Europa

Visum für Russen: Pauschales Verbot unzulässig

Der wissenschaftliche Dienst hält ein pauschales Einreiseverbot für russische Staatsbürger für rechtlich nicht zulässig. 

Eine Frau hält in der estnischen Stadt Narva am Grenzübergang nach Russland ihren russischen Pass in den Händen. 
Eine Frau hält in der estnischen Stadt Narva am Grenzübergang nach Russland ihren russischen Pass in den Händen. dpa

In einer umfänglichen Ausarbeitung kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zum Ergebnis: EU-Staaten und somit auch Deutschland dürften russischen Staatsbürgern nicht pauschal die Einreise verweigern. Ein solches Verbot verstieße, so der Dienst in dem Gutachten, das der Berliner Zeitung vorliegt, mit großer Wahrscheinlichkeit gegen Unionsrecht. In dem Gutachten haben sich die Experten des Bundestages mit dem Thema „Verweigerung von Kurzzeitvisa (für touristische Zwecke) für russische Staatsangehörige im Lichte des EU-Rechts“ befasst. Demnach ist eine pauschale Verweigerung touristischer Kurzzeitvisa für russische Staatsangehörige, wie sie etwa die baltischen Staaten und Polen seit Ende September praktizieren, nach Unionsrecht nicht zulässig. In der EU gelte das Prinzip der Einzelfallentscheidung, welches durch ein allgemeines Verbot verletzt würde. Es sei es zwar zulässig, bei Anträgen auf Kurzzeitvisa generell von einer erhöhten Gefahr auszugehen, weil sie die öffentliche Ordnung in den Mitgliedstaaten bedrohen könnten. Doch auch im Fall von Touristenvisa sei eine Einzelfallprüfung geboten. Diese könne wegen der besonderen Gefahrenlage verschärft durchgeführt werden. Das Gleiche gelte für die etwaige Einreiseverweigerung gegenüber Personen, die bereits ein Schengen-Visum haben.

Der Wissenschaftliche Dienst bezieht sich auf die Regulierungen der EU-Kommission und schreibt, „dass zwar die Kapazitäten der Mitgliedstaaten zur Bearbeitung von Visumanträgen nach der Ausweisung zahlreicher konsularischer und diplomatischer Mitarbeiter durch die russischen Behörden stark eingeschränkt“ seien. Der Kontext des russischen Angriffskrieges – „verstärkte militärische Aktionen Russlands, Propaganda, erhöhte Risiken für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung der Mitgliedstaaten“ – könne verstärkte Kontrolle von russischen Staatsangehörigen begründen. Eine solche Situation „könne die Anpassung der Verfahren erforderlich machen“. Allerdings müsse eine ordnungsgemäße „Prüfung jedes einzelnen Antrags“ gewährleistet werden.

Estland, Lettland, Litauen und Polen haben eine pauschale Einreiseverweigerung für russische Touristen beschlossen. Auch Finnland fordert ein generelles Verbot, hat die eigene nationale Gesetzgebung jedoch noch nicht verändert. Die EU als Ganzes hat bisher lediglich das Visaerleichterungsabkommen ausgesetzt.

Sevim Dagdelen, Obfrau im Auswärtigen Ausschuss und Abgeordnete der Linkspartei, sagte der Berliner Zeitung: „Bei der Verurteilung des russischen Angriffskrieges darf die EU nicht selbst zur Rechtsbrecherin werden. Jeden russischen Touristen pauschal zur Gefahr für Europa zu erklären, ist weder politisch noch juristisch legitim.“ Die EU-Kommission müsse „insbesondere die baltischen Staaten und Polen dringend zurückpfeifen, die in ihrem antirussischen Furor drauf und dran sind, geltendes Unionsrecht zu missachten“. Ein Einreisestopp für russische Touristen träfe außerdem „nicht Putin und seine Anhänger, sondern überwiegend jene, die sich eine gewisse Distanz zur russischen Regierung bewahrt haben“, so Dagdelen.