Tulpen und Tomaten

Wird der Weihnachtsstress zu viel? Unsere Garten-Kolumnistin hätte da einen Tipp

Was Berlin im Sommer ausmacht, fehlt der Stadt im Winter: die Farbe, das Leben. Unsere Kolumnistin empfiehlt, mal im winterlichen Garten danach zu schauen.

Wie leuchtend rote Lichter-Kugeln: Hagebutten bringen Farbe in den winterlichen Garten.
Wie leuchtend rote Lichter-Kugeln: Hagebutten bringen Farbe in den winterlichen Garten.imago

Hach, Ihr lieben Menschen da draußen, ich gebe zu: Zum entspannten Kolumnenschreiben muss ich mich dieser Tage ein bisschen zwingen. Schließlich braucht es fürs Kreative ein Mindestmaß an Zeit und Muße. Und wer, bitteschön, hat die eine Woche vor Weihnachten?

Nun, ganz offenbar nehmen Sie sich diese Zeit, liebe Leserinnen und Leser. Immerhin sind Sie hier im hinteren Teil dieser Wochenendausgabe gelandet. Das ist großartig! Und zeugt davon, dass Sie besser organisiert sind als ich. Ich stelle mir vor, wie Sie gemütlich am Küchentisch oder auf dem Sofa sitzend ein paar Kekse knabbern und diese Zeitung in Ihren Händen halten. Vor sich die dampfende Tasse Kaffee, vielleicht gar eine warme Decke um die Beine geschlagen? Ein schöner Gedanke.

Ich hingegen komme aktuell weder zum Lesen noch zum Schreiben. Und obwohl es jämmerlich ist, in den ewigen Kanon der Weihnachts- und Konsumgestressten einzustimmen - ich kann nicht anders. Ja! Auch mich halten diese letzten Tage vor dem Fest gehörig auf Trab. Ich backe Kekse, schnibble Papiersterne, durchforste das Netz nach Bio-Gänsen und renne durch die Stadt auf der Suche nach Geschenkinspirationen. Nebenbei bringe ich der Tochter das Stricken bei und fummle für die Schwiegermutter einen Fotokalender. Hach, es ist ein einziger Unsinn. Die Rennerei macht mich platt und ich komme zu nix.

Er leuchtet förmlich: Der Hartriegel hebt die Stimmung.
Er leuchtet förmlich: Der Hartriegel hebt die Stimmung.imago

Aus diesem Grund habe ich mir für heute das Folgende überlegt: Ich nehme Sie mit auf einen kleinen Streifzug vor die Tür. Oder besser – hinter die Tür, in meinen Garten nämlich. Den habe ich bereits vor einiger Zeit zu Papier gebracht und in ähnlicher Form gar in meinem Buch „Sabine Platz im Garten“ veröffentlicht. So viel zum Thema „Geschenkinspiration“, hüstel …

Aber ob nun im Buch oder hier und heute – ein Text wird ja nicht schlecht. Im Gegenteil, ein winterlicher Spaziergang durch den Garten geht alle Jahre wieder und erinnert uns obendrein daran, dass es längst an der Zeit ist, nach draußen zu gehen, eine Ladung Tageslicht zu tanken und kurz innezuhalten. Aber bitte erst, wenn wir durch sind für heute. Also - nehmen Sie gerne noch den letzten Schluck aus Ihrer Tasse und dann lassen Sie uns gemeinsam diese kleine Runde drehen:

Mein Garten im Winter

Seit Tagen lässt sich die Sonne nicht blicken und so langsam aber sicher nehme ich das persönlich. Dieses Berliner Grau-in-grau, durch das wir uns seit Jahren jeden Winter kämpfen müssen, geht mir ganz schön auf die Nerven. Da hilft auch vorweihnachtlicher Lichterglanz nicht weiter – der Dezember ist düster, das ist leider Fakt. Wo ist er hin, der Schnee, der die Welt meiner Kindheit in eine herrlich glitzernde Märchenlandschaft verwandelte? Der Zigarettenkippen, überfüllte Mülleimer und das Kopfsteinpflaster unter sich begrub und zumindest für einige Tage möglich machte, dass wir uns Schneeballschlachten lieferten und die Schrippen am vierten Advent mit dem Schlitten holten?

