In Dresden und Wiesbaden gab es Ende September großflächige Stromausfälle, sogenannte „Blackouts“. Anfang Oktober fiel in Paderborn der Strom vorübergehend aus. Die Ursachen sind nicht klar, die Rede ist von technischen Gebrechen, einer defekten Leitung und einem Ballon, der einen Kurzschluss ausgelöst haben könnte. Die Gründe für die Blackouts dürften also lokaler Natur sein.
Doch sehen Experten ein Szenario am Horizont, welches bisher Science-Fiction-Filmen vorbehalten gewesen ist: In ihrer aktuellen Gasmarktübersicht warnt die Investmentbank Goldman Sachs vor großflächigen Stromausfällen im kommenden Winter in Deutschland und Europa. Sollte der Winter kalt werden und lange dauern, könnten die Regierungen gezwungen sein, einzelne Industriezweige zu schließen.
In jedem Fall werden die Konsumenten merken, dass Energie ein kostbares Gut ist. Deutsche Haushalte müssen im kommenden Winter fürs Heizen deutlich tiefer in die Tasche greifen. Die Gaskosten sind im Jahresvergleich um mehr als ein Viertel gestiegen, die Preise für Heizöl legten um knapp 87 Prozent zu, berichtet das Vergleichsportal Verivox.
Aktuell explodieren die Gaspreise. Beinahe jeder zweite Haushalt in Deutschland heizt mit Erdgas. Thorsten Storck, Energieexperte bei Verivox, erklärte dem Portal die Gründe für den Preisanstieg bei Gas: „Die besorgniserregenden Preissprünge im Großhandel sind zum einen der hohen Nachfrage aus Asien, zum anderen den gedrosselten Liefermengen aus Russland geschuldet.“
Storck erwartet wie die meisten Energie-Analysten einen weiteren Anstieg der Preise: „Neben den höheren Großhandelspreisen steigt auch der CO₂-Preis für fossile Brennstoffe zum Jahreswechsel von 25 auf 30 Euro pro Tonne. Diese Kosten geben viele Gasversorger direkt an ihre Kunden weiter.“ Auch Heizöl wird teurer, weshalb Experten empfehlen, die Tanks rasch zu befüllen.
China importiert mehr Gas aus Katar
Doch ob Sparsamkeit bei den privaten Haushalten ausreichen wird, um größere Verwerfungen zu verhindern, ist nicht klar. Der Blick nach China zeigt, wie angespannt die Lage ist: Nach zahlreichen Stromausfällen in den vergangenen Wochen hat die Provinz Liaoning am Montag erneut eine Warnung veröffentlicht: Es sei mit massiven Problemen zu rechnen. Zuvor hatten in der wirtschaftsstarken Provinz Hunderttausende Haushalte keinen Strom, Unternehmen mussten vorübergehend schließen, berichtet die South China Morning Post.
Wie die staatliche chinesische Global Times berichtet, sind in den Provinzen Heilongjiang, Jilin und Liaoning bereits im September Stromrationierungen verordnet worden, nachdem die Provinzen von einem „unerwarteten und beispiellosen“ Stromausfall überrascht worden seien. Bereits 20 Provinzen haben Strom rationiert, zum Teil mit drastischen Maßnahmen: So wurden Haushalte angewiesen, nur noch einen Kühlschrank in Betrieb zu halten und die Mikrowelle gar nicht mehr zu benutzen. In Hochhäusern wurden die Fahrstühle abgestellt. In einigen Städten wurde die nächtliche Straßenbeleuchtung auf wenige Stunden reduziert. Seit der Pandemie gilt China auch dem Westen als Vorbild, weshalb die staatlichen Maßnahmen auch in Europa genau beobachtet werden.
Der Hauptgrund der Probleme in China liegt in der robusten Industrieproduktion. Insbesondere für die Herstellung von Aluminium wird viel Strom benötigt. Die Führung in Peking will das Wachstum nicht gefährden und sucht daher nach Wegen, den gesamten Stromverbrauch zu drosseln. Allerdings kommt der Kommunistischen Partei in diesem Zusammenhang ihre eigene Politik in die Quere: Die Preise für die Konsumenten sind gedeckelt, werden also künstlich niedrig gehalten, während die Stromerzeuger immer höhere Preise für Kohle bezahlen müssen.
Nord Stream 2: Asiatischer Markt für USA attraktiver
Peking hat zwar den Arbeitern in den Kohleminen befohlen, die Produktion zu erhöhen. Doch diese können die wegen der globalen Nachfrage gestiegenen Einkaufspreise nicht drücken. Daher haben zahlreiche Energieversorger ihre Produktion gedrosselt, um die Pleite zu verhindern: Je mehr sie nämlich produzieren, desto höher sind ihre Verluste. Und so ergibt sich ein fataler Kreislauf: Die Nachfrage steigt, das Angebot sinkt.
Weil der Energiehunger der chinesischen Wirtschaft weiter groß ist, orientiert sich Peking an zusätzlichen Importen. Und genau deshalb haben die Entwicklungen in China direkten Einfluss auf die Lage in Europa: China kauft mehr Gas von Katar und Russland. Katar ist einer der führenden Exporteure von Flüssiggas. Auch US-amerikanisches Flüssiggas geht verstärkt nach Asien, weshalb die Europäer trotz des Ausbaus der Flüssiggas-Terminals in Schleswig-Holstein und Polen nicht aus dem Vollen schöpfen können.



