Gigafactory

Ungewöhnlich viele Arbeitsunfälle bei Tesla in Grünheide: Gewerkschafter fürchtet Todesfall

Die Probleme im Umfeld der Gigafactory vor den Toren Berlins gehen weiter. Am Mittwochabend scheiterte überraschend die Abwahl eines Kritikers der Tesla-Fabrik.

Ein Mitarbeiter der Tesla-Gigafactory in Brandenburg
Ein Mitarbeiter der Tesla-Gigafactory in BrandenburgPatrick Pleul/dpa

Teslas erste Fabrik in Europa sorgt weiter für Schlagzeilen und erheblichen Wirbel. In der sogenannten Gigafactory bei Grünheide in Ostbrandenburg haben sich offenbar ungewöhnlich viele Arbeitsunfälle ereignet. Das berichtet das Magazin Stern in seiner neuen Ausgabe. Das Magazin konnte bislang unbekannte Unterlagen der Behörden einsehen.

Dort heißt es, dass 247 Mal Rettungswagen oder Hubschrauber angefordert worden seien. „Auf die Mitarbeiter-Zahl umgerechnet seien dies – in ähnlichem Zeitraum – dreimal so viele Notfälle wie beispielsweise in Audis Werk in Ingolstadt“, teilt der Stern mit.

Auch habe es 23 Umweltunfälle auf dem Tesla-Gelände gegeben. Immer wieder seien Schadstoffe ausgelaufen, schreibt der Stern. Schon geringe Mengen könnten das Grundwasser von 170.000 Einwohnern direkt an der Grenze zu Berlin gefährden. Denn die Fabrik steht zu großen Teilen auf einem Trinkwasserschutzgebiet.

Zudem ist am Mittwochabend eine seit Wochen geplante politische Intrige zur Entmachtung im Umfeld der Fabrik gescheitert. Dabei geht es um die Wasserversorgung der Fabrik des Multimilliardärs Elon Musk. Das Wasser ist der wichtigste Kritikpunkt der Gegner dieser mit geschätzt fast sechs Milliarden Euro Baukosten größten industriellen Investition in Ostdeutschland. Die Kritiker bemängeln, dass das Land den Bau aus Prestigegründen ausgerechnet in einem Wasserschutzgebiet erlaubt hat.

Tesla-Fabrik: Mehr als 250.000 Autos pro Jahr

Am Mittwochabend sollte eigentlich der Chef des Wasserverbands Strausberg-Erkner (WSE), André Bähler, abgewählt werden. Der WSE versorgt die Region mit Trinkwasser, leidet aber seit vielen Jahren unter erheblichem Wassermangel. Es durften nicht mal mehr neue Kleinbetriebe eröffnet werden, um die Versorgung nicht zu gefährden – doch dann wurde die Tesla-Fabrik genehmigt, mit mehr als 10.000 Mitarbeitern, die jedes Jahr wahrscheinlich mehr als 250.000 Autos herstellen.

Bähler hatte immer wieder kritisiert, dass das Wasser nicht reiche und die Versorgung der Bevölkerung östlich von Berlin potenziell gefährdet sei. Auch deshalb wollten einige Bürgermeister ihn ablösen. Das können sie im Namen ihrer 16 Gemeinden. Sieben Bürgermeister hatten im Vorfeld einen Abwahlantrag unterzeichnet. Doch der scheiterte am Mittwochabend, weil sie keine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichten. Nur vier waren dafür und sogar zehn Bürgermeister stimmten gegen die Abwahl. Einige sogar gegen den eigenen Willen. Sie waren zuvor von ihren Gemeindevertretungen dazu aufgefordert worden.

„Das unwürdige Schauspiel, den Vorstand des Wasserverbandes Strausberg-Erkner aus dem Weg räumen zu wollen, wurde heute vorerst beendet“, sagte Heidemarie Schroeder von der Wassertafel Berlin-Brandenburg der Berliner Zeitung. „Dies ist ein erster Etappensieg für die Vernunft in der Demokratie.“ Der Konflikt um das Wasser habe sich durch Tesla zugespitzt. Die Regierung habe vom ungebremsten Wirtschaftswachstum geträumt. „In Zeiten des Klimawandels müssen Träume offen und transparent mit den Realitäten fehlender Wasservorräte in der Region abgeglichen werden.“ Und diese Anpassung an die Realität müsse zuerst bei Tesla erfolgen.

André Bähler, Verbandsvorsteher vom Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE)
André Bähler, Verbandsvorsteher vom Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE)Patrick Pleul/dpa

Schon vor dem Abwahltermin hatte der Vorsitzende des Naturschutzbundes Brandenburg, Björn Ellner, einen offenen Brief an die Mitglieder des Wasserverbandes geschrieben. Er schrieb von einer „richtungsweisenden Entscheidung“. Die Argumentation des Nabu-Chefs: „Wir sehen, dass sich Brandenburg in einer besorgniserregenden Wasserkrise befindet.“ Besonders dramatisch sei es im Umfeld der Tesla-Fabrik. „Das fehlende Wasser hat hier, aber auch andernorts, bereits einen massiven negativen Einfluss auf unsere Ökosysteme. Schon jetzt fallen zum Beispiel Kleingewässer und Fließe trocken; schon jetzt haben wir ein massives Amphibiensterben.“ In der Wasserfrage gehe es nicht darum, Personen auszutauschen, sondern um eine zeitgemäße Wasserwirtschaft.

Sogar amputierte Gliedmaßen

Die monatelangen Recherchen des Magazins Stern ergaben zudem eine Vielzahl an schweren und schwersten Arbeitsunfällen. Das Magazin zitiert aus einer Notiz des Landesamtes für Arbeitsschutz, aus der hervorgehen soll, dass auf dem Werksgelände über einen längeren Zeitraum fast täglich Unfälle passiert seien. „Allein zwischen Juni und November 2022 gab Tesla selbst demnach mindestens 190 meldepflichtige Unfälle an“, heißt es. Einem Mitarbeiter sei aus mehreren Metern Höhe eine 50 Kilogramm schwere Holzkiste auf den Kopf gefallen, ein Mitarbeiter verletzte sich an einem Ofen mit glühend heißem Aluminium. Es gab wohl auch Verletzungen durch Verbrennungen und Salzsäure und auch amputierte Gliedmaßen.

Der Bezirksleiter der IG-Metall, Dirk Schulze, sagte dem Stern: „Diese Häufigkeit an Arbeitsunfällen ist nicht normal.“ Es handele sich um ein Mehrfaches dessen, was in anderen Automobilfirmen üblich sei. „Ich habe die größte Sorge, dass irgendwann jemand zu Tode kommt.“ Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) habe bestätigt, dass die Zahl der Unfälle „nicht unbekannt“ sei, heißt es beim Stern. Er könne sich dazu aber nicht äußern, er sei „nicht der Sprecher von Tesla“.

Zu den Umweltunfällen heißt es im Stern, dass schon geringe Mengen von Schadstoffen im Boden ausreichen, um potenziell das Trinkwasser von 170.000 Menschen zu gefährden. Dazu zitiert das Magazin Martin Pusch vom Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin: „Eine Havarie im Wasserschutzgebiet kann die Trinkwasserversorgung der ganzen Region gefährden, da dort bereits jetzt kaum Reserven vorhanden sind.“