Ich schaue aus dem Küchenfenster, lege die Stirn an die kalte Scheibe und beobachte einen kurzen Moment fasziniert, welches Muster mein Atem auf das Fensterglas malt. Draußen wabert der Dunst des Morgens, der sich, obwohl es schon später Vormittag ist, noch immer nicht verzogen hat. Tief hängt er in meiner rostbraun belaubten Hainbuchenhecke und taucht die trübe Winterwelt in grau-feuchten Nebel. Er hat keine Eile damit, sich zu verziehen. Warum auch? Die Sonne macht ihm keinen Druck, und der Garten hält Winterschlaf. Ja, ich weiß. Mein Garten braucht seine Ruhephase, er muss sich von den Strapazen der vergangenen Saison erholen, um im Frühjahr mit voller Kraft zu mir zurückzukehren. Trotzdem – er fehlt mir.

Ich gieße mir einen Kaffee ein, ohne Zucker, ohne Milch, und die Neoprengummistiefel ächzen, als ich meine mit selbstgestrickten Socken eingepackten Füße hineinzwänge. Knarrend schiebe ich die Tür des Wintergartens beiseite, atme die kühle Winterluft ein, drücke das Kreuz ein wenig mehr durch und spüre mit jedem Atemzug, wie meine übellaunige Grundhaltung aus mir entweicht. Der Blick schweift von links nach rechts. Ein kleines Ritual, dieser erste Blick jeden Morgen. Ich schaue von links nach rechts. Niemals andersherum. Ist alles noch so, wie es gestern war?

Sechs Stufen sind es die Treppe hinunter auf die Fläche, ein paar mehr Schritte bis zum Rasen. Hinten links steht unser Gartenhäuschen, um dessen Tür rankt eine alte, lachsfarbene Kletterrose. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal denke ich darüber nach, ob ich sie im nächsten Frühjahr rausnehmen sollte. Ich kann lachsfarbene Rosen nicht leiden. Diese Peach Melba ist ein Erbstück. Die Vorbesitzer unseres Hauses haben sie irgendwann gepflanzt und diese Rose ist, abgesehen von den alten Apfelbäumen und den viel zu dicht stehenden Fichten im Hintergrund, so ziemlich das Einzige, was bleiben durfte.

Der Garten war eine mehr als zwanzig Jahre lang schwer vernachlässigte, vor sich hin krautende Fläche, als er und ich uns kennenlernten. Farne und Giersch hatten das Gelände weitestgehend untereinander aufgeteilt. Einzig diese Rose blühte, wenn auch spärlich, an einem der schattigsten Plätze. Viel zu nah an die Hauswand gesetzt, kämpfte sie ums nackte Überleben und tat das, was Rambler- und Kletterrosen immer tun, wenn sie sich nicht wohlfühlen – sie bildete nur einen einzigen, langen Trieb. Ich weiß noch, wie ich, als wir uns an die Neugestaltung unseres Gartens machten, die Rose ausgrub, den Trieb abschnitt und das wurzelnackte, blattlose Etwas achtlos in irgendeine Ecke warf.

Wochen später, ich hatte die Peach Melba gedanklich längst kompostiert, fand ein Handwerker, der bei uns die Heizungsanlage erneuerte, die Rose während seiner Raucherpause. Er hob sie auf und sagte: „Wollnse die noch? Oder kann ick die mitnehm’?“ „Denken Sie, die wird noch mal was?“, fragte ich. „Na logo, die kommt wieda. Jebn se ihr nen sonnigen Platz und ne Handvoll jute Erde. Und Luft muss durch.“ Der Mann kannte sich aus! Ich setzte die Rose neben die Tür unseres gerade neu gezimmerten Gartenhauses, gab eine kräftige Ladung Lehm in das Pflanzloch und dachte insgeheim: „Das wird sowieso nichts mehr mit der.“ Aber, wie so oft, lag ich falsch.

Den extremen Rückschnitt dankte mir das Röslein mit einem beeindruckenden Neuaustrieb. Fast schien es, als mochte sie sich bei mir bedanken, dafür, dass sie weiterleben durfte. Bis heute gibt sie sich alle Mühe, damit ich sie mag. Keine meiner Kletterrosen ist so wuchsfreudig wie diese. Keine hat größere Blüten, und wie sich das gehört, schiebt sie nach dem ersten Durchlauf im Juni gleich die zweite Blüte hinterher. Und ich gebe zu, jetzt im Winter hab ich sie sogar recht gern, bildet dieses Stiefkind doch die größten Hagebutten des ganzen Gartens. Wie leuchtend rote Kugeln einer Lichterkette tanzen sie rund um die Tür des Gartenhauses. Feinstes Vogelfutter.

