Man kann den Krieg mittlerweile in Sanktionspaketen zählen. Zum Jahrestag von Wladimir Putins Invasion will die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Sanktionspaket Nummer zehn in Kraft treten lassen.
Neue Exportverbote soll es geben, diesmal für elektronische Bauteile, die Russland in Waffensystemen, Kampfhubschraubern und Drohnen verwendet. Das verkündete von der Leyen am Mittwoch bei ihrer Rede im EU-Parlament.
Von der Leyen will beweisen, dass die Sanktionen wirken
Wie in fast jeder ihrer Reden sprach von der Leyen dabei über den vermeintlichen Erfolg der bisherigen Sanktionspolitik. Und ohne Zweifel fügen die Sanktionen der russischen Wirtschaft schweren Schaden zu. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Wirtschaft nach offiziellen Angaben nur um 2,5 Prozent geschrumpft ist. Zöge man die Milliarden an Sold für Soldaten und Produktion der Kriegsindustrie ab, fiele die Statistik deutlich schlechter aus. Auch die Abwanderung von Fachkräften und modernen westlichen Firmen wirft Russlands Entwicklung um Jahre zurück – lässt sich aus dem Bruttoinlandsprodukt aber gar nicht ablesen.
„Putin hat den von ihm entfachten Energiekrieg schon verloren“, resümierte von der Leyen in ihrer Rede. Während Europa Gas wieder zu Preisen von vor dem Krieg handelt, schrumpfen Putins Einnahmen aus Öl und Gas zusammen. Europas Sanktionspolitik sei aufgegangen und „Putins Erpressungsversuch mit Energie krachend gescheitert“. Der Kreml müsse schon Goldreserven verkaufen, um angesichts fehlender Öleinnahmen seine Löcher zu stopfen, so von der Leyen, als sei das der ultimative Beweis für die Wirkung der Sanktionen. Das ist allerdings nicht richtig.

Geringes Staatsdefizit dank Rekordgewinnen von Gazprom und Rosneft
Zu Beginn des Krieges war der abgestürzte Rubelkurs von der Leyens Beweis für die Sanktionen. Das Problem: Der Rubelkurs erholte sich schnell, stand im Sommer gar 50 Prozent höher als vor dem Krieg, und auch heute noch knapp zehn Prozent. In ihrer Rede präsentierte von der Leyen einen neuen Beweis: Russlands Staatshaushalt.
Im Kriegsjahr 2022 betrug Russlands Staatsdefizit umgerechnet 43 Milliarden Euro, oder minus 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Krieg zu führen, kostet viel Geld. Die Ausgaben sind nach oben geschossen. Allein fürs Militär hat Putin etwa 66 Milliarden Euro mehr ausgegeben als im Vorjahr. Und eigentlich wäre das Minus noch viel größer ausgefallen, hätten Putins Energieriesen Gazprom und Rosneft nicht Rekordgewinne dank der hohen Öl- und Gaspreise eingefahren.
Immerhin hat Russland viel weniger Schulden als Deutschland
Mittlerweile sind die Preise aber gefallen, ebenso wie die Verkaufsmengen. Russland hat die wegbrechenden Verkäufe an die EU noch nicht komplett durch Verkäufe an China, Indien und andere Länder ersetzt. Dieses Jahr dürfte das Defizit also größer werden – je nach Kriegsverlauf und Weltmarkpreisen von Öl und Gas. Auf der anderen Seite prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) dem russischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 sogar ein Wachstum von 0,3 Prozent, nach einem Minus von 2,2 Prozent im letzten Jahr.
