsrisiken sind erhöht

Die Ratingagentur Fitch hat Euroclear am Dienstag unter „Rating Watch Negative“ gestellt und dabei auf die erhöhten Rechts- und Liquiditätsrisiken hingewiesen. Euroclear erklärte am Mittwoch laut einer Mitteilung, die Entscheidung von Fitch signalisiere die Notwendigkeit größerer Klarheit und von Details zu dem vorgeschlagenen Reparationskredit für die Ukraine. Man bereite sich auf eine Reihe von Szenarien vor.

„Mit den richtigen umfassenden Sicherheitsvorkehrungen sind wir zuversichtlich, dass die wesentlichen Risiken für Euroclear sowohl kurz- als auch langfristig angemessen bewältigt werden können“, erklärte ein Sprecher von Euroclear in einer per E-Mail versandten Stellungnahme laut Reuters. Fitch warnte, dass unzureichende rechtliche und liquiditätsbezogene Absicherungen für einen solchen Plan zu einer Laufzeitinkongruenz in der Bilanz von Euroclear führen könnten, wenn die Verbindlichkeiten der russischen Zentralbank fällig werden. Die Agentur erklärte, sie werde eine Entscheidung über das Rating von Euroclear treffen, sobald ausreichende Klarheit über den politischen Entscheidungsprozess und die Umsetzung des Reparationsdarlehens bestehe, was bei einem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag der Fall sein könnte.