Aufgeräumt ist mein Garten nur im Winter. Die Terrakottatöpfe sind ordentlich aufgestapelt, das Wasser ist abgestellt und die Schlauchtrommel hängt ebenso trost- wie nutzlos an der Hauswand. Ich habe vergessen die Gartenbrause abzunehmen, sehe ich gerade. Aber die tropft sowieso - es wird Zeit für eine Neue. Kann bitte mal jemand eine langlebige Gartensprühpistole für Amateurgärtner erfinden? Wie oft schon habe ich bei Profis gedreht und deren wunderbares Gießwerkzeug bewundert. Aber für den Hobbybereich habe ich bislang kein Gerät finden können, dass nicht nach viel zu kurzer Zeit die Grätsche macht. Jede von mir gekaufte Gartenbrause fängt nach wenigen Monaten an zu tropfen, gibt zu wenig Druck ab oder macht sich am Adapter selbstständig und verpasst mir eine unfreiwillige Dusche.

Auf dem Weg in den Vorgarten bleibt mein Blick an den Perlkörbchen hängen. Anaphalis triplinervis. Was für ein beeindruckender Name! Ich kann ihn mir trotzdem nie merken. So geht es mir mit fast allen lateinischen Bezeichnungen in der Botanik. Während der Saison sind die Namen stets sehr präsent in meinem Kopf. Aber über den Winter vergesse ich die komplizierten Begriffe wieder und im Frühling fange ich erneut damit an, sie mir einzuprägen. Ein ewiges Lernen. So ist das eben, wenn man spät mit etwas beginnt. Nichts bleibt mehr so ohne weiteres haften, da oben im deklarativen Gedächtnis.

Das Perlkörbchen ist eine wunderbare Staude. Die Blätter, länglich und schmal, fühlen sich flauschig an, wie Samt. Sie sind mehr grau als grün, und wenn im Spätsommer die Blüten wie kleine, weiße Kugeln im Wind leicht hin und her wehen, lenkt kein tiefsatter Grünton von ihnen ab. Stattdessen gibt das gräulich schimmernde Blatt den Rahmen vor und lässt den weißen Blüten den Vortritt. Egal wo man sie im Garten einpflanzt, nie stehen Perlkörbchen verkehrt, und immer sieht diese Staude aus, als wäre sie genau für diesen einen Ort gemacht. Ich habe die Anaphalis erst vor zwei Jahren für mich entdeckt und gleich an mehreren Stellen in den Garten gepflanzt. Immer drei von ihnen habe ich gesetzt, viel zu dicht wahrscheinlich. Aber das ist mir egal. Ich mag keine Lücken im Beet. Lieber teile ich die Stauden nach einiger Zeit wieder.

Hinten den Perlkörbchen steht der Sommerhartriegel Cornus kousa, China Girl. Ein nicht ganz billiges Gehölz mit dem Versprechen, mindestens fünf Meter hoch zu werden. Noch sieht es nicht danach aus. Irgendwas passt ihm nicht, aber ich habe noch nicht herausgefunden, wo das Problem liegt. Die Chinesin braucht leicht sauren Boden. Aber weil ich keine torfhaltige Erde kaufe, ist das Großziehen solcher Exoten nicht ganz einfach. Die Erde ist lehmhaltig, gut für die Rosen, aber schlecht für vieles andere. Fürs Erste gebe ich dem Cornus als Winterschutz ein paar Schaufeln Komposterde und bedecke den Stamm mit Laub. Der Cornus kousa hat im Mai seinen großen Auftritt. Wenn seine Hochblüten cremeweiß den Busch zu überdecken beginnen, verzeihe ich ihm jedes Jahr aufs Neue seine divenhaft an den Rändern eingedellten Blätter.

„Sabine Platz im Garten“, erschienen im Ludwig Verlag, 22 Euro
„Sabine Platz im Garten“, erschienen im Ludwig Verlag, 22 EuroLudwig Verlag

Der rote Hartriegel (Cornus sibirica) ist aus anderem Holz geschnitzt, dem ist es schnurzpiepegal, ob ich ihn mit Laub zudecke und ihm gut zurede, der braucht kein Verwöhnprogramm. Ich habe einige Exemplare davon in unsere Mischhecke gepflanzt und mich eine Zeitlang über sie geärgert. „Was für langweilige Nichtsnutze“, dachte ich. Aber jetzt im Winter macht dieses Allerweltsgehölz das, was es im Sommer nicht vermag: er zieht alle Blicke auf sich. Bereits im April habe ich den weitestgehend unspektakulären Cornus kräftig zurückgeschnitten. Sehr zur Freude seiner Heckennachbarn Deutzie und Goldliguster, neigt doch der robuste Cornus dazu, sich breit zu machen.