Ein Schuldenproblem hat Russland aber nicht, so sehr es von der Leyen auch herbeiredet. Das zeigt ein nüchterner Vergleich mit anderen Ländern. Deutschland lag beim Staatsdefizit 2022 bei minus 2,6 Prozent der Wirtschaftsleistung, die USA bei minus vier, Frankreich bei minus fünf, China bei minus neun, Indien bei minus zehn Prozent. Während der Corona-Pandemie lagen alle noch viel höher: Deutschland bei minus vier, Frankreich bei minus neun, die USA bei minus 14 Prozent. Für zehn Monate Krieg ist ein Defizit von 2,3 Prozent also erstaunlich wenig, nicht besonders viel. Zumal Russlands gesamte Schulden nur knapp 20 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen (Deutschland liegt hier bei 70 Prozent, die USA bei 125 Prozent) und fast ausschließlich in eigener Währung notiert sind.

Das ist der Grund für den Verkauf von Gold- und Währungsreserven
Warum aber hat Putin vor kurzem preisgeben lassen, dass Russland im Januar 2,27 Milliarden chinesische Yuan (umgerechnet rund 309 Millionen Euro) und 3,6 Tonnen Gold (nach dem aktuellen Goldpreis umgerechnet rund 200 Millionen Euro) aus der staatlichen Reserve verkauft hatte? Laut einer Pressemitteilung des russischen Finanzministeriums und Ursula von der Leyen, um die Löcher im Haushalt zu stopfen. Das ergibt aber keinen Sinn. Eine halbe Milliarde Euro Erlöse ist für 2023 geplante Einnahmen des Staatshaushaltes in der Höhe von umgerechnet knapp 326 Milliarden Euro viel zu klein und das Staatsdefizit ist auch gar kein Loch.
Das Bild ist also irreführend. Alle Ausgaben und alle Einnahmen sind ja längst abgewickelt, es gibt nichts zu füllen oder stopfen. Und wenn Putin Rubel braucht, kann er von russischen Banken oder seiner Zentralbank immer welche bekommen. Dafür muss er keine Reserven verkaufen.
Der Grund für den Verkauf ist wohl ein anderer, nämlich: Putin will den Rubelkurs stützen. Das gelingt, indem er Yuan oder Gold gegen Rubel verkauft. In den letzten drei Monaten verlor der Rubel an Wert, gegen den Euro 21 Prozent, gegen den chinesischen Yuan 22 Prozent. Das ist aus zweifacher Sicht ein Problem für Putin. Erstens, weil ein starker Rubelkurs ein Propagandatool ist. Der starke Rubel zeige, dass Russland den Sanktionen trotze, so seine Erzählung. Und zweitens, weil schwacher Rubel Importe teurer macht und die Inflation verschärft – das will Putin verhindern. Da Russland immer mehr mit China handelt, ist der Wechselkurs zum Yuan besonders wichtig.
An wen das Gold verkauft wurde, verriet das russische Finanzministerium nicht, vieles spricht aber für China als Abnehmer. Die Sanktionen verbieten Verkäufe an Europa, Großbritannien oder die USA. Chinas Zentralbank hatte zuvor angekündigt, ihre Goldreserven aufzustocken. Das Gold wurde schließlich gemeinsam mit chinesischen Yuan verkauft.
Dieses Problem hat Russland wirklich
Allerdings sind die bisherigen Verkaufsmengen zu klein, um den Rubelkurs spürbar nach oben zu drücken. Russland hat zwar große Reserven (307,4 Milliarden Yuan und 551,2 Tonnen Gold), doch größere Verkäufe würden als Schwäche interpretiert – eine Zwickmühle für Putin. Mit den fallenden Öl- und Gaspreisen fallen auch die großen Exportüberschüsse Russlands – und damit die internationale Nachfrage nach Rubel. Über kurz oder lang wird es sich mit einem schwächeren Rubel abfinden müssen.
Klar ist jedenfalls: Von der Leyen tappt im Dunkeln, wenn sie den Goldverkauf als Beweis dafür nimmt, dass Russland wegen der Sanktionen das Geld ausgehe. Damit ist nicht zu rechnen. Russlands Kriegsmaschinerie hat kein Geldproblem, sondern ein Materialproblem. Die neuen Exportverbote sollen dieses Problem verschärfen.
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