Stil-Statement

Die polierte Fresse

Grillz sind schwer in Mode, vor allem bei reichen Rappern und Popstars. Aber woher kommt der überkandidelte Zahnschmuck und wie alltagstauglich ist er wirklich?

Cheeeeeeeeeeese: Der Rapper Quavo mit seinen Diamantgrillz im Wert einer halben Eigentumsmaisonette in Mitte.
Cheeeeeeeeeeese: Der Rapper Quavo mit seinen Diamantgrillz im Wert einer halben Eigentumsmaisonette in Mitte.IMAGO/ABACAPRESS

Es ist bereits dunkel in Los Angeles, als Quavo aus der Limousine steigt und breit grinsend auf die Fotografen zugeht. Im Scheinwerferlicht glitzert und funkelt das Gebiss des Musikers. „Yeah, two hundred fifty“, beantwortet er die Frage eines Reporters nach dem Preis seines Zahnschmucks. Eine Viertelmillion Dollar legte der Rapper also für die Verblendung seines Ober- und Unterkiefers auf den Tisch. Diamanten im Smaragdschliff, das hat eben seinen Preis.

An diesem Abend wird Quavo nichts essen können, es sei denn, er nimmt seine Grillz aus dem Mund und legt sie in das Schächtelchen, das aussieht wie eine Zahnspangenbox. Trägt man Grillz (zu deutsch Gitter), darf man höchstens etwas trinken. Ganz schön unpraktisch. Dennoch sind die kostbaren Schienen, die dieser Tage meistens über mehreren Frontzähnen getragen werden, inzwischen nicht mehr nur bei superreichen HipHop-Stars beliebt. Sogar in Berlin gibt es mehrere Anbieter. Aber wie entstand dieser umständliche Schmuck und was soll er eigentlich bedeuten?

Ein Ausflug in die Geschichte führt uns in die Südstaaten der USA. Vor knapp 160 Jahren wurde dort nach dem Ende des Bürgerkriegs per Gesetz die Sklaverei abgeschafft. Das ist noch gar nicht so lange her, wenn man bedenkt, dass es für Farmer bis zu diesem Zeitpunkt legal war, Baumwollfelder mithilfe von schwarzen Leibeigenen zu bewirtschaften. Rap hat seinen Ursprung in der Arbeit auf den Feldern, wo die Sklaven mit rhythmischem Sprechgesang untereinander kommunizierten, ohne dass es die Weißen verstanden. Dieser kämpferische Aspekt ist bis heute ein wichtiges Element der HipHop-Kultur. Genauso wie eine Kultivierung des Bling-Bling, also einer übertriebenen Obsession für Schmuck.

Ein aktuelles Werk des New Yorker Promi-Juweliers Gabby Elan: Grillz mit Kunst von Banksy („The Flower Thrower“) und  Takashi Murakami x Kanye West („Graduation Bear“).
Ein aktuelles Werk des New Yorker Promi-Juweliers Gabby Elan: Grillz mit Kunst von Banksy („The Flower Thrower“) und Takashi Murakami x Kanye West („Graduation Bear“).Gabby Elan Jewelry

Von der Chancenlosigkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs getrieben, entwickelte die Black Culture so ihre eigenen Codes. Das Zurschaustellen von Gold und Diamanten war der ausgestreckte Mittelfinger in Richtung der Weißen: Seht her, wir brauchen euch nicht, um Geld zu machen. Mehr noch, wir sind sogar reicher als ihr. Mit dem HipHop wurde Bling-Bling Teil der Popkultur, mit MTV schließlich auch visuell in die Welt gesendet. Dass der Reichtum oft durch illegale Machenschaften entstand, daraus machte nie jemand einen Hehl. Im Gegenteil, die Weißen waren ja selbst schuld!

„Als ich klein war, sah ich, dass die Generation meiner Großeltern Gold im Mund hatte“,  erzählt Johnny Dang in der YouTube-Doku Ice Cold: The Untold Story of Hip Hop Jewelry. Der amerikanische Juwelier stammt aus einem Dorf in Süd-Vietnam. Dort benutzten ältere Menschen Gold, um ihr Gebiss zu stabilisieren. Es war einfacher, ein schützendes Korsett aus Gold um marode Zähne zu legen, als sie komplett zu entfernen und durch Prothesen zu ersetzen. Dang, der mit seinem Unternehmen in Houston (Texas) sitzt, sagt in dem Video auch, dass das Gold im Mund zudem von Wohlstand zeugte.


