Noch vor ein paar Monaten beklagten sich die deutschen Waffenfirmen, dass Banken kaum noch Geschäfte mit ihnen machen wollten. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) forderte die EU-Kommission auf, die Rüstungsgüter künftig als sozial nachhaltig einzustufen. Der russische Einmarsch in die Ukraine spielte den Waffenherstellern in die Hände. Die ehemaligen Börsen-Außenseiter sind gleich zum Gewinner des Krieges geworden.
So sind z.B. die Aktien des US-Herstellers Raytheon Technologies, der etwa die an die Ukraine gelieferten Luftabwehrraketen vom Typ „Stinger“ produziert, auf der Deutschen Börse Xetra seit dem Vorkriegstag, dem 23. Februar, um rund 17 Prozent gestiegen (Stand 13. April). Die des britischen Herstellers Thales Air Defence, der ebenfalls an die Ukraine die Luftabwehrraketen vom Typ „Starstreak“ lieferte, legten auf der Frankfurter Börse um über 50 Prozent zu. Und die Rheinmetall-Aktie war auf der Xetra am Mittwoch 118 Prozent mehr wert, als noch am 23. Februar.
„Auf der letzten Hauptversammlung hauptsächlich Privatanleger da“
Der Rüstungskonzern mit Sitz in Düsseldorf hat zuletyt ein konkretes Angebot für die mögliche Lieferung von bis zu 50 gebrauchten „Leopard 1“-Panzern an die Ukraine in bis zu drei Monaten gemacht. Vor allem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) befürwortet die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, was die Panzerhersteller in eine vorteilhafte Position bringt.
Der Leiter des nachhaltigen Aktienfonds, Gunter Greiner, riet in einem „WirtschaftsWoche“-Interview die Privatanleger aus moralischen Gründen und angesichts der Risiken jedoch davon ab, Panzeraktien zu kaufen, weil die Branche komplett von staatlichen Aufträgen abhänge. Der Staat wäre ein besserer Aktionär. Bis vor kurzem waren vor allem die institutionellen Anleger etwa an den Rheinmetall-Aktien interessiert. Und jetzt?
Laut dem Rheinmetall-Sprecher Oliver Hoffmann gibt es im Konzern noch keine laufende Abfrage der Informationen, ob die aktuelle sicherheitspolitische Lage die Aktionärsstruktur geändert habe. Hoffmann weist gegenüber der Berliner Zeitung jedoch darauf hin, dass der Anteil von Privataktionären an der Rheinmetall AG sich Ende 2021 auf 17 Prozent belaufen habe und seit mehreren Jahren stabil sei.
Die Aktien des zweitgrößten Rüstungskonzerns der EU, der Airbus Group, die nur bis 20 Prozent des Umsatzes im Verteidigungsbereich macht, sind seit dem Kriegsbeginn sogar im Abschwung. „Die Airbus wird schon bei den meisten Analysten an der Börse in der Hauptsache als ziviler Flugzeughersteller gesehen und das ist auch gut so“, sagt der Konzern-Sprecher Martin Agüera gegenüber der Berliner Zeitung. Selbst wenn der Anstieg da wäre, könnte man ihn jetzt nicht unbedingt mit dem Ukraine-Krieg verbinden, denn es gebe viele andere Faktoren. Im Grunde genommen würden vor allem institutionelle Investoren Geld in die Airbus-Aktien anlegen. „Aber auf der letzten Hauptversammlung waren hauptsächlich die Privatanleger da.“
„Ich würde nie im Leben eine dritte Aktie kaufen“
Gerade die pazifistischen Friedensaktivisten kauften sich in Deutschland in der Vergangenheit einzelne Rüstungsaktien. Das Bündnis „Kritische Aktionär:innen Heckler & Koch“ ist dabei, um die Waffenlieferungen an die Nicht-Nato-Staaten kritisieren zu können. „Ich selber bin Großkapitalist“, sagt der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, Jürgen Grässlin, ironisch gegenüber der Berliner Zeitung. Er besitzt eine Rheinmetall-Aktie, eine Airbus-Aktie und zwei Aktien von „Heckler und Koch“. Grässlin weiter: „Wir brauchen als kritische Aktionäre nicht mehr, und wir wollen auch nicht mehr, weil man auch mit Zehntausend Aktien das gleiche Recht auf die Gegenanträge und das Rederecht hat.“
