Mode

Pop Kudamm präsentiert Halstücher von Rudi Gernreich: Es sind kleine Kunstwerke in sich

Oft werden sie zu Unrecht als tantige Accessoires und Beiwerk der Kleidung abgestempelt: Seidentücher. Eine Ausstellung in Charlottenburg würdigt jetzt ihre Schönheit.

US-militärische Rangabzeichen schmücken eine Seidentuch-Serie von Rudi Gernreich. Zu sehen in der Ausstellung „Tutti Frutti ... Oh Rudi!“ in der Galerie Pop Kudamm.
US-militärische Rangabzeichen schmücken eine Seidentuch-Serie von Rudi Gernreich. Zu sehen in der Ausstellung „Tutti Frutti ... Oh Rudi!“ in der Galerie Pop Kudamm.Sebastian Ahlefeld

Riesige bunt bedruckte Seiden-Segel, die wie Wellen im Ozean durch die aus Schiffscontainern erbaute Galerie Pop Kudamm wehen. Dazwischen die originalen Seidentücher in verschiedenen Größen, die an Schiffssignal-Fahnen erinnern. Der Wind, der durch die Galerie weht, erweckt die Installation zum Leben; exzentrisch von dem Stylisten Frank Wilde und dem Fotografen Paul Graves in Szene gesetzt, unter kuratorischer Leitung von Karin Kruse.

In der Ausstellung „Tutti Frutti … Oh Rudi!“ erwartet Mode-, Design- und Kunstliebhaber die einzige komplette Kollektion der formidablen Seidentücher von Design-Ikone Rudi Gernreich. Die Ausstellung versammelt die luxuriösen Kreationen mit Gernreichs einzigartigen Farben, Mustern und Drucken und feiert damit ebenfalls die Ästhetik der 60er- und frühen 70er-Jahre.


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Dabei sind „Halstücher eigentlich verschrien als Alte-Damen-Accessoires, mit denen man ein langweiliges Outfit aufpeppt und frisch macht. Aber für geübte Augen sind diese Seidentücher kleine Kunstwerke, die auch allein bestehen“, sagt Wilde. Die originalen Exponate gehören alle zu seiner privaten Gernreich-Sammlung, die als die weltweit größte gilt.

Wilde sammelt die Tücher seit Mitte der 1990er und nennt etwa 140 Tücher des Modedesigners Rudi Gernreich sein Eigen. Seines Wissens die umfangreichste Sammlung weltweit. In der Ausstellung können Besucher die vollständige Sammlung sehen. Aber Wilde ist auch Sammler anderer Marken: „Ich sammle seit 30 Jahren. Halstücher, wie zum Beispiel von Hermés, Saint Laurent, Balmain sind von Künstlern entworfen und das sind zum Teil sehr rare Stücke“, erzählt der Stylist und Kostümbildner weiter.

Für Wilde, der auch bekannt ist durch seine Arbeit als Queer-Aktivist und Preisträger des CSD-Awards 2022 ist, sind die Entwürfe Gernreichs eine große Inspiration. Der in den 1920er-Jahren geborene Gernreich war selbst schwul und seine Entwürfe können heute als Mittel des Aktivismus verstanden werden.

Dazu Wilde: „Das Besondere an Gernreich ist, dass die Tücher über die reine visuelle Schönheit auch eine Message haben. Er war ein österreichischer Jude, der vor Hitler geflohen ist, und er hat sich sein Leben lang nicht als schwul geoutet. Das ist erst im Nachhinein herausgekommen, auch dass er die schwule Freiheitsbewegung unterstützt hat.“ Diese Repression und diesen Wunsch nach Freiheit findet man in seinen Tüchern wieder. Seinen Nachlass stiftete Gernreich der Mattachine Society, der ersten Homosexuellenbewegung in den USA.

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United Archives International/imago
Rudi Gernreich 
Geboren am 8. August 1922 in Wien, verstarb am 21. April in Los Angeles. Gernreich war ein österreichischer Modedesigner. Nach seiner Flucht in die USA wurde er zu den einflussreichsten Modeschöpfern des 20. Jahrhunderts. Seine Entwürfe waren ungewöhnlich und mutig wie seine Ideen zur Oben-ohne-Mode (sog. Monokini), der „Total Look“ oder die Unisex-Mode. Diese zählen heute zum selbstverständlichen modischen Repertoire, führten jedoch in den 1960er-Jahren zu heftigem Widerspruch, was ihm allerdings eine große Popularität einbrachte.  

„Tutti Frutti … Oh Rudi!“ ist eine Ausstellung, die die Aufmerksamkeit auf was vermeintlich Nebensächliches legt. Und sie geht über die Mode hinaus, denn sie zeigt die politische Dimension, die der Halsschmuck haben kann. „Die Seidentücher sind in der Mode ein Accessoire, was zur Kleidung gehört. Aber ich finde, das Seidentuch hat es verdient, in seiner Schönheit und Würde endlich auch als zentrales Stück ausgestellt zu werden“, erklärt Wilde abschließend beim Vernissage-Opening am Donnerstag, wo noch bis in die Nacht hinein zum Sound der ukrainischen DJane Ali Liar gefeiert wurde. 

Die Ausstellungsmacher Paul Graves (links), daneben Karin Kruse und Frank Wilde zusammen mit Fotograf Lukas Rotter.
Die Ausstellungsmacher Paul Graves (links), daneben Karin Kruse und Frank Wilde zusammen mit Fotograf Lukas Rotter.Sebastian Ahlefeld
PAUL GRAVES
Paul Graves studierte Kunst, ist Regisseur zahlreicher preisgekrönter Musikvideos und Gründer eines eigenen Modelabels. Bekannt ist er vor allem für seine Stillleben-Fotografie, die weltweit veröffentlicht wird.
FRANK WILDE
Von Herbert Grönemeyer über Tokio Hotel bis Sarah Connor kreierte Frank die Looks deutscher Pop-Ikonen und ist bis heute eine feste Größe in Stilfragen und wenn es darum geht, visuelle Images zu entwickeln. Darüber hinaus ist er LGBTQ-Aktivist der ersten Stunde und bekannt für seine stylishen Protestfotos gegen den Krieg in der Ukraine, mit denen er als Influencer täglich über 100.000 Menschen online erreicht.
KARIN KRUSE
Als Mitbegründerin der Galerie Tristesse Deluxe kuratierte und gestaltete sie besucherstarke Ausstellungen der 2000er-Jahre. (u.a. „Tristesse Deluxe goes Wallstreet“, „The Future of Past“). Danach im freien Rahmen Kurationen von thematischen Ausstellungen wie „Family No Family“, „Frontside / Backside“ und Mitkuration für das Kreuzberger Kunstfenster Woma – Window of Modern Art. Seit über 20 Jahren ist sie Mitinhaberin einer in Berlin ansässigen Talentagentur.

Die Ausstellung „Tutti Frutti … Oh Rudi!“

Pop Kudamm
Kurfürstendamm 229
10719 Berlin

12.5.2023 14 bis 20 Uhr / 13.5.2023 14 bis 20 Uhr
17.5.2023 bis 29.5.2023 (Mittwoch bis Sonntag) 14 bis 20 Uhr