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So lässt sich über die Erinnerung Dangs auch der historische Ursprung der Grillz herleiten, der bei den Etruskern vermutet wird: Wahrscheinlich waren sie auch damals schon medizinische Notwendigkeit und Statussymbol gleichermaßen. Heute sind sie offensichtlich nur noch letzteres. Dang ist inzwischen einer der gefragtesten Juweliere der HipHop-Szene, gerne nennt sich der zartgebaute Mann selbst den „King of Bling“. In seiner Werkstatt wurden auch die 250.000 Dollar teuren Diamant-Grillz für besagten Rapper Quavo hergestellt.

Grillz mit Gravur: Rapper Flavour Flav von Public Enemy trägt seinen Namen auf den Kauleisten.
Grillz mit Gravur: Rapper Flavour Flav von Public Enemy trägt seinen Namen auf den Kauleisten.Imago

Dagegen wirken Grillz-Pioniere wie Slick Rick und Flavor Flav (ehemals Public Enemy), die Ende der 80er-Jahre mit goldenen Gebissen für Aufsehen sorgten, fast schon schlicht. Nicht zu vergessen Goldie, der britische Drum’n’Bass-Star der Neunziger, der sich bekanntlich nach seinen Goldzähnen benannte.

Zum Ende der 90er-Jahre kam es zudem in Mode, sich Diamanten auf die Zähne kleben zu lassen. Dann verbreiteten sich die Grillz, wie wir sie heute kennen, immer mehr: als herausnehmbarer Dentalschmuck ohne medizinische Relevanz. 2005 rappte Nelly mit „Grillz“ sogar eine Hymne darauf. Und wer Pharrells Debüt-Show für Louis Vuitton noch vor Augen hat, der hat eine echte Grillz-Party gesehen; denn nicht nur der frischgebackene Kreativdirektor trägt sie gerne. Auch seine Gäste - darunter Asap Rocky, Tobe Nwigwe und natürlich Quavo – fletschten ihre funkelnden Zähne für die Fotografen. Wer nun meint, das Ganze wäre eine reine Männersache, der irrt. Selbst die Damen zeigen sich inzwischen gerne mit der Schmuckschiene, bekannte Beispiele sind Rihanna, Kim Kardashian, Bella Hadid, Dua Lipa oder Beyoncé.

Dennoch: Bei allem Verständnis für die Bling-Bling-Kultur, Grillz sind ein ausgesprochen brutalistischer Schmuck und für den Alltag kaum geeignet. Die meisten von uns sind außerdem keine international bekannten Rapper, Popstars, Models oder Schauspieler und werden weder für Magazin-Cover fotografiert noch als VIP-Gast auf Modenschauen oder Partys eingeflogen. Wo würden wir also unsere Grillz tragen ­– im Büro, beim Einkaufen, auf einer Geburtstagsfeier? Vielleicht, wohl eher aber nicht.

Grillz an Model Jazzelle Zanaughtti aka  @uglyworldwide (links) und an Popstar Katy Perry, die ihren Song „Roar“ auf den Zähnen trägt.
Grillz an Model Jazzelle Zanaughtti aka @uglyworldwide (links) und an Popstar Katy Perry, die ihren Song „Roar“ auf den Zähnen trägt.Imago

Trotzdem scheint auch hierzulande die Nachfrage zunehmend; in Berlin gibt es jedenfalls mehrere Anlaufstellen für Interessierte: Sowohl Grill Meister als auch MZ & Co. bieten über ihre Webshops unterschiedliche Modelle samt DYI-Kits für Gipsabdrücke an. Der Preis für die Verblendung eines einzelnen Zahns mit Gelbgold beginnt dort bei etwa 200 Euro. Individuelle Anfragen nimmt außerdem Grill Smith entgegen. Der Berliner und angehende Goldschmied Selik Adams kommt mit seiner kleinen Zahnschmuckfima +49/Jewelry auf Kundenwunsch sogar nach Hause.

Bedingung für Grillz ist ein gesundes Gebiss, eine Konsultation beim Zahnarzt sollte der Kaufentscheidung also unbedingt vorausgehen. Erfüllt man alle Voraussetzungen und hat man eine Viertelmillion Dollar oder mehr übrig, steht dann sogar einem Auftritt wie dem von Quavo nichts mehr im Wege. Aber dann bitte mit ganz viel Presse!