Russland hat am Montag die Vereinbarung zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide für beendet erklärt. Das Abkommen sei „de facto beendet“, sagte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau. Russland werde das Abkommen „sofort“ wieder aufleben lassen, sobald die Abmachungen gegenüber der russischen Seite eingehalten würden, sagte Peskow laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. Das Abkommen war bis Montagnacht befristet. Peskow sagte, die Kündigung stehe in keinem Zusammenhang zu dem Angriff auf die Krim-Brücke am Montag. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte schon zuvor erklärt, das Abkommen habe nur der Ukraine genützt, keine der Zusagen gegenüber Russland sei eingehalten worden. Russland möchte die Aufhebung der Exportsperren für russische Lebensmittel und Dünger, um die Weltmärkte beliefern zu können. Die Nachrichtenagentur AP schreibt, Russland beklage einen Einbruch seiner Lebensmittelexporte, obwohl das Land Rekordmengen an Weizen verschickt haben soll. Ein Sprecher des ukrainischen Präsidenten sagte der AP, die Kündigung des Abkommen sei eine technische Angelegenheit, den russischen Meldungen solle keine Bedeutung beigemessen werden.
Putin hatte am Samstag allerdings seine Kritik an der Umsetzung der Vereinbarung erneuert. Das Hauptziel des Abkommens, die „Lieferung von Getreide an ärmere Länder, einschließlich des afrikanischen Kontinents“, sei „nicht erreicht“ worden, sagte Putin laut Mitteilung des Kremls. Die AFP schreibt dagegen, allerdings ohne Angabe einer Quelle: „Ein Großteil der auf Grundlage des Getreideabkommens exportierten Ware ging an ärmere Länder in Afrika und im Nahen Osten.“ Nach Angaben der gemeinsamen Koordinierungsstelle (JCC), welche die Umsetzung des Abkommens beaufsichtigt, profitieren China und die Türkei am meisten von den Getreidelieferungen per Schiff, aber auch andere Industrieländer. Die Vereinbarung half überdies dem Welternährungsprogramm der Uno, Länder wie Afghanistan, Sudan und Jemen zu unterstützen.
Das im Juli 2022 in Istanbul unterschriebene Abkommen wurde bereits zweimal verlängert. Die Übereinkunft ermöglicht der Ukraine, über das Schwarze Meer Getreide zu exportieren. Im zurückliegenden Jahr wurden so fast 33 Millionen Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen ausgeführt. Das Abkommen zwischen der Ukraine und Russland war über Vermittlung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zustande gekommen. Einer der Gründe der plötzlichen Abkehr Russlands von dem Abkommen könnte in einer signifikanten Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Erdogan und der russischen Seite liegen.
Erst vor wenigen Tagen hatte Erdogan Putin brüskiert, als er gegen eine bestehende Vereinbarung ukrainische Offiziere, die beim Fall des Stahlwerks Asowstal gefangen genommen und in der Türkei inhaftiert wurden, nach Hause schickte. Im Zusammenhang mit der Zustimmung Erdogans zum Nato-Beitritt Schwedens und seiner Forderung nach Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen sprachen russische Staatsmedien von einer Annäherung Erdogans an den Westen auf Kosten Russlands und warfen ihm vor, Putin hintergangen zu haben. Es ist anzunehmen, dass Russland Erdogan nun mit großen Misstrauen begegnen dürfte und die Möglichkeiten des türkischen Präsidenten, als Vermittler aufzutreten, damit eingeschränkt sind.
Erdogan sagte laut dem Guardian, er werde bei seinem nächsten Treffen mit Putin über eine Verlängerung sprechen. Das Treffens soll im August stattfinden. „Ich glaube, dass mein Freund Putin das Abkommen trotz der heutigen Erklärung fortsetzen will“, sagte Erdogan.
Russland hatte das Abkommen schon einmal aufgekündigt, war jedoch drei Tage später wieder eingestiegen. Diesmal könnte es jedoch ernster sein, wie der Guardian schreibt. Nach Bekanntwerden der Kündigung stiegen die Preise für Weizen an der Börse von Chicago um drei Prozent. Zwar erwarten Marktbeobachter laut AP keine nachhaltige Steigerung der Lebensmittelpreise, räumen jedoch ein, dass weltweit Sorge wegen einer Lebensmittelknappheit besteht. Wenn das Abkommen nicht verlängert werde, „werden die Lebensmittelpreise mit Sicherheit erneut steigen“, sagte Maximo Torero, Chefökonom der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, dem Magazin Time. „Die Dauer dieses Anstiegs wird stark davon abhängen, wie die Märkte reagieren werden.“ Vor allem für die ärmeren Länder ist die Entwicklung negativ: „Nachdem dieser Deal vom Tisch ist, ist es umso dringlicher, zu überdenken, wie wir die Welt ernähren können“, sagte ein Sprecher der Hilfsorganisation Oxfam dem Magazin Politico und forderte mehr Unterstützung für Kleinbauern in Ländern, die auf Lebensmittelimporte angewiesen sind.
Die Bundesregierung appellierte an Russland, eine Verlängerung des Abkommens zu ermöglichen. Diese Auseinandersetzung dürfe „nicht auf dem Rücken der Ärmsten dieses Planeten“ ausgetragen werden, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Die Bundesregierung setze darauf, dass es künftig nicht nur Einigungen mit kurzen Fristen gebe, sondern langfristige Exportmöglichkeiten für Getreide und Düngemittel aus der Ukraine, sagte Hoffmann weiter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte das „zynische“ Vorgehen Russlands im Onlinedienst Twitter „aufs Schärfste“. Auch Großbritannien und die Niederlande übten heftige Kritik.
Die Vereinbarung zur Ausfuhr ukrainischen Getreides hatte dazu beigetragen, die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die globale Nahrungsmittelversorgung abzumildern. Die Ukraine ist einer der größten Getreideproduzenten der Welt.
