Unter den Anlegern von amerikanischen Technologie-Aktien hat sich am Montag große Nervosität verbreitet. Der Grund: Ein kleines chinesisches Labor für Künstliche Intelligenz überraschte die Branche mit der Veröffentlichung der technischen Spezifikationen seines neuesten Modells. DeepSeek, gegründet vom Hedgefonds-Manager Liang Wenfeng, veröffentlichte am Montag sein R1-Modell und erklärte in einem ausführlichen Dokument, wie man mit einem begrenzten Budget ein großes Sprachmodell baut, das automatisch und ohne menschliche Aufsicht lernen und sich selbst verbessern kann. Ein Post von Tech-Investor Marc Andreessen auf der Plattform X über DeepSeek vom vergangenen Freitag löste Schockwellen aus, die am Montag selbst in der Deutschen Börse in Frankfurt zu spüren waren. Andreessen hatte geschrieben, dass DeepSeek einer der „beeindruckendsten Durchbrüche“ sei, die er jemals gesehen habe. Die Modelle von DeepSeek seien viel billiger und fast so gut wie die der amerikanischen Konkurrenten, schreibt der Economist.
Außerdem bezeichnete der Star-Investor den Erfolg des neuen chinesischen KI-Modells als „Sputnik-Moment der KI“ und zog einen Vergleich mit dem Achtungserfolg der Sowjetunion, die am 4. Oktober 1957 mit dem ersten künstlichen Erdsatelliten „Sputnik“ die westliche Welt überraschte.
Die technologische Vormachtstellung der USA werde von China „in Frage gestellt“, kommentierte Analystin Kathleen Brooks von der Handelsplattform XTB. „Der Fokus liegt jetzt darauf, ob China es besser, schneller und kostengünstiger als die USA machen kann, und ob sie das KI Rennen gewinnen könnten.“
Analyst David Morrison von FCA verwies laut AFP darauf, dass der KI-Assistent von DeepSeek momentan „die am besten bewertete kostenlose Anwendung im US-App-Store von Apple“ sei. Angesichts der Bedrohung durch kostengünstigere chinesische KI-Modelle seien die Anleger gezwungen, die Aussichten mit Blick auf Investitionen und Bewertungen „zu überdenken“, erklärte er. Die chinesischen KI-Modelle schienen „genauso gut, wenn nicht sogar besser“ als die US-Versionen zu sein.
US-Unternehmen wie OpenAI und Google DeepMind waren Vorreiter bei der Entwicklung von Argumentationsmodellen, einem relativ neuen Feld der KI-Forschung, das versucht, Modelle an die kognitiven Fähigkeiten des Menschen anzupassen. Im Dezember veröffentlichte das in San Francisco ansässige Unternehmen OpenAI die Vollversion seines O1-Modells, hielt seine Methoden jedoch geheim.
Die Veröffentlichung von DeepSeeks R1 löste im Silicon Valley eine hitzige Debatte darüber aus, ob besser ausgestattete amerikanische KI-Unternehmen wie Meta und Anthropic ihren technischen Vorsprung verteidigen können. Vor allem fragen sich die US-Konzerne, wie es möglich sein könne, dass DeepSeek mit einem Trainingsbudget für die Algorithmen von nur 5,5 Millionen Dollar eine derart gute Produktqualität erreichen konnte.
Das grundlegende Problem für die US-Riesen ist: Wenn die effiziente Bauweise von DeepSeek wirklich hält, was sie verspricht, könnten die aufgeblähten Geschäftsmodelle der US-Technologiekonzerne wie Seifenblasen zerplatzen. Konzerne versuchen in der Regel, ihre Geschäftszahlen möglichst hoch anzusetzen, um zu einer hohen Börsenbewertung zu kommen. Das kann über Umsätze, Kosten und am Ende über Preise erfolgen. Wenn jemand wie DeepSeek nun unter Beweis stellt, dass komplexe KI-Anwendungen mit viel weniger Kosten produziert werden können, dürften sich die goldenen Träume der KI-Evangelisten bald im Nichts auflösen. Weil die Märkte den Preis bestimmen, wären die US-Giganten plötzlich nicht mehr in der Lage, ihre Oligopole aufrechtzuerhalten und Fantasiepreise durchzusetzen. Dergleichen war schon zu Beginn des Internets der Fall gewesen. Findige Gründer konnten in den ersten Monaten für den Bau einer Website Zehntausende Euro verlangen, bis klar wurde, dass die Kosten für eine Website-Erstellung bei ein paar Dutzend Euro liegen. Zuletzt war um die Künstliche Intelligenz ein neuer Hype entstanden.
