Woher kommen die steigenden Preise? Maurice Höfgen kann es erklären. Der Kolumnist der Berliner Zeitung räumt in seinem neuen Buch „Teuer! Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik“ auf mit den landläufigen Mythen von Crashpropheten und Apologeten der schwarzen Null. Bei der Buchpräsentation in Berlin hatte Höfgen als Sparringspartner SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dabei.
Kurzer Schock
Eigentlich habe er das Thema verfehlt, sagt Höfgen. Streng genommen handele es sich bei den derzeitigen Preissteigerungen nicht um Inflation, sondern nur um Preisschocks. Die Überhitzung der Wirtschaft nach den Lockdowns in der Coronapandemie und die steigenden Energiepreise in der Folge des Ukraine-Kriegs haben die Preise rasant nach oben getrieben. Mittlerweile sinken sie aber wieder. Dauerhafte hohe Teuerungsraten auf breiter Front seien hingegen schon deshalb nicht zu erwarten, weil die Löhne auf niedrigem Niveau verharren.
Anders als vom monetaristischen Mainstream propagiert, trägt nicht das billige Geld der Zentralbanken die Schuld an den Preissteigerungen, ist Höfgen überzeugt: „Nur weil Geld billig ist, rennen die Firmen nicht die Bankfilialen ein, um Kredite für Investitionen zu bekommen. Solange wirtschaftlich Flaute herrscht, gehen auch die Unternehmer nicht ins Risiko und Flaute herrschte seit der Eurokrise.“
Vielmehr sei die Geldpolitik nicht von Investitionen aus den nationalen Haushalten unterstützt worden. Höfgen nimmt Mario Draghi als Kronzeugen, der hatte bei seiner Abschiedsveranstaltung als EZB-Chef ein Testament herlassen: „Geldpolitik kann immer noch ihre Ziele erreichen, aber es ginge schneller und mit weniger Nebeneffekten, wenn sie dabei gleichgerichtet von Fiskalpolitik flankiert würde“, sagte Draghi damals. Höfgen übersetzt die höflichen Worte: „Im Klartext heißt das: Liebe Finanzminister, hört auf mit eurer Sparpolitik und schiebt endlich mal die Konjunktur an – sonst wird das nichts mit zwei Prozent Inflation.“ Draghis Appell habe vor allem Deutschland gegolten, wo die Löhne schwach und die Finanzminister (erst Schäuble, dann Scholz) besonders geizig waren“, heißt es in Höfgens Buch.
Mit zu viel Geld, das in Umlauf gebracht wird, oder zu vielen Staatsschulden hätten weder Preisschock noch Inflation etwas zu tun. Gegen den Energiepreisschock würde es sogar helfen, wenn der Staat mehr Geld ausgäbe, meint Höfgen. Wäre der Finanzminister nicht so auf das Sparen versehen, könnten Solarpaneele, Windräder und andere erneuerbare Energieträger massiv ausgebaut werden. Das würde Deutschland unabhängiger von teuren fossiler Rohstoffen machen und die Preise senken.
Gewinner und Verlierer
Das Buch hat eine wesentliche Stärke: Die vermeintlichen ökonomischen Phänomene werden politisch grundiert. „Inflation passiert nicht, Inflation wird gemacht“, sagt Höfgen. Denn während die großen Energiekonzerne wie RWE in den letzten Monaten hohe Gewinne erzielten, sind die Löhne und Ersparnisse der Erwerbstätigen gesunken. Die Regierung wiederhole mit stets verständnisvollem Blick: „Wir werden alle ärmer.“ Doch Höfgen stellt klar: „Die Frage nach Gewinnern und Verlierern ist eine Frage von Machtverteilung. Wer kann höhere Preise durchsetzen und wer ist in der Lage, sie zu kompensieren?“ Für die meisten Menschen bleibt am Ende des Tages nichts übrig. Bis zu 60 Prozent der Haushalte in Deutschland müssten mittlerweile ihr gesamtes Einkommen für das Lebensnotwendige wie Miete, Energie und Lebensmittel aufbrauchen.
Jetzt ist Kühnert in seinem Element. „Sozialdemokraten sollten sich fürchten, dass eine Tarifrunde zu niedrig ausfällt“, sagt er. Statt hoher Einmalzahlungen für den öffentlichen Dienst müssten tabellenwirksame Steigerungen her, die das Lohnniveau dauerhaft heben.
Radikale Maßnahmen gegen Krisenprofiteure sind Kühnert zu heikel geworden. Um die hohen Strompreise zu bändigen, sollen die Netze ausgebaut werden. Wenn es nicht gelingt, sind im Zweifel andere Schuld. So wie Markus Söder, der „Prinz aus Bayern“, der seine Landschaft nicht mit Trassen verschandelt sehen will. Großkonzerne wie RWE an die Kandare nehmen will Kühnert heute nicht mehr. Das sei zu einfach: „Der Staat kann ja nicht immer einspringen, wenn die Kacke am Dampfen ist.“ Vergessen sind die vollmundigen Töne von früher, als der Juso-Vorsitzende Kühnert noch die Vergesellschaftung von Großkonzernen forderte.
Maurice Höfgen: Teuer! Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik. dtv-Verlag, 240 Seiten, 20 Euro.



