Ökonomen der russischen Opposition sind in einer Studie zum Ergebnis gekommen, dass die westlichen Staaten von falschen Annahmen ausgehen und die Sanktionen daher Russland nutzen und dem Westen schaden. Die Ökonomen fordern einen radikal anderen Ansatz, wenn die Sanktionen dazu dienen sollen, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wirklich Probleme zu bereiten. Statt ein Embargo gegen russisches Gas zu verhängen, sollte der Westen Nord Stream 2 sofort in Betrieb nehmen und so viel Erdgas wie möglich kaufen. Dadurch würde der Gaspreis gedrückt und Russland müsste sein Gas viel billiger abgeben als jetzt.
Dasselbe gelte für Öl: Würde der Ölpreis drastisch sinken, würden die russischen Ölexporte nach China weniger einbringen. Weiters fordern die Ökonomen eine Umkehr bei der Visa-Erteilung und den Geldflüssen, wie sie am Montag in Berlin im Rahmen des „Korrespondenten Cafés“ erläuterten. Der Westen müsse die besten Leute aus Russland anwerben und Kapitalzuflüsse aus Russland erlauben, also möglichst eine Kapitalflucht provozieren. Dies sei nur möglich, wenn ausreisewillige Russen ihr Geld legal in den Westen bringen könnten. Aktuell erfolgen viele Zahlungen über Kryptowährungen, um die Sanktionen zu umgehen. Um das Geld jedoch im Westen verwenden zu können, müsse es legale Wege geben. Man dürfe auch nicht alle Russen unter Generalverdacht stellen. Die aktuellen Sanktionslisten müssten überarbeitet werden. Es müsse verschiedene Kategorien geben, so dass einfache Übersetzer oder unbeteiligte Wirtschaftsleute nicht gleich wie Kriegsverbrecher behandelt werden.
Die Schlussfolgerungen der Ökonomen Vladislav Inozemtsev, Dimitry Nekrasov und Sergey Aleksashenko, des früheren stellvertretenden Gouverneurs der russischen Zentralbank, beruhen auf einer Studie, die der russische Thinktank Case erstellt hat. Die Präsentatoren der Studie sagten, diese sei mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt worden. (Update 1: Mittwoch 13.11., 16.15 Uhr: Die Konrad-Adenauer-Stiftung teilt mit, dass sie die Studie nicht unterstützt habe; Update 2: Mittwoch, 21.30: Ein Sprecher von CASE meldet sich und entschuldigt sich für die missverständliche Aussage bei der Präsentation: CASE arbeite zwar an anderen Projekten mit der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen, die vorliegende Studie habe CASE allerdings allein erstellt.)
Demnach könne die russische Wirtschaft nicht mit der der Sowjetunion verglichen werden, sagte Inozemtsev: „Die russische Wirtschaft ist eine freie Marktwirtschaft und hat daher das viel größere Potenzial, in einer Krise zu überleben.“
Die Energiewirtschaft sei trotz der Sanktionen erfolgreich, weil alle Länder und Gas benötigen: „Ja, Russland ist eine große Tankstelle, aber es müssen eben immer wieder alle vorbeikommen, um zu tanken“, so Inozemtsev. Der Ökonom, der heute wie auch Aleksashenko in Washington lebt und mit diversen US-Thinktanks zusammenarbeitet, sagte, es sei das erste Mal gewesen, dass so massive Sanktionen gegen eine große Volkswirtschaft verhängt worden seien. Es habe sich gezeigt, dass eine große Volkswirtschaft in der Lage ist, innerhalb kurzer Zeit alle wichtigen Güter selbst herzustellen.
Außerdem hätten die Sanktionen dazu geführt, dass viele westliche Unternehmen den russischen Markt verließen und die Konsumenten auf russische Produkte zurückgriffen. So habe Deutschland seine Stellung auf dem Automobilmarkt verloren und sei von China abgelöst worden. Etwa 100 Milliarden Dollar, die die Russen vor den Sanktionen im Ausland ausgegeben hatten, sei in die russische Wirtschaft zurückgewandert: „Die Sanktionen haben Russland viel weniger geschadet als Europa“, sagte Inozemtsev. Ebenfalls falsch eingeschätzt habe der Westen die russische Bürokratie. Es gäbe eine sehr effiziente und kompetente Verwaltung, vor allem an der Spitze: Inozemtsev sagte, man könne der Zentralbankchefin und dem Finanzminister zwar vorwerfen, dass sie Putins Kriegsanstrengungen genützt hätten. Rein wirtschaftlich hätten sie jedoch sehr gute Arbeit geleistet. Putin werde seinen Krieg noch viele Jahre führen können – und gleichzeitig werde die Wirtschaft wachsen.
