Rüstung

„Völliger Käse“: Militärexperte korrigiert Bild-Bericht zu Putins Panzerproblem

Das Rückgrat der russischen Armee, die Kampfpanzer, haben laut der Bild-Zeitung einen Konstruktionsfehler, den die Ukraine „gnadenlos“ ausnutzt. Stimmt das?

Ein mittlerer Kampfpanzer (l.) der NVA vom Typ T-72 M1 und ein Schützenpanzer (r.) der NVA vom Typ BMP-2 stehen im Deutschen Panzermuseum Munster, Niedersachsen.
Ein mittlerer Kampfpanzer (l.) der NVA vom Typ T-72 M1 und ein Schützenpanzer (r.) der NVA vom Typ BMP-2 stehen im Deutschen Panzermuseum Munster, Niedersachsen.dpa

Mehrere Bilder aus der Ukraine, schrieb die Bild-Zeitung neulich, würden „entkorkte“ russische Panzer der Modelle T-72 und T-90 zeigen, die wegen eines „Konstruktionsfehlers“ zwar oft feuern könnten, aber sich zugleich von einer Rakete sehr leicht zerstören ließen.

Der Grund dafür: Die Munition werde im Kampfraum gelagert, also die Besatzung sitze bei einem Raketenschlag wie auf einem Pulverfass. Schon bei einem leichten Treffer würden bis zu 42 Granaten explodieren und den Geschützturm durch die Luft schleudern. Was ist dran?

Fakt ist: In russischen Panzern sitzen drei Männer statt vier

„Bei T-72 und T-90 geht es um die früheren sowjetischen Modelle, die nur drei Mann Besatzung haben“, sagt der ehemalige leitende Militärberater bei der deutschen OSZE-Vertretung, Oberst a. D. Wolfgang Richter, der Berliner Zeitung. „Der Ladeschütze fehlt, den wir in Deutschland oder bei anderen westlichen Armeen als Nummer vier haben.“ Stattdessen gebe es eine Lade-Automatik, die mit einer Drehscheibe quasi unterhalb des Turms angebracht sei. Und wenn die Munition dann getroffen werde und explodiere, so Richter, dann lasse sich der Turm leichter ausheben.

Ist das ein Konstruktionsfehler? Eher ein Nachteil, meint Richter, denn man sitze ja direkt auf der Munition. Der Vorteil sei dagegen, dass man einen Mann einspare. Der Experte mahnt jedoch an, sich bei der Analyse eines Kampfpanzers auf die Nachteile zu konzentrieren.

„Wird ein Kampfpanzer taktisch vernünftig eingesetzt, arbeitet er gemeinsam mit Schützenpanzern, Infanterie, Artillerie, Flugabwehr. Es geht um das Gefecht verbundener Waffen und nicht nur um einen einzigen bestimmten Konstruktionsfehler.“

Wolfgang Richter, Oberst a. D.

Denn Konstruktionsfehler werde man immer bei allen Panzern irgendwo finden. Optimales gebe es nicht, deswegen würden die Panzer ständig eine Modernisierung benötigen.

Zwei Armeen: gleiche Probleme?

Was die Bild-Zeitung und andere Medien allerdings ausklammern: Im Ukraine-Krieg kämpfen die Panzer sowjetischer Konstruktion nicht gegen westliche Panzer, sondern ebenfalls gegen Panzer sowjetischer Konstruktion, auch wenn sie in Russland und der Ukraine entsprechend modernisiert wurden.

„Die ukrainischen Panzer, die letztlich aus sowjetischen Beständen kommen und später weiterentwickelt wurden, wurden nach den alten Baumustern konstruiert“, sagt Richter. Die Modelle T-84 und T-64 der ukrainischen Armee haben ebenfalls nur eine Drei-Mann-Besatzung. Das heißt: Beide Armeen hätten gleiche Probleme und nutzten die Nachteile womöglich gegenseitig „gnadenlos“ aus. Und die westlichen Lieferungen gleichen das Problem bisher kaum aus. Denn die 200 Kampfpanzer, die Polen der Ukraine liefern will, sind vom Typ T-72. Es sind also genau jene Panzer, die angeblich als Schwachstelle der russischen Armee gelten.

„Die Ukrainer haben natürlich noch viele weitere Kampfpanzer im Depot liegen. Das sind auch noch T-72-Typen, aber auch die T-80, die sie eigentlich für den Export mal vorgesehen hatten. Möglicherweise werden sie wieder reaktiviert“, sagt Richter weiter. Und betont zugleich: Mit rund 1000 Kampfpanzern in den aktiven Beständen (Stand: 24. Februar 2022, mittlerweile werde es Verluste geben) sei die Ukraine schon immer eine sehr panzerstarke Armee gewesen. Die Behauptung, dass sie wenig Panzer gehabt habe, sei „völliger Käse“, so Richter. „Die Ukraine hat nach Russland die zweitstärkste Armee in Europa, wenn man die Türken nicht mitrechnet.“

Noch ein Fakt: Deutschland liefert keine Kampfpanzer

In der öffentlichen Diskussion um die deutschen Panzerlieferungen an die Ukraine hält Richter nicht zuletzt eine wichtige Klarstellung für nötig. Sonst werde die Debatte „ein bisschen irregeleitet“.

„Was ist ein Kampfpanzer? Das sind diese typischen schweren Waffen mit einem drehbaren Turm und einer sehr schlagkräftigen Kanone, in der Regel im Kaliber 125 mm. Das ist etwas anderes als das, was herkömmlicherweise Zivilisten auch als Panzer bezeichnen, nämlich alles, was wie ein gepanzertes Fahrzeug aussieht, aber nicht unbedingt aus einer Entfernung von 3000 bis 4000 Metern mit einer Kanone schießen kann.“ Die Gepard-Panzer, die die Bundesregierung bisher der Ukraine zusagte, seien keine Kampfpanzer, so Richter, sondern Panzer für die Flugabwehr. Die Modelle „Marder“, „Leopard 1“ und „Leopard 2“ sind dagegen allerdings schon richtige Kampfpanzer.