Energie

Putin bringt Nord Stream 2 ins Spiel: „Wir haben eine fertige Trasse“

Russland schlägt die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 vor. Die EU-Kommission will im Notfall Energie-Zwangsmaßnahmen verhängen.

Die Ostseepipeline Nord Stream 2 wurde wegen des russischen Krieges in der Ukraine nie in Betrieb genommen.
Die Ostseepipeline Nord Stream 2 wurde wegen des russischen Krieges in der Ukraine nie in Betrieb genommen.Foto: Stefan Sauer/dpa

Der russische Präsident Wladimir Putin hat in der Diskussion um die Energiekrise in Europa erneut die fertiggebaute Pipeline Nord Stream 2 als Alternative ins Gespräch gebracht: Die Energie aus Wind und Sonne reiche nicht aus, bestehende Pipelinerouten seien wegen nötiger Reparaturen ebenfalls nur bedingt einsetzbar. „Aber was das Gas betrifft, so haben wir noch eine fertige Trasse – das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen“, sagte Putin am Rande eines Gipfels im Iran.

Die Bundesregierung bekräftigte am Mittwoch allerdings ihre Position und hielt sich über die Zukunft von Nord Stream 2 bedeckt: Die Pipeline sei nicht zertifiziert und damit rechtlich nicht zugelassen. Auch politische Gründe für die Nichtinbetriebnahme wurden genannt: „Angesichts unserer realen Herausforderungen beschäftigen wir uns nicht mit einem derart plumpen Erpressungsversuch“, sagte der FDP-Fraktionsvize, Lukas Köhler, laut dpa. „Das Thema Nord Stream 2 ist aus gutem Grund erledigt – und dieser Grund sitzt im Kreml.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte laut dpa: „Ich möchte hier ganz klar sein: Nord Stream 2 ist nicht einmal zertifiziert und überhaupt nicht einsatzbereit.“

Bundesregierung erwartet Gaslieferung in vollem Umfang

Putin hatte zuvor gesagt, dass die Belieferung über Nord Stream 1 von Russland nicht infrage gestellt werde: „Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen.“ Zugleich warnte er aber vor einem weiteren Absenken der Liefermenge, sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten. Die Bundesregierung machte klar, man erwarte von Gazprom nach Ablauf der Wartungsfrist, dass Gas in vollem Umfang wieder fließen werde. Das Bundeswirtschaftsministerium ließ verlauten, dass der Ersatz der Turbine kein großes technisches Problem sein könne.

Während der vergangenen anderthalb Wochen war wegen einer jährlichen Routinewartung kein Gas durch die zuletzt wichtigste Verbindung für russische Erdgas-Importe nach Deutschland geliefert worden. Die Bundesregierung hatte die Befürchtung geäußert, Russland könnte die EU erpressen und den Gashahn auch nach der Wartung geschlossen lassen. Die am Mittwoch veröffentlichten, vorläufigen Daten des Netzbetreibers Gascade zu vorgemerkten Gaslieferungen deuten allerdings darauf hin, dass wieder Gas durch die Pipeline fließt. Ob und wie viel Gas tatsächlich ab Donnerstag kommt, zeigen die nun vorliegenden Daten allerdings nicht mit Sicherheit. Die Menge kann bis kurz vor tatsächlichem Lieferbeginn renominiert werden – das bedeutet, die Angaben können geändert werden.

Brüssel rechnet mit anhaltender Energiekrise

Aus Brüssel kamen am Mittwoch Signale, dass man sich auf ein Anhalten der Energiekrise einstellen müsse. Für diesen Fall will die EU ihre Kompetenzen erheblich erweitern: Die EU-Kommission will die Mitgliedsländer im Notfall zu Einsparungen bei Erdgas zwingen, wie aus einem Notfallplan hervorgeht: Der Brüsseler Plan sieht ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst sollen die Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis 15 Prozent ihres herkömmlichen Gasbedarfs einsparen. So könnten etwa Heizungen auch in Privathaushalten gedrosselt und Laufzeiten von Atom- oder Kohlekraftwerken verlängert werden.

Sollte dies bis Ende März nicht ausreichen, will die Kommission nach von der Leyens Worten mit einem neuen „Notfallinstrument“ durchgreifen und Zwangsmaßnahmen verhängen. Damit wolle ihre Behörde im Falle eines russischen Gasstopps „eine schwerwiegende Rezession auf unserem Kontinent“ abwenden, sagte die deutsche Kommissionschefin.

Kritik von allen Seiten

Der europäische Arbeitgeber- und Lobbyverband Business Europe warnte Brüssel vor zu harten Schritten: „Eine erzwungene Einschränkung der Produktion hätte katastrophale wirtschaftliche Auswirkungen und oft unumkehrbare Folgen für die Unternehmen“, sagte Generaldirektor Markus Beyrer. Greenpeace kritisierte, der „Winterplan“ der Kommission greife zu kurz. Er konzentriere sich zu wenig auf den Klimaschutz und zu stark auf „schmutzige Energiequellen wie Öl und Kohle“, wie die Organisation in Brüssel erklärte.

Die von Deutschland erhoffte Energie-Hilfe durch Nachbarn wie Frankreich oder Polen knüpft die EU-Kommission zudem an Bedingungen. Danach soll ein Land Solidarität nur dann einfordern können, wenn es seine Gasnachfrage ausreichend reduziert hat.

Bisher hat die EU-Kommission keine Befugnis, Energieeinsparungen in Mitgliedsländern zu erzwingen. Per Verordnung will sie sich dafür eine Sondervollmacht geben lassen.

Dem müssten die Mitgliedsländer mit qualifizierter Mehrheit zustimmen, das bedeutet mindestens 15 der 27 Länder, die zusammen 65 Prozent der EU-Bürger umfassen. Die EU-Energieminister wollen sich am Dienstag bei einer Sondersitzung in Brüssel mit den Plänen befassen.

Deutschland hat Abhängigkeit von Russland reduziert

Die Bundesregierung befürchtet, dass Russland nach dem Ende der Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 die Gaslieferungen erneut drosselt oder ganz beendet. Dies könnte schon ab diesem Donnerstag der Fall sein. Der Netzwerkbetreiber Gascade kündigte am Mittwoch an, dass für Donnerstag Lieferungen durch die Pipeline angekündigt seien.

Bis Ende Juni konnte Deutschland seine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen auf 26 Prozent reduzieren, wie das Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch mitteilte. Noch vor kurzem lag der Anteil bei 55 Prozent.

Deutschland und die EU suchen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar nach alternativen Energieanbietern. Die Bundesregierung und die Kommission setzen zudem auf einen Ausbau erneuerbarer Energieträger. Allerdings gibt es auch in diesem Bereich Bedenken: Umwelt- und Bauernverbände reagieren skeptisch auf die Überlegungen Thüringens zum großflächigen Ausbau von Solarmodulen auf den Äckern des Freistaats. So müsse die Artenvielfalt auf dem Feld von dieser Art der Energieerzeugung profitieren und dürfe in keiner Weise benachteiligt werden, forderte der Bund für Umwelt und Naturschutz Thüringen (BUND) am Mittwoch in Erfurt. Zudem sollten versiegelte Flächen und vor allem Dächer im Freistaat für die Gewinnung von Sonnenenergie genutzt werden, bevor die Nutzung wertvoller Ackerflächen überhaupt in Betracht komme. Die Energieproduktion auf dem Feld dürfe nur als zusätzliche Nutzung erfolgen. (mit dpa und AFP)