Deutsche Wirtschaft in der Krise

Deutsche Wirtschaft geht in die Knie: „Niemand arbeitet weniger als die Deutschen“

Die deutsche Wirtschaft stagniert. Investitionen im Ausland nehmen zu. Liegt es unter anderem an den Angestellten, die „immer weniger arbeiten“? 

Die Wirtschaftsleistung der deutschen Industrie nimmt ab. Arbeiten die Deutschen zu wenig?
Die Wirtschaftsleistung der deutschen Industrie nimmt ab. Arbeiten die Deutschen zu wenig?Panama Pictures/imago

Die deutsche Wirtschaft verliert an Boden, und das nicht erst seit gestern. Steigende Preise, fehlende Arbeitskräfte und die schleppende Energiewende belasten immer mehr deutsche Unternehmen. Wie lange kann das noch gut gehen? 

Bisher wurde Deutschland immer die Rolle des Motors der europäischen Wirtschaft zugeschrieben, doch mittlerweile ist die Rede vom kranken Mann Europas. Immer mehr mittelständische Hersteller würden den Glauben an die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verlieren, wie die britische Zeitung Financial Times (FT) in einem neuen Bericht schreibt. Das liegt laut den von der Zeitung befragten Unternehmern auch daran, dass Angestellte immer weniger arbeiten.

„Niemand arbeitet weniger als die Deutschen“, zitiert die Zeitung den Vorstandsvorsitzenden des deutschen Kurbelwellenmaschinenherstellers Heller, Klaus Winkler. Zahlen der OECD belegen, dass die deutschen Arbeitnehmer im globalen Vergleich mit Abstand am wenigsten arbeiten. Die Jahresarbeitsstundenzahl pro Mitarbeiter in Deutschland liegt bei 1341 Stunden und damit sogar unter dem globalen Durchschnitt, der von der OECD für das Jahr 2022 mit 1752 Jahresarbeitsstunden angegeben wird. In Mexiko und Kolumbien wird mit Abstand am meisten gearbeitet: 2127 und 2172 Stunden pro Mitarbeiter im Jahr.  

Wirtschaft in der Krise: Auch weil die Deutschen weniger arbeiten?

Aber nicht nur die geleistete Stundenzahl ist in Deutschland gesunken, auch die Qualität der Bewerber für die Ausbildung in den Betrieben habe abgenommen und liege „weit unter dem Niveau von vor zehn Jahren“, fügt der Heller-Chef hinzu. Bereits bestehende strukturelle Probleme, beispielsweise der Arbeitskräftemangel oder bürokratische Hürden, hätten sich in den letzten Jahren zusätzlich verschärft, kritisiert Winkler.

Ein Arbeiter bearbeitet ein Rohr in einer Fabrik in Mülheim an der Ruhr.
Ein Arbeiter bearbeitet ein Rohr in einer Fabrik in Mülheim an der Ruhr.Funke Foto Services/imago

Arbeitszeit der Deutschen: über 100 Stunden weniger pro Jahr

Ob sich das am Ende ähnlich negativ auf die deutsche Wirtschaft auswirkt wie die gestiegenen Energiepreise? „Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden je Beschäftigten ist seit 2008 um sieben Prozent gesunken. Das sind über 100 Stunden, die weniger pro Jahr und Beschäftigten gearbeitet werden“, konstatiert der Sprecher des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Leutz, gegenüber der Berliner Zeitung. Doch das liegt nicht unbedingt an ihrer vermeintlichen Faulheit. 

Die Arbeitnehmer in der Metall- und Energieindustrie sind laut Leutz zwar sehr engagiert und motiviert, werden in der Regel aber auch hoch besteuert. „Auch aufgrund der hohen Abgabenbelastung liegen die Arbeitszeiten in Deutschland faktisch unter denen aller anderen Länder“, so Leutz. In der Metall- und Energieindustrie liege die tarifliche Wochenarbeitszeit noch einmal darunter. 

Auf die Frage, ob sich die Produktivität der Arbeitnehmer in der Industrie entsprechend den geleisteten Arbeitsstunden ebenfalls verringert hat oder konstant geblieben ist, sagt Martin Leutz: „Die Produktivitätsmessung ist in aller Regel stundenbereinigt, das heißt, ein geringeres Arbeitsvolumen bei gleichem Output würde zu einer höheren Produktivität führen. Aber auch das war in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht ersichtlich, weder in der Metall- noch in der Energieindustrie noch gesamtwirtschaftlich. Die Produktivität blieb etwa konstant, während die Arbeitskosten deutlich um 40 Prozent stiegen.“ Wenn von Arbeitskosten die Rede ist, sind damit die Abgaben für die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung gemeint.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und die IG-Metall wollten sich auf Anfrage der Berliner Zeitung nicht zur Thematik äußern. Die Anzahl der Arbeitsstunden an sich mag nebensächlich sein, doch die sinkende Produktivität ist etwas, was unseren Wohlstand zusätzlich belastet. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiten die Erwerbstätigen in Deutschland zuletzt wieder etwas mehr, doch die Produktivität sinkt in Deutschland weiter.

Investitionen im Ausland nehmen zu: Grund sind auch niedrigere Arbeitskosten

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sprach seinerseits gegenüber der FT von einem zyklischen Abschwung in der deutschen Industrie. Die Kombination mehrerer Problemlagen führe zu einer „Düsternis“, so Fuest. Ökonomen fürchten, dass sich dieser Negativtrend aufgrund einer zunehmenden Abwanderung der Produktion deutscher Unternehmen ins Ausland verstärkt. Diese Einschätzung teilt Klaus Winkler. Sein Unternehmen plane bereits, dessen britischen Standort auszubauen, da das Unternehmen „große Wettbewerbsvorteile“ in Form niedrigerer Arbeitskosten im Vergleich zu seinem Sitz in Nürtingen sieht.

Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, spricht von einem zyklischen Abschwung in der deutschen Industrie.
Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, spricht von einem zyklischen Abschwung in der deutschen Industrie.Funke Foto Services/imago

Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zeigen, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. Fast ein Drittel der im Zuge einer Erhebung befragten Unternehmen gaben an, ihre Investitionen im Ausland einer Expansion in Deutschland vorzuziehen. Ein Unternehmer mit Sitz in Soltau, in der Nähe von Hamburg, sagte dazu: „Ich möchte nicht schlecht über Deutschland reden, aber es kommt mir so vor, als wäre hier alles ein bisschen müde.“ In diesem Jahr werden seine Investitionen zum Großteil in eine Fabrik in Tschechien fließen, was in erster Linie auf die deutlich geringeren Energiekosten zurückzuführen ist.

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