Finanzindustrie

Donnergrollen auf den Märkten: Ist das das Comeback der Finanzkrise?

Vor 15 Jahren entluden sich die Spannungen im amerikanischen Bankensektor und lösten ein globales Unwetter aus. Nun gehen wieder Institute pleite.

Die Wall Street in New York ist das Zentrum der amerikanischen Finanzindustrie.
Die Wall Street in New York ist das Zentrum der amerikanischen Finanzindustrie.Richard Drew/AP

Wiederholt sich die Geschichte? Vor 15 Jahren brach in den USA der Hypothekenmarkt zusammen, der auf Sand gebaut war. Die amerikanischen Banken hatten die Verschuldung der Privathaushalte überdehnt. Eigenheimkredite wurden an Kreditnehmer vergeben, deren Einkommen bei weitem nicht ausreichten, die großen Summen zurückzuzahlen. Weil die Verträge mit variablen Zinssätzen versehen waren, stiegen die Forderungen. Tausende Familien konnten ihre Rechnungen nicht begleichen, wurden zwangsgeräumt und mussten von einem Tag auf den anderen auf Campingplätzen, im eigenen Auto oder auf der Straße leben.

Banken spekulierten mit Schrottpapieren

Die Banken hatten mit den als „subprime“ (zweitklassig) bezeichneten Schrottpapieren viel Geld verdient. Sie bündelten sie mit anderen Hypothekenkrediten, handelten die verbrieften Pakete und trieben die Preise in die Höhe. Das Schneeballsystem bekam von den Ratingagenturen ein Gütesiegel. Viele der hoch ausfallgefährdeten Kreditpakete bekamen beste Bonitätsnoten.

Nachdem die ersten Blasen auf dem Immobilienmarkt platzten, hob die amerikanische Notenbank die Zinsen an und beschleunigte die Pleitewelle. Die Banken wurden ihre zunehmend wertlosen Schrottbündel nicht los. Jeder misstraute jedem. Am 15. September 2008 musste die Bank Lehman Brothers Insolvenz anmelden. Die Finanzkrise entlud sich blitzartig und zog Banken auf der ganzen Welt, die an der Hausse auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt mitgezockt hatten, mit nach unten.

Das Bankenviertel in Frankfurt am Main
Das Bankenviertel in Frankfurt am MainHelmut Fricke/dpa

Plötzlicher Blitz oder langes Donnergrollen – wie verläuft die Finanzkrise?

Ist dieses Mal alles anders? Seit März sind in den USA, angefangen mit der Insolvenz der Silicon Valley Bank, einige Regionalbanken pleitegegangen. Ein Lauffeuer wurde bislang nicht entfacht, vielmehr sprang der Funken nur bis in die Schweiz über: Die Credit Suisse, bis dato eine der größten Banken der Welt, hatte sich nach zahlreichen Skandalen und Fehlinvestitionen verhoben und wurde am 19. März letztlich dank eines üppigen Rettungspakets der Schweizer Nationalbank in Höhe von 54 Milliarden US-Dollar von der UBS geschluckt.

Anders als wie die plötzliche Entladung eines reinigenden Gewitters im Finanzsektor 2008 wirkt die heutige Krise eher wie ein permanentes Donnergrollen. „Unsere Experten erwarten derzeit kein Übergreifen der Turbulenzen im US-Bankensystem auf das deutsche Finanzsystem. Dennoch prüfen wir in der Bundesbank potenzielle Ansteckungskanäle für das deutsche Finanzsystem“, erklärt die Deutsche Bundesbank auf Anfrage der Berliner Zeitung. „Auch in Deutschland sind die Banken durch die Zinswende vor Herausforderungen gestellt.“ Dies hat die Aufsicht aber seit längerem im Blick. Insgesamt hätten die Banken die Schocks der zurückliegenden Wochen bislang gut verkraftet. Dies habe auch damit zu tun, dass die Banken in Deutschland umfassend reguliert seien und in den vergangenen Jahren weiteres Eigenkapital aufgebaut haben. „Dennoch sollten die Ereignisse zum Anlass genommen werden, zu prüfen, ob Aufsicht und Regulierung verbessert werden können“, erklärt die Bundesbank.

