Inflation

Warum ist ein Restaurantbesuch in Berlin plötzlich so teuer? Ein Preisvergleich zwischen Februar und August 2022

Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die Inflation treiben Berliner Gastronomen in die Enge – und die Preise hoch. Wir haben die Preise bei Café Datscha in Kreuzberg verglichen.

Die Co-Eigentümerin des Unternehmens hinter Café Datscha: Kristina Enke (34).
Die Co-Eigentümerin des Unternehmens hinter Café Datscha: Kristina Enke (34).Benjamin Pritzkuleit

Seit 2008 serviert das Café-Restaurant Datscha in Berlin russische und osteuropäische Küche. Der Name steht für ein sowjetisches beziehungsweise russisches Ferienhaus und damit für Ostalgie pur – wie auch die Namen der Gerichte noch bis vor kurzem ein Flair von Sowjetzeit verströmten. Nach der ersten Datscha in der Marktstraße in Friedrichshain haben fünf Geschäftspartner aus Russland, Lettland und der Ukraine weitere drei Datschas in Kreuzberg, Mitte und Prenzlauer Berg eröffnet – und dazu zwei Bistros in Charlottenburg und Prenzlauer Berg.

Frühstück „Boris Pasternak“, „Schwarzes Meer“, „Gorki auf Capri“ oder „Kolchos“, die in der DDR berühmte Soljanka, der Salat Vinegret sowie die Zusätze Babuschka, Deduschka, Caucasus, Vladivostok kann man unter den Gerichten finden – so hießen die Gerichte von Datscha jedenfalls noch im Februar. Und die Preise waren durchaus fair. 14,50 Euro für eine große Portion Rind-Geflügel-Bulette, Spiegelei, Sauerkraut, Süßkartoffeln, Pommes, Pastinaken-Chips, Zwiebeln und hausgemachter Sause – die „Bulette des Ministers“, die war schon ein Deal.

„Die bürgerliche Küche ‚für alle‘ wurde uns geklaut“

„Wir wollten schon immer diese bürgerliche Küche für alle, für jeden Berliner und jeden Touristen haben“, sagt die Co-Eigentümerin des Unternehmens und Tochter eines Deutschen und einer Ukrainerin Kristina Enke (34) der Berliner Zeitung. „Aber sie wurde uns geklaut. Unser wunderschönes Konzept können wir uns nicht mehr leisten.“

Erst die Corona-Pandemie, dann die russische Invasion der Ukraine und der darauffolgende Preisschock. Zu Beginn des Krieges habe Datscha mit vielen Drohanrufen zu tun haben müssen sowie mit den Google-Bewertungen von vermeintlichen Besuchern voller Hass, die das Russische am Restaurant nicht von dem Krieg hätten trennen können, erinnert sich Kristina Enke. „Unser Name ist zwar russisch, aber es war nie unsere Idee, es besonders russisch zu gestalten. Ich bin selbst Ukrainerin, und es arbeiten auch Letten in unserem Unternehmen sowie Menschen aus Kolumbien, Spanien, Frankreich, Russland, Moldawien – insgesamt fast 200 Mitarbeiter.“ Man sei ein echtes Stück Berlin, offen für alle Nationalitäten. Und man sei vor allem gegen den Krieg. Das Unternehmen habe Spenden für ukrainische Flüchtlinge gesammelt und ihnen auch persönlich an der ukrainischen Grenze geholfen.

Aktuell hätten allerdings die Preissteigerungen die meisten negativen Auswirkungen auf das Geschäft, sagt die Leiterin weiter. Die Dienstleister hätten die Preise seit Februar bereits um bis zu 30 Prozent erhöht: für die Bedienung der sanitären und Elektroanlagen oder die Reinigung – für alles, was man für ein normales Funktionieren des Geschäfts braucht. Auch die aktuelle Gasrechnungen, sagt Kristina, würden eine Preissteigerung von 5 Cent auf 19 Cent pro Kilowattstunde enthalten: ein Plus von 280 Prozent! Die neuen Strom-Wucherpreise werden aber erst mit der Jahresabrechnung zu Buche schlagen.

Die Innenräume von Café Datscha in Kreuzberg sind am Dienstagvormittag noch leer: alle essen draußen.
Die Innenräume von Café Datscha in Kreuzberg sind am Dienstagvormittag noch leer: alle essen draußen.Benjamin Pritzkuleit

Fleisch, Lachs, Handarbeit besonders teurer geworden

„Natürlich mussten wir vor kurzem auch die Preise erhöhen“, sagt die Leiterin. Und diese Preiserhöhung hat nicht ohne Folgen für die Küche stattgefunden. Das heißt: Das Menü wurde erneuert und ist auffällig dünner geworden. Die aufwendigen Hauptgerichte wie Datscha Stroganoff mit Kalbfleisch für 18 Euro sind verschwunden – sonst wären sie noch teurer geworden. Einige Zutaten wurden ausgewechselt, und die Namen, vor allem die Namen der Gerichte haben sich von der Ostalgie teilweise oder ganz verabschiedet oder wurden „berlinisiert“. Es wird keine Soljanka mehr angeboten, kein Boris Pasternak und kein Frühstück „Arbeiterinnen und Bauern“.

Es gibt keine Kurotschka Rjaba (die Henne Rjaba stammt aus einem Märchen), Babuschka und Deduschka Bowls mehr, keinen Caucasus und keinen Vladivostok – dafür aber Prenzlberg, Kreuzberg, Friedrichshain und Charlottenburg Bowls. Aus den Pelmeni Sibirien sind einfach nur Pelmeni geworden. Aber auch „Wareniki Kiew“ heißen jetzt neutral: Wareniki Gratin.

