Einbürgerung

Ich bin Deutsche geworden, doch mir blutet das Herz: Verflucht sei dieser schreckliche Krieg!

Unsere Autorin ist deutsche Staatsbürgerin geworden – und hat ihren russischen Pass behalten. In einer Kolumne erklärt sie, warum sie keine Erleichterung spürt.

Deutsche auf dem Papier werden und Russin bleiben: Ob das in Zeiten des Ukrainekrieges Erleichterung schenkt?
Deutsche auf dem Papier werden und Russin bleiben: Ob das in Zeiten des Ukrainekrieges Erleichterung schenkt?dpa

„Herzlichen Glückwunsch. Jetzt sind Sie deutsche Staatsbürgerin.“ Als die Beamtin im Berliner Landesamt für Einbürgerung mir an diesem grauen Donnerstagnachmittag meine Einbürgerungsurkunde feierlich überreicht, schießen mir kurz die Tränen in die Augen. „Viele werden emotional“, kommentiert sie freundlich. „Vor allem die Russen. In diesen schwierigen Zeiten fühlen sie sich erleichtert, wenn sie Deutsche werden.“

So bin auch ich nach Masterabschluss und knapp fünf Jahren Aufenthalt in Berlin Deutsche geworden – und Russin geblieben. Das neue Einbürgerungsgesetz der inzwischen zerfallenen Ampel-Regierung, das im Juni dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat mir die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglicht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ob ich auch eine Erleichterung spüre?

2013 kam ich zum ersten Mal nach Deutschland – damals war noch einiges möglich

Der kurze Moment der Freude weicht schnell der altbekannten Unruhe, die wohl jeder Deutsch-Russe empfindet, der nachrichtlich zwischen zwei Fronten lebt. Ob deutsche Truppen in die Ukraine entsandt werden müssen? Ob Putin „nur“ blufft und wir keine Angst vor einem Atomkrieg haben sollten? Oder: Ob Deutschland wieder „entnazifiziert“ gehört? Die übertrieben kriegerische Rhetorik hierzulande und die radikal antiwestliche Propaganda in Russland machen einem, dessen Herz inzwischen für beide Völker schlägt, ordentlich zu schaffen. Dabei war doch noch vor elf Jahren so einiges möglich: wenn kein gemeinsames europäisches Haus von Lissabon bis Wladiwostok, dann zumindest ein friedliches, respektvolles Miteinander.

Damals, 2013, kam ich zum ersten Mal mit meinem Vater als Touristin nach Deutschland und erkannte, dass ich hier leben möchte. Ich – in Südrussland in einem ländlichen, konservativen Umfeld aufgewachsen, heimatliebend, aber zunehmend liberal, was nicht immer in ein zum Teil noch sowjetisch geprägtes Weltbild passte. Da in meiner Schule nur Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wurde, habe ich eine Liebe zur deutschen Sprache und zur deutschen Kultur entwickelt – trotz der schwierigen deutsch-russischen Geschichte, oder gerade deswegen. Viele Vorfahren der heutigen Deutschen hassten uns Russen, und ich lernte, die Deutschen zu lieben. Ja, zu lieben!

Ukrainekrieg: Auch Russen und Deutsche leiden darunter

2014 kam ich für einen Deutschkurs in die Bundesrepublik, 2016 noch einmal für ein Masterstudium. Kurz vor dem ersten Corona-Lockdown kam ich im Februar 2020 zurück nach Berlin – dieses Mal, um zu bleiben. Ich hatte aufgrund meines sozialen Hintergrundes – oder auch aus jugendlicher Naivität – länger geglaubt, mit meiner journalistischen Arbeit zur deutsch-russischen Verständigung in der Wirtschaft, aber auch in der Kultur beitragen zu können. Doch dann hat Russland – mein Heimatland – eine militärische Invasion in der Ukraine begonnen. Die aufrichtigen Bemühungen der Partner auf beiden Seiten um ein Mit- statt ein Gegeneinander wurden über Nacht zunichtegemacht. Dass die beiden Völker einander heute wieder als Bedrohung sehen, ist eine Tragödie. Verflucht sei dieser schreckliche Krieg! Die Ukrainer leiden darunter, aber auch wir Russen und wir Deutschen.

In diesen schwierigen Zeiten beides zu sein – Deutsche und Russin, „eine von uns“ und doch eine Fremde – verschafft einem kaum Erleichterung, vor allem, wenn einige Kräfte hartnäckig versuchen, dich in eine Schublade zu stecken, zu brandmarken, zu stigmatisieren, dazu zu bringen, dass du deine russische Identität aufgibst oder sogar leugnest. Nein, ich werde auch weiterhin versuchen, den Staatsapparat vom Land zu trennen, kritisch, aber weitsichtig zu bleiben und strategisch zu denken – in der Hoffnung, dass die besseren Zeiten noch kommen werden. Ich bin jung genug, um daran zu glauben. Ob das naiv ist? Die Zeit wird es zeigen. Für mich gibt es keine Alternative.

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