Zentralbanken halten den Laden am Laufen

Doch warum kommen die Banken eigentlich in die Dauerbredouille? Seit der Finanzkrise von 2008 ist die westliche Weltwirtschaft in einen Modus übergegangen, den der Ökonom Joscha Wullweber treffend als „Zentralbankkapitalismus“ charakterisiert. Die Notenbanken haben mit ausgiebigen Anleihenkäufen, gepaart mit Niedrigzinsen, die Kreditbedingungen äußerst günstig gehalten. Banken und Unternehmen konnten sich mit billigem Geld eindecken. Das Problem daran ist, dass die enormen Wertsteigerungen von Aktien, Immobilien und anderen Vermögenswerten nicht abgeschöpft wurden. Die Regierungen sind nicht dazu übergegangen, nachhaltige Konjunkturimpulse zu setzen, mit denen die Realwirtschaft angekurbelt wird. Während die Reallöhne sinken, und sich ein Investitionsstau aufbaut, quellen Privatvermögen über und die Dividenden der im Dax gelisteten Unternehmen erreichen ein Rekordhoch nach dem anderen. Die Zentralbanken sind eingesprungen, und haben weiterhin die Wirtschaft am Laufen gehalten. Sie wiesen einen Umweg aus der Kreditklemme, die Regierungen wollten den direkten Weg nicht gehen.

Die abrupte Zinswende, die von den Zentralbanken Ende 2022 in Gang gesetzt wurde, drückt die Kreditvergabe. Die Branchen mit den riskantesten Kreditgeschäften traf es als erstes. Die Hightechindustrie, deren Finanziers Investitionen mit Aussicht auf zukünftige, aber noch nicht realisierte Gewinne tätigen, traf es als erstes. Der Kurs der Amazon-Aktie verlor zwischen August und Dezember letzten Jahres fast die Hälfte an Wert. Die geldpolitische Verschärfung in diesem Jahr traf die Bankenbranche. Die steigenden Zinsen schmälerten den Wert der Bankreserven. Die Anleger schichten um: Heißes Geld fließt in Staatsanleihen, weil dort mittlerweile höhere Renditen zu erzielen sind. Wenn Bankkunden ihre Einlagen abziehen, sind die Banken wiederum gezwungen, ihre langfristigen Hypotheken oder ihre eigenen Staatsanleihen mit Verlust zu verkaufen, weil steigende Zinssätze den Marktpreis für langfristige Hypotheken und Anleihen senken. Die Banken müssen also Kapitalverluste hinnehmen. Der Kredithebel ist universell gültig, nicht nur auf die USA und die Schweiz beschränkt, sondern kann durchaus auch deutsche Banken treffen.

Zinswende bedroht Unternehmen und Immobilien

Die größten Sorgen bereiten die globalen Immobilienmärkte. In den USA sind die Preise für Gewerbeimmobilien bereits drastisch gesunken. Es ist das nächste Problem für die ohnehin unter Druck stehenden amerikanischen Regionalbanken, die in diesem Bereich die meisten Kredite vergeben haben. Die amerikanische Großbank Morgan Stanley erwartet für den Markt amerikanischer Gewerbeimmobilien einen größeren Preissturz als 2008.

Eine Bankfiliale der First Pepublic Bank in San Francisco
Eine Bankfiliale der First Pepublic Bank in San FranciscoJeff Chiu/AP

In Europa ist Schweden mittlerweile der größte Krisenherd. Das Unternehmen Samhallsbyggnadsbolaget i Norden AB (SBB), das über mehr als 2000 Immobilien verfügt, ist von den Ratingagenturen auf Ramschniveau herabgestuft worden, da es Schwierigkeiten hatte, einen Teil der Kredite, die sich auf acht Milliarden Euro belaufen, zu bedienen. Mit einem Einbruch der Immobilienpreise um 20 Prozent steht der schwedische Wohnungsmarkt an der Spitze der sich ausbreitenden Immobilienkrise in Europa.

