Die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines haben zu einem neuen Wettlauf zwischen Ost und West geführt: Es geht um die Frage, wie kritische Infrastruktur geschützt werden kann. Dieser Schutz wird auch eine militärische Komponente haben, weshalb Kollisionen der Großmächte entlang der wichtigsten Versorgungsrouten denkbar sind.
Russland und China beabsichtigen, gemeinsam die internationale Energiesicherheit zu schützen, einschließlich kritischer grenzüberschreitender Infrastrukturen. Das gaben die beiden Länder am Dienstag gleichlautend in ihren staatlichen Nachrichtenagenturen Tass und Xinhua bekannt. In der gemeinsamen Erklärung zum Ende des Besuchs des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping bei Russlands Präsident Wladimir Putin heißt es: „Die Parteien werden gemeinsam die internationale Energiesicherheit – einschließlich kritischer grenzüberschreitender Infrastrukturen – und die Stabilität der Produktionsketten und Lieferungen von Energieprodukten schützen.“ Russland und China erklären außerdem, dass sie zwar prinzipiell den verstärkten Einsatz von erneuerbaren Energien anstreben. Eine komplette Energiewende, wie etwa in Deutschland, planen Moskau und Peking aber nicht – weshalb die entsprechende Energie-Infrastruktur für beide Wirtschaftsräume systemrelevant bleibt. Zur Zukunft der Energie erklären die beiden Staaten in ziemlich allgemeiner Form, sie wollten „unter Berücksichtigung des Prinzips der Technologieneutralität eine faire Energiewende und eine kohlenstoffarme Entwicklung ermöglichen und gemeinsam zu einer langfristigen, gesunden und stabilen Entwicklung des globalen Energiemarktes beitragen“.
Auch die USA haben nicht die Absicht, auf Öl und Gas vollständig zu verzichten – und müssen daher ihrerseits sicherstellen, dass die Energie-Infrastruktur vor Gewaltaktionen geschützt wird. Dazu haben die Amerikaner die EU und die Nato ins Boot geholt. Mitte März fand das erste Treffen der EU-Nato-Taskforce „Kritische Infrastrukturen“ statt. Das Ziel der Gruppe: „Hochrangige Experten der EU und der Nato werden Hand in Hand arbeiten, um schwere Bedrohungen für unsere kritische Infrastruktur zu identifizieren und Gegenmaßnahmen zu erarbeiten“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Pressemitteilung. Der „Missbrauch von Energie als Waffe und Sabotageakte gegen die Nord-Stream-Gaspipelines“ hätten EU und Nato vor Augen geführt, dass sie handeln müssen. Laut der Website Army Technologies werden im die Partner Best Practices und Situationsanalysen austauschen sowie „Prinzipien zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit entwickeln“.
Die Biden-Administration hat erst vor wenigen Wochen gegen die massiven Proteste von Umweltschützern das Willow-Ölbohrprojekt in Alaska genehmigt. Es ist ein langfristiges Projekt der National Petroleum Reserve, die der Bundesregierung gehört. Das Gebiet, in dem das Projekt geplant ist, enthält bis zu 600 Millionen Barrel Öl. Das Projekt würde für einige Jahrzehnte laufen. Auch die Exporte von Flüssiggas (LNG) erfordern massive Infrastrukturen – vor allem in Europa, wohin neben China das US-LNG gebracht werden soll. Die Europäer haben vor, finanziell in Vorleistung zu gehen – mit nicht besonders nachhaltiger wirtschaftlicher Perspektive: Mehr als die Hälfte der europäischen LNG-Importkapazitäten könnte bis 2030 ihren gesamten Wert verlieren („stranded assets“), da die aktuellen LNG-Ausbaupläne die prognostizierte Nachfrage nach verflüssigtem Erdgas bis Ende des Jahrzehnts bei Weitem übersteigen, so das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) in einer aktuellen Analyse. Weil die EU aber komplett aus dem russischen Gas aussteigen soll, braucht sie das LNG aus den USA. Vor diesem Hintergrund wollen EU und USA vermeiden, dass die Infrastruktur zuvor schon durch Gewaltakte zerstört wird.
In ihrer Erklärung betonen China und Russland zwar, dass die vereinbarte enge militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit darauf hin nicht die Art von militärisch-politischer Allianz während des Kalten Krieges sei, sondern über ein solches Modell der Beziehungen zwischen Staaten hinausgehe, den Charakter einer Nicht-Allianz und Nicht-Konfrontation hätte und sich nicht gegen Dritte richten würde. Doch in einem Kommentar erklärt China Daily, dass die Allianz sehr wohl militärische Folgen haben könnte: Das Nichtzielen auf ein Drittland bedeute nämlich „nicht, einem Dritten zu erlauben, sich in die inneren Angelegenheiten Chinas oder Russlands einzumischen“.
Ähnlich wie China und Russland verstehen EU und Nato „Energie, digitale Infrastruktur, Verkehr und Weltraum“ als kritisch. Dieser weite Ansatz ermöglicht es den Regierungen, Militärs und Behörden, dauerhafte Instrumente zur militärischen und zivilen Feindabwehr einzusetzen. Der breite Ansatz ist auch geeignet, als Feindhandlungen klassifizierte Aktivitäten im Inland zu bekämpfen.
Russland und China haben in ihrer Erklärung festgehalten, dass es eine „Überlegenheit der Demokratie“ nicht gebe. Das würden „Farbenrevolutionen“ zu verhindern gesucht. Die angekündigten gemeinsamen Strafverfolgungsmaßnahmen dürften demokratische Bestrebungen in den Staaten deutlich behindern, weil sie zwar ausländischen Agitatoren das Leben schwer machen, zugleich jedoch auch zur Unterdrückung gegen genuine Demokratiebewegungen missbraucht werden können.