Ach, was schreib ich - platt macht er alles, was links und rechts neben ihm steht. Wie ein zu viel Platz einnehmender Sitznachbar in der Schule drängelt und drückt er so lange, bis auch wirklich jedes Gehölz neben ihm den Kampf aufgibt und weiteres Wachstum einstellt. Darum setze ich ihn jedes Jahr im Frühjahr auf Stock. Und mit dieser Radikalkur einher geht ein erfreulicher Effekt: Über den Sommer setzt ein kräftiger Neuaustrieb ein, der überraschend schnell an Höhe gewinnt und das eventuell in der Hecke entstandene Loch schnell in Vergessenheit geraten lässt.

Die Rinde dieses jungen Neuaustriebs leuchtet jetzt im Winter in kräftig hellem Rot. Nur die einjährigen Cornus-Triebe haben diese intensive Farbe und sind in jedem Wintergarten ein absoluter Hingucker. „Wenn ich jetzt noch so schlau gewesen wäre, ein paar Christrosen im November zu setzen, wäre der Ausblick gar nicht mal so übel“, denke ich, gehe in den Vorgarten und nehme das kleine Futterhaus von der Zaubernuss. Die Hamamelis mollis hat im Januar ihre große Stunde. Ein Baum, der blüht, bevor er Laub austreibt. Wie eine Magnolie, ein Mandel- oder ein Judasbaum.

Seit ich vor Jahren Vita Sackville-West’s Beschreibung der Zaubernuss gelesen habe, wusste ich, dass ich so einen Strauch in meinem Garten pflanzen werde. „Sie sind im Erscheinungsbild klar strukturiert, ohne störende Büschel von Grün; sie erlauben uns, das filigrane Astwerk zu studieren, und bieten dem Auge gleichzeitig die farbigen Blüten. Die Zaubernuss ist ein Strauch, den eigentlich jeder anpflanzen sollte, denn er besitzt vielerlei Vorzüge, und sollte er doch einen Fehler haben, so bleibt er mir noch zu entdecken.“

Ganz bewusst habe ich die Zaubernuss an den Weg in Richtung Eingangstür gesetzt. So lassen sich die dunkelroten Blüten, aus denen gelbe, länglich geringelte Blütenblätter herausragen, im Vorbeigehen bewundern. Ende Januar duften ihre Blüten zauberhaft in der kalten Winterluft, und ich bin jedes Jahr aufs Neue erstaunt darüber, wie wenig Aufmerksamkeit der Rest meiner Familie dieser Pflanze widmet. Die Hamamelis steht seit Jahren an Ort und Stelle, erhellt verlässlich mehrere Wochen die finsterste Jahreszeit und meine Mischpoke stiefelt tagein, tagaus daran vorbei, ohne sie zu bemerken. Was soll man dazu sagen? Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch meine Liebsten irgendwann der Leidenschaft des Gärtnerns verfallen. Und bis dahin bin ich froh, dass sie von mir längst mit aller Macht Besitz ergriffen hat. Wie sonst sollte ich dieses Berliner Wintergrau den Rest meines Lebens ertragen?

Ich gehe zurück hinter das Haus in Richtung Treppe, ein letztes Mal für heute schweift mein Blick von links nach rechts über mein kleines Paradies. Im Vorbeigehen schnappe ich mir die Tasse mit dem längst kalt gewordenen Kaffee. Und wie so oft denke ich: Im Winter durch den Garten zu spazieren ist wie joggen im Wald - hinterher fühlt man sich immer besser als vorher.

Sabine Platz arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Fernsehjournalistin beim ZDF. Dort produziert sie unter anderem für die Rubrik „Platz im Garten“ im „Morgenmagazin“ regelmäßig Berichte rund um das Thema Natur, Garten und Nachhaltigkeit. 2021 erschien ihr Buch „Im Garten: Zwischen Knolle und Kompost liegt das ganze Leben“.