Die neue Speisekarte von Datscha wirkt im Vergleich noch zum Juni dünner.
Die neue Speisekarte von Datscha wirkt im Vergleich noch zum Juni dünner.Datscha Café Berlin

Die Bulette des Ministers heißt jetzt Tante Sima’s Bulette – genannt nach der geschätzten Küchenleiterin von Datscha. Und sie kostet, gerade wegen des verteuerten Fleischs, sagt Kristina, 16,50 Euro – fast plus 14 Prozent zum alten Preis. Besonders der Einkauf von frischem Lachs habe sich verteuert, erzählt sie weiter, der für Datscha unverzichtbar sei: von 11 auf 19 Euro pro Kilogramm. Das Frühstück „Schwarzes Meer“, das nach der Anpassung „Frühstück am Strand“ heißt, kostet nun 14 statt 12 Euro – plus 16 Prozent. Und der ehemalige Vladivostok Bowl mit Lachs, der früher 14,50 Euro kostete und nach der Anpassung nun Charlottenburg Bowl heißt, wird für 16,50 Euro angeboten – ein Zuwachs von rund 14 Prozent.

Eine Auswahl von Gerichten bei Café Datscha im Preisvergleich
Eine Auswahl von Gerichten bei Café Datscha im PreisvergleichBerliner Zeitung

„Ein Restaurantbesuch gehört nicht zu den Top-Prioritäten“

Viele Gerichte sind vergleichsbar teurer geworden, einige jedoch beim alten Preis geblieben, vor allem die Getränke. Aber nicht der Mors, die hausgemachten Beeren-Limonade. Da ist die Teuerungsrate jedoch eine der höchsten: 25 Prozent. Die Weinpreise sind bisher unverändert geblieben.

Eine Auswahl von Getränken bei Café Datscha im Preisvergleich
Eine Auswahl von Getränken bei Café Datscha im PreisvergleichBerliner Zeitung

„Aber wir haben noch neue Rechnungen für unsere italienischen Weine bekommen“, sagt die Leiterin weiter. „Es sind teilweise plus 30 Prozent, also wir werden im September auch andere Weine auswählen“. Insgesamt liege die Teuerungsrate beim Einkauf schon bei bis zu 20 Prozent, konstatiert Kristina Enke. „Wir kriegen jeden Tag Briefe, E-Mails von unseren Lieferanten, die uns darüber informieren, wie sie die Preise erhöhen. Wir müssen uns jetzt von langjährigen Lieferanten trennen, wo bereits Freundschaften bestehen. Das tut weh, aber wir müssen uns auf den Überlebensmodus umstellen. Wir zahlen ja noch die Schulden aus den Lockdown-Zeiten zurück.“

Wenn man auf die Speisekarte schaut, glaubt man jedoch: Nicht alle Mehrkosten wurden weitergegeben, denn man will ja die Kunden nicht ganz abschrecken. Auf kleinere Portionen würde man verzichten, denn das schrecke die Stammkunden ab. Auf diese „Beleidigung“ würde sich Datscha, so Enke, nie einlassen.

Und trotzdem sei der Umsatz bereits im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 30 Prozent eingebrochen, sagt Kristina. Damals im zweiten Pandemie-Jahr, als es viele Öffnungen gab, hätten sich viele über die Restaurantbesuche gefreut und hätten auch mehr bestellt. „Ich bin mir sicher, dass unser Umsatzeinbruch nichts damit zu tun hat, dass wir irgendwie im Zusammenhang mit Russland wahrgenommen werden“, sagt die Leiterin weiter. Die Stammgäste seien ihnen schon treu geblieben, aber ihre Ausgaben würden kleiner ausfallen. Kristina Enke ist sich der Gründe bewusst: „Es sind zum Teil die neuen Preise und wohl noch mehr die Wirkung der Inflation, denn viele fassen gerade ihre Prioritäten neu, und ein Restaurantbesuch gehört offensichtlich nicht zu den Top-Prioritäten.“

„Wir können uns deutlich bessere Löhne nicht leisten“

Und was ist mit den Löhnen? Gerade bei den Mitarbeitern, die ein bisschen mehr Qualifikation mitbringen würden, habe das Unternehmen die Löhne um knapp fünf Prozent angepasst, sagt Kristina Enke. Diese Anpassung liege allerdings unter der offiziellen Inflationsrate von 7,5 Prozent für Juli. Die Folgen sehe man etwa gerade bei den hausgemachten Limonaden. Im Herbst müssten wir die Gehälter weiter anpassen, um vor allem die hoch qualifizierten Mitarbeiter zu behalten, prognostiziert Kristina.

Eine grobe Kostenabrechnung von Café Datscha. Veränderungen zum Februar 2022
Eine grobe Kostenabrechnung von Café Datscha. Veränderungen zum Februar 2022Berliner Zeitung

Die Zukunft – sie sieht wieder düster aus. „Wir sind eigentlich schon seit über zwei Jahren im ständigen Überlebensmodus, der nicht mehr aufhört“, schlussfolgert die Gesprächspartnerin der Berliner Zeitung. „Der Kampf ist sehr schwierig, aber wir geben unser Bestes. Wir würden unsere Mitarbeiter gerne noch besser entlohnen, aber dafür bräuchten wir mehr steuerliche Entlastungen vom Staat. Niemand will ja für weniger Geld arbeiten.“ Kristina begrüße zwar Deutschlands soziales System, habe aber den Eindruck, dass viele sich lieber arbeitslos melden würden, um das Arbeitslosengeld zu bekommen. „Wir können uns aber bei den ganzen Preiserhöhungen nicht leisten, deutlich mehr Lohn zu zahlen.“

Datscha, Kreuzberg, Graefestraße 83, 10967 Berlin, täglich 10:00-1:00 Uhr.

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