Die Aktien des Konzerns legten seit dem Jahresbeginn auf der Euronext-Börse rund 63 Prozent zu. Grässlin wolle deswegen auf der nächsten Hauptversammlung von „Heckler und Koch“ fragen, ob der Konzern Kriegsprofiteur sei. „Sie werden sagen, sie liefern Waffen zur Verteidigung der ukrainischen Streitkräfte gegen den russischen Angriffskrieg, was auch stimmt. Aber natürlich ist ein Krieg immer gut fürs Geschäft der Rüstungskonzerne.“ Deswegen findet Friedensaktivist es höchst unmoralisch, als Privatinvestor mehrere Rüstungsaktien zu kaufen. „Es macht durchaus Sinn, eine oder zwei Aktien zu kaufen, aber ich würde nie im Leben eine dritte Aktie kaufen.“
Der 64-Jährige will sich in Kürze auch auf den Ostermärschen in Freiburg und Ingolstadt gegen die „kontraproduktiven“ Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen. Sie werden den Krieg aus seiner Sicht nur verlängern. Er wünschte sich stattdessen einen größeren Sanktionsdruck auf Russland und Modelle der sogenannten sozialen Verteidigung, also wenn man die Russen die ukrainischen Städte besetzen lasse, aber weiterhin Widerstand leiste, ohne Kooperation mit den Besatzern. Das ginge mit weniger Todesopfern und ohne größere Zerstörung der Ukraine, glaubt Grässlin.
Sicherheitsexperte: „Moralisch schon vertretbar“
Bis Ende März genehmigte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima nach eigenen Angaben Rüstungslieferungen im Wert von 186 Millionen Euro für die Ukraine. Auch der EU-Rat beschloss am Mittwoch eine Aufstockung der EU-Militärhilfe für die Ukraine auf 1,5 Milliarden Euro. „Die Aktien sind ja nicht gestiegen, weil die Rüstungsindustrie ein paar Panzer auf Halde hat, die man an die Ukraine liefern kann“, widerspricht der ehemalige leitende Militärberater bei der deutschen OSZE-Vertretung, Oberst a. D. Wolfgang Richter, den Friedensaktivisten in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung.
Richter ist ein Experte für die Verteidigungspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und verbindet den Anstieg der Rüstungsaktien mit dem groß angelegten 100 Milliarden schweren Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung für die Bundeswehr. „Sie war bisher leider nicht in der Lage, den Auftrag ‚Landes- und Bündnisverteidigung‘ zu erfüllen“, bedauert Richter.
„Ich bin ein sicherheitspolitischer Analyst, ich will jetzt nicht in die Rolle der Kirchen hineindrängen oder in eine andere von ethischem Maßstab“, sagt er weiter. Er halte es also für „moralisch schon vertretbar“, als private Person jetzt Rüstungsaktien zu kaufen, wenn man die Bundeswehr unterstützen wolle.
Das Land habe den Verfassungsauftrag, sich zu verteidigen, und es sei auch gerechtfertigt, sich aufzurüsten, weil die Lage durch die „Zeitenwende“ jetzt eine andere sei, so Richter. Das Nato-Budget sei zwar bereits groß, aber „Deutschlands Rolle ist es auch, für die Stabilität in Europa zu sorgen, und zwar nicht nur im Blick auf Russland.“ Im Moment würden die osteuropäischen Nachbarn nicht Deutschlands Stärke, sondern Deutschlands Schwäche fürchten und deshalb Solidarität erwarten.
„Natürlich ist ein russischer Angriff auf ein Nato-Mitglied unwahrscheinlich“, urteilt der Experte mit Blick auf die Ängste der Polen. „Aber wir haben auch Risiken, die mit einer groß angelegten Aggression gegen die Ukraine verbunden sind.“
