Finanzen

Korruption in der Ukraine: Soll da etwas vertuscht werden?

Präsident Selenskyj will den Kampf gegen die Korruption neu organisieren. Der Westen befürchtet, dass ein neues Gesetz zur Vertuschung genutzt wird.

Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt, er wolle die Korruption in der Ukraine bekämpfen. 
Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt, er wolle die Korruption in der Ukraine bekämpfen. Pool Ukrainian Presidentia/Plane

Der Westen ist aufgeschreckt über die Korruption in der Ukraine. Beim jüngsten Skandal steht wie schon vor einigen Monaten Verteidigungsminister Oleksij Resnikow im Zentrum. Ukrainische Medien berichteten, das Verteidigungsministerium in Kiew habe Ende 2022 einen Vertrag mit einem türkischen Unternehmen über die Lieferung von Winteruniformen abgeschlossen. Der Preis habe sich nach Vertragsabschluss verdreifacht – ein Hinweis, dass jemand mitgeschnitten haben muss. Außerdem sollen die Uniformen leichte Uniformen gewesen sein, die gar nicht den Ansprüchen für einen Winter genügen.

Laut AFP gehört zu den Eigentümern des Unternehmens Oleksandr Kassai, ein Neffe von Gennadi Kassai, einem Parteifreund des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Resnikow wies die Berichte zurück und erklärte, solche Berichte führten „die Gesellschaft in die Irre“ und nützten dem Feind. Allerdings meldet Bloomberg am Freitag unter Berufung auf ukrainische Medien, dass Resnikow bereits in den kommenden Tagen abgelöst und als Botschafter nach London geschickt werden könnte.

Selenskyj versucht, die Korruptionsskandale von sich fernzuhalten. Die Ukrainer haben laut einer Umfrage der von den USA und Großbritannien finanzierten Democratic Initiatives Foundation keine besonders hohe Meinung von ihrem Präsidenten: Im August sagten 77,6 Prozent der Befragten, Selenskyj sei „direkt verantwortlich für die anhaltende Korruption in der Regierung und in den lokalen Militärverwaltungen“.  Auch wenn dem Präsidenten bisher keine persönliche Bereicherung nachgewiesen werden konnte, so standen doch enge Vertraute im Visier der Ermittler.

Besonders spektakulär war 2021 der Fall von Oleg Tatarov, dem stellvertretenden Leiter des Präsidentenbüros. Tatarov wurde wegen Bestechung angeklagt. Doch dann wurde der Fall überraschend der Zuständigkeit der unabhängigen Antikorruptionsbehörde (NABU) entzogen und an den Inlandsgeheimdienst der Ukraine (SBU) übergeben. Kurz darauf wurde das Thema stillschweigend beerdigt. Tatarov blieb unbehelligt.

Amerikaner und Briten befürchten nun, dass der Fall Tatarov als Blaupause für eine große Verschleierungsaktion dienen könnte. Vor einigen Tagen kündigte Selenskyj nämlich in einem TV-Interview ein Gesetz an, das den Straftatbestand der „Korruption“ in Kriegszeiten mit „Hochverrat“ gleichsetzen soll. Was auf den ersten Blick wie eine Verschärfung aussieht, könnte sich nach Ansicht des von den USA, Großbritannien und der EU finanzierten Anti-Corruption Action Center (Antac) als „cover-up“ für zahlreiche Korruptionsverbrechen vor allem aus den ersten Monaten nach dem russischen Angriff erweisen.

Selenskyj sagte in dem Interview nämlich, die Vorfälle von damals müssten mit besonderer Gewissenhaftigkeit untersucht werden, da die Ukraine „um ihre Existenz gekämpft habe“. Korruptionsfälle sollten nur verfolgt werden, wenn es klare Beweise gäbe. Die Täter müssten „vom Gericht und nicht von der öffentlichen Meinung bestraft“ werden.

In der Praxis bedeute das neue Gesetz den „Zusammenbruch des Antikorruptionssystems“, so Antac in einer Erklärung. Der Gesetzesentwurf werde „dem SBU das Recht einräumen, Spitzenkorruption zu untersuchen – einem Sicherheitsdienst, der vom Büro des Präsidenten kontrolliert wird“. Anders als bei einem Gerichtsverfahren kann der SBU nach Belieben schalten und walten und unterliegt keiner demokratischen Kontrolle.

Durch die Gleichsetzung von Korruption mit Hochverrat manipuliere Selenskyjs Büro den Wunsch der Öffentlichkeit nach Gerechtigkeit, sagte Vitaly Shabunin, Chef von Antac. Tatsächlich wolle Selenskyjs Büro „hochrangige Beamte vor Korruptionsvorwürfen schützen und Werkzeuge erhalten, um Gegner zu vernichten“. Laut Politico, das sich auf ukrainische Medien beruft, gelten aktuelle und ehemalige hochrangige Beamte des SBU als Selenskyjs Büro nahestehend. Selenskyjs rechte Hand, Andrij Jermak, sagt, dies sei eine „Verschwörungstheorie“.

Der Selenskyj-Berater Mykhailo Podolyak sagte Politico, dass der Präsident „im Massenbewusstsein ein klares ‚Gleichheitszeichen‘ zwischen Korruption und Verrat während des Krieges setzen“ wolle. Die Verschärfung der Strafen und die Abschaffung der Möglichkeit einer Freilassung gegen Kaution seien Beweise für die „Ernsthaftigkeit der Absichten“ des Präsidenten.

Die Diskussion um Korruption kommt für die Ukraine zur Unzeit: Kiew drängt auf die Aufnahme von Verhandlungen zum EU-Beitritt. Die Frist für die Erfüllung des siebenstufigen Fortschrittsplans endet im Oktober. Bisher hat die Ukraine nur zwei Punkte erfüllt.