Fonds und Spekulanten priesen Investments in KI-Werte als sichere Rendite-Garanten. Doch nun könnte die Stunde der Wahrheit früher gekommen sein als gedacht. Die unermüdlichen Anstrengungen und die Kreativität chinesischer Ingenieure haben dem globalen Finanz-Kapitalismus eine Lehrstunde erteilt. Der Zeitpunkt ist für die Tech-Milliardäre von Elon Musk bis Mark Zuckerberg besonders peinlich: Erst vor wenigen Tagen hatten sie dem in Technologie-Themen etwas unbedarften neuen Präsidenten Donald Trump ein milliardenschweres Förderprogramm eingeredet, mit dem die USA im Bereich KI die globale Dominanz übernehmen wollten. Nun ist fraglich, ob das ganze Geld überhaupt benötigt wird um erfolgreich zu sein.
Die Furcht vor dem Platzen einer KI-Blase hat die Aktienkurse etablierter US-Tech-Konzerne am Montag stark belastet. Die App des KI-Assistenten des chinesischen Start-ups DeepSeek ist inzwischen in den USA auf Platz eins der Downloads in Apples Plattform App Store. Den Rivalen ChatGPT des US-Anbieters OpenAI verwies sie damit auf Rang zwei. Als eine Reaktion darauf zeichneten sich hohe Kursverluste für amerikanische Technologiefirmen ab.
Von New York über London bis nach Tokio wurden die Aktienkurse hart getroffen. Der S&P 500 verlor 1,9 Prozent und der Nasdaq 100 3,7 Prozent. Ein vielbeachteter Index für Chiphersteller stürzte um 10 Prozent ab – der stärkste Rückgang seit März 2020. Die Nvidia-Aktien beendeten den Tag 17 Prozent niedriger. Der S&P 500 Index verlor 1,5 Prozent, während der technologielastige Nasdaq 100 um fast 3 Prozent nachgab. Die Energie- und Versorgungssektoren wurden von der Verkaufswelle erfasst, als Anleger Aktien von Unternehmen abwarfen, von denen erwartet wurde, dass sie den Boom der künstlichen Intelligenz vorantreiben. Allerdings waren nicht alle großen Technologiewerte von der Talfahrt betroffen. Apple Inc., das am Montag 3,3 Prozent zulegte, hat Nvidia als größtes Unternehmen nach Börsenwert überholt. Auch Meta Platforms Inc. beendete den Tag mit einem Plus von 1,9 Prozent.
Der Bitcoin fiel deutlich und rutschte unter 100.000 Dollar.
Der Dax war am Montag zwischenzeitlich um fast 1,5 Prozent abgesackt, bevor er sich wieder fing und letztlich 0,53 Prozent tiefer bei 21.282,18 Punkten aus dem Handel ging. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 büßte 1,6 Prozent ein. Hierzulande sackten unter anderem Aktien aus der Chipindustrie ab. So verlor im Dax Infineon mehr als vier Prozent. Für die Papiere von Siltronic, Jenoptik und Aixtron ging es im MDax zwischen gut drei und mehr als acht Prozent nach unten. Als klares Schlusslicht im Nebenwerte-Index SDax brachen Suss Microtec um gut zwölf Prozent ein.
Microsoft-CEO Satya Nadella hatte laut Golem bereits auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos auf die Entwicklung hingewiesen: „Das neue Modell von DeepSeek ist unglaublich beeindruckend, sowohl in Bezug darauf, wie effektiv sie ein Open-Source-Modell entwickelt haben, das diese Berechnungen in Inferenzzeit durchführt und dabei besonders recheneffizient ist. Wir sollten die Entwicklungen in China sehr, sehr ernst nehmen.“
Eine besondere Ironie erhält die Entwicklung durch die Tatsache, dass der chinesische Erfolg auf die US-Strafsanktionen zurückzuführen sein dürfte. In einer Kolumne für die Financial Times (FT) sagt Angela Zhang, Professorin an der Gould School of Law der University of Southern California: „Chinas Effizienzerfolge sind kein Zufall. Sie sind eine direkte Reaktion auf die zunehmenden Exportbeschränkungen, die die USA und ihre Verbündeten verhängt haben. Indem die USA Chinas Zugang zu fortschrittlichen KI-Chips beschränkten, haben sie unabsichtlich dessen Innovation angekurbelt.“ Zhang, Autorin des Buchs „High Wire: Wie China Big Tech reguliert und seine Wirtschaft steuert“, argumentiert, dass DeepSeek unter chinesischen Technologieunternehmen alles andere als ein „Einzelfall“ ist und dass Investoren darauf vorbereitet sein sollten, dass das Unternehmen weitere schnelle Fortschritte in der KI-Technologie machen wird.
