Finanzen

Haben Scholz und Lindner die Attacke auf die Commerzbank verpennt?

Die italienische Unicredit hat eine geschickte Attacke gegen die Commerzbank lanciert – und die Bundesregierung offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. 

Die Zentrale der Commerzbank in Frankfurt am Main
Die Zentrale der Commerzbank in Frankfurt am MainMichael Probst/AP

In der deutschen Bankenszene herrscht Aufregung: Verschwindet bald eine weitere Ikone, nämlich die Commerzbank? Tausende Arbeitsplätze sind gefährdet, ein weiteres Filialsterben wäre unausweichlich. Besonders betroffen wäre der Mittelstand: Die Commerzbank ist Deutschlands größte Mittelstandsbank. Besonders bitter für den deutschen Bankenstolz: Ausgerechnet die italienische Großbank Unicredit schickt sich an, Deutschlands zweitgrößte Bank zu schlucken.

Die Ouvertüre intonierte die Unicredit in der vergangenen Woche. Die Italiener nutzten den schrittweisen Ausstieg des Bundes aus seiner Commerzbank-Beteiligung und stiegen überraschend im großen Stil bei dem Dax-Konzern ein. Sie erwarben ein Aktienpaket von 4,5 Prozent vom Bund und kauften zudem Anteile am Markt, sodass sie neun Prozent der Aktien halten.

Der Bund hatte die Commerzbank in der Finanzkrise mit Milliarden gerettet, als der Bank der Zusammenbruch drohte. Der Bund hält noch zwölf Prozent der Anteile, die er nach und nach verkaufen will. Pikant: Einem Bericht der Financial Times (FT) zufolge will die Bundesregierung von der Aktion der Unicredit nichts gewusst haben. Die Investment-Bank J.P. Morgan habe gewissermaßen hinter dem Rücken der Bundesregierung die Anteile an die Unicredit verkauft. Außerdem, so zitiert die FT einen anonymen Regierungsbeamten, habe man überhaupt erst gegen Ende der Verkaufsauktion erfahren, dass die Unicredit bereits ein maßgebliches Aktienpaket halte. Eine Anfrage der Berliner Zeitung, ob der Bund überrascht worden sei, ließ das Bundesfinanzministerium bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet.

Andrea Orcel, der CEO der Unicredit, sagte jedenfalls auf Bloomberg, er habe aus Berlin signalisiert bekommen, dass man nichts dagegen habe, wenn die Italiener die erste Aktientranche erwerben würden. In Bankenkreisen schenkt man laut Informationen der Berliner Zeitung den Aussagen aus Berlin wenig Glauben. So ist zu hören, dass sich niemand vorstellen könne, J.P. Morgan hätte ohne Rücksprache mit der Bundesregierung in einer solch wichtigen Frage eigenmächtig gehandelt. Vielmehr ist die Lesart in der Branche: Das Bundesfinanzministerium habe die Tragweite der Attacke der Italiener nicht erkannt.

Denn nachdem Orcel sich die 4,5 Prozent geschnappt hatte und damit zum zweitgrößten Aktionär aufgestiegen war, wurde klar: Die Italiener könnten sich die Commerzbank einverleiben. Es handele sich um eine „feindliche Übernahme“, weil das Management der Commerzbank von der Unicredit nicht im Vorhinein informiert wurde, ist in Frankfurt hinter vorgehaltener Hand zu hören. Nach dem Aktienkauf geht Orcel zum Angriff über, hat bereits eine PR-Agentur engagiert und eine Charmeoffensive mit einem Interview im Handelsblatt gestartet. Darin legt der CEO offen, dass er die Commerzbank schlucken will: „Eine Zusammenführung beider Banken könnte zu einem erheblichen Mehrwert für alle Stakeholder führen und würde einen deutlich stärkeren Wettbewerber auf dem deutschen Bankenmarkt schaffen. Privatkunden könnten besser unterstützt und der deutsche Mittelstand mit Finanzierungen gestärkt und international umfassender begleitet werden.“

In deutschen Bankenkreisen sieht man das ganz anders und verweist auf das Schicksal der bayerischen Hypo-Vereinsbank (HVB), die nach der Übernahme durch die Unicredit radikal zurechtgestutzt wurde. Tausende Mitarbeiter wurden abgebaut, die wichtigsten Kompetenzen wurden nach Mailand verlegt: „Wir wollen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die Hypo-Vereinsbank“, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär und Commerzbank-Aufsichtsrat Stefan Wittmann dem Handelsblatt. Die HVB hatte vor der Übernahme durch die Italiener dreimal so viele Beschäftigte gehabt. Wittmann sagte, man wolle sich „mit allen Mitteln“ gegen die Übernahme wehren. 

Orcel machte in dem Interview klar, dass die Commerzbank durch die Synergieeffekte ihre Profitabilität deutlich steigern könnte: Es sei wichtig, „dass die Commerzbank ihre Bilanz stärkt, wächst und dabei gleichzeitig profitabler wird“. Das gegenwärtige Management habe hier zwar „deutliche Fortschritte gemacht, aber meiner Meinung nach kann man noch viel mehr tun“. Die Eigenkapitalrendite der Unicredit-Tochter HVB sei doppelt so hoch wie die der Commerzbank. Ihr Verhältnis von Kosten zu Erträgen liege 20 Prozentpunkte unter dem der Frankfurter, betonte Orcel.

Die Bundesregierung könnte jedenfalls, so insinuiert die dpa, „überrumpelt“ worden sein. Die Aussagen einer Sprecherin von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind jedenfalls vage. Sie sagte laut dpa, der Bund werde die Lage nun analysieren. Es sei vorrangig Sache der Commerzbank-Gremien, mit möglichen Anteilseignern gegebenenfalls zu sprechen. Bei Transaktionen wie beim Verkauf von Bundesanteilen an der Commerzbank sei es üblich, im Rahmen des Verkaufsprozesses Investoren anzusprechen. Dies sei geschehen durch eine von der Finanzagentur beauftragte Investmentbank. Unter anderem sei die Unicredit kontaktiert worden. Dieses Verfahren diene dazu, das Marktumfeld am Tag der Transaktion einschätzen zu können.

Banker und Mittelständler können mit dieser eher passiven Herangehensweise nicht viel anfangen. Bei einer Chipfabrik von Intel lasse die Bundesregierung Milliarden springen, und hier demonstriert man Gleichgültigkeit. Auf besonderes Unverständnis stößt die Tatsache, dass die Bundesregierung das strategische Interesse der Unicredit nicht erkannt haben soll. Die Commerzbank habe sich endlich in ruhigeren Gefilden bewegt und die Arbeit auf die Kunden konzentriert – ohne dauernde Spekulationen über die Zukunft. Die Bank steht zwar noch nicht glänzend da, konnte aber gerade in Krisenzeiten wichtig als Kreditgeber für deutsche mittelständische Unternehmen sein. In Frankfurt hofft man nun, dass der Bundeskanzler sich der Sache annehmen wird. Denn eine lange Hängepartie im Zuge einer Übernahmeschlacht wäre verheerend für die Commerzbank und den Wirtschaftsstandort Deutschland.