Aber auch Unternehmenspleiten nehmen zu. In den Vereinigten Staaten haben im Mai acht Unternehmen mit Verbindlichkeiten von mehr als 500 Millionen US-Dollar Insolvenz angemeldet, davon fünf innerhalb der letzten Woche, berichtete die Financial Times am Freitag. Im Jahr 2022 lag der Monatsdurchschnitt der Insolvenzen bei etwas mehr als drei. Von Jahresbeginn an hätten bisher 27 große Schuldner Insolvenz angemeldet, im Vergleich zu 40 im gesamten Jahr 2022.

Geldfluss in die USA sicherstellen – die Fed prescht vor

Die Zinserhöhungen drohen weitreichende Folgen zu haben. Der renommierte amerikanische Ökonom James K. Galbraith warnt vor einer systemischen Krise. „Offensichtlich müssen Europa und Japan mit den Zinserhöhungen und Einlagensicherungen der USA mithalten, und wenn all diese Zinssätze steigen, wird es zu einem globalen Abschwung kommen.“ Wenn die übrigen Zentralbanken dem amerikanischen Beispiel nicht folgten, werde heißes Geld massiv aus europäischen und anderen ausländischen Banken und aus dem Rohstoffsektor abfließen. „Das Geld soll in die USA fließen. In die Geldmarktfonds und die größten Banken“, schreibt Galbraith in einem Beitrag für The Nation.

Jerome Powell, Präsident der Federal Reserve
Jerome Powell, Präsident der Federal ReserveCarolyn Kaster/AP

Deshalb hält die Federal Reserve Kurs. In einer Analyse für das Wall Street Journal schreiben Moritz Schularick, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, und der Historiker Niall Ferguson: „Benjamin Franklin hat einmal gesagt, dass nichts im Leben sicher ist, außer dem Tod und den Steuern. Wäre er heute hier, wäre er versucht, der Liste einen weiteren Punkt hinzuzufügen: Bankenrettungsprogramme.“ Als Reaktion auf die Pleite der SVB hatte die Fed eine Pauschalgarantie für nicht versicherte Einleger mit mehr als 250.000 Dollar ausgesprochen. Die Einlagen von Milliardären wurden dadurch gerettet. Doch damit nicht genug. „Die Federal Reserve entwickelte auch eine neue Methode, um den Schmerz der Banken zu lindern, die vergessen hatten, sich gegen steigende Zinsen abzusichern“, schreiben Schularick und Ferguson. „Mit dem neuen Bank Term Funding Program (BTFP) erhalten die Banken Zugang zu Liquidität der Fed, um potenzielle Einlagenabflüsse auszugleichen, indem sie Kredite gegen langfristige Wertpapiere aufnehmen, die sich im Besitz der Banken befinden.“

Bankenrettung wird ausgeweitet – Zentralbanken greifen immer tiefer in die Tasche

In der Finanzwelt sei eine solche Kreditvergabe gegen Wertpapiere mittlerweile gängige Praxis. „Sie ist der Treibstoff für den 15 Billionen Dollar schweren Repo-Markt, einen der größten und liquidesten Finanzmärkte der Welt.“ Während diese Märkte auf Basis so genannter Haircuts, also mit Preisabschlägen, funktionierten, könne man sich das neue Programm der Fed am besten als „Hair-Extension-Operation“ vorstellen. „Im Rahmen des BTFP können sich Banken bei der Zentralbank 100 Dollar für Wertpapiere leihen, die diesen Nennwert, aber einen weit geringeren tatsächlichen Wert haben.“ Das sei ein Segen für Institute, deren Wertpapierportfolios tief unter Wasser stehen, schreiben die beiden Ökonomen, und schlussfolgern: „Im letzten halben Jahrhundert hat die Häufigkeit von Finanzkrisen und Marktzusammenbrüchen dramatisch zugenommen.“

Unser Zeitalter sei geprägt durch latente finanzielle Anfälligkeit. „Die politischen Interventionen der Zentralbanken sind mutiger geworden und spielen nun eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung eines von Natur aus fragilen Kreditsystems“, fassen es Schularick und Ferguson zusammen. Die unsichtbare Hand des Marktes habe immer wieder eine übergroße helfende Hand gebraucht. Die Zentralbanken greifen heute tiefer in die Tasche. Die nächsten Wochen werden zeigen, welche Folgen die Rettungsprogramme haben werden.