Mode

Wuff: Berlinerin verkauft Pullis aus Hundehaar

Mit ihrem Label Lou de Bètoly nähert sich Odély Teboul ungewöhnlichem Material. Klingt befremdlich – dabei haben Garne aus Hundehaar eine lange Tradition.

Nichts für Allergiker, aber für Avantgardisten: Pulli von Lou de Bètoly, besetzt mit Preziosen.
Nichts für Allergiker, aber für Avantgardisten: Pulli von Lou de Bètoly, besetzt mit Preziosen.Lou de Bètoly

Ein Gewirk aus alten Kabeln, das zur Sitzfläche eines Stuhls, zu einem ungewöhnlichen Möbelentwurf wird. Kleine Kuscheltiere vom Flohmarkt, aufgeschnitten und vom Füllmaterial befreit, mit Schmucksteinen bestickt zur Miniaturhandtasche entfremdet. Kleider, Pullover, Leggins, allesamt von Hand gehäkelt, eher wollenes Netz denn bekleidendes Modeteil: Odély Teboul ist für ihre unwirklichen, ihre unmöglichen Entwürfe bekannt. So ist es auch kaum verwunderlich, dass sich die Berliner Designerin nun einem seltsamen Material zuwendet.

„Ich liebe edle, teure Wollen, Angora zum Beispiel, am liebsten französische Produkte“, sagt sie. „Deswegen war ich gleich fasziniert, als ich vor einiger Zeit dieses wahnsinnig weiche Garn in die Finger bekommen habe.“ Was das denn sei, dieses ungewöhnlich flauschige Material, habe sie im Garngeschäft gefragt; Hundehaar, so die Antwort, die durchaus irritierte. Odély Teboul griff trotzdem zu – vor einigen Tagen präsentierte sie dann ihre ersten Entwürfe aus Haustierwolle unter ihrem Modelabel Lou de Bètoly.

„Ein Experiment“, nennt die Designerin ihre kleine Kollektion, die mit dem ungewöhnlichen Garn entstanden ist: Nicht mehr als zehn Teile, jedes von Teboul höchstpersönlich in Handarbeit verwirklicht, verschiedene Tops und Pullover. Einem besonders reizvollen Exemplar hat die Designerin über und über alte Schmuckstücke angenäht – Ketten, Ringe, Uhren, in Silber und in Gold, funkeln nun vom Häkelpulli aus Hundehaar. Und so befremdlich es auch klingen mag, tatsächlich hat das Material eine denkbar lange Tradition.

Nicht nur, dass es prähistorische Funde von Garnen gibt, die aus Hundehaar gesponnen wurden. In Skandinavien etwa hat man entsprechende archäologische Entdeckungen gemacht; bei den Navajo-Stämmen wurde solches Garn ebenfalls verwendet – überhaupt war Hundehaar die meistverbreitete Faser des ganzen Kontinents, bevor die spanischen Kolonialherren Schafe nach Nordamerika brachten. Aber auch in der jüngeren Vergangenheit gehörte das Garn zum selbstverständlichen Repertoire der Modegestaltung.

Sammelaktionen gegen kriegsbedingte Materialknappheit: Diese Jacke von 1945 wurde mit Hundehaar gefertigt.
Sammelaktionen gegen kriegsbedingte Materialknappheit: Diese Jacke von 1945 wurde mit Hundehaar gefertigt.Imago

In den 1920ern etwa waren entsprechende Krägen und Hüte in England populär. Und während beider Weltkriege wurden auch in Deutschland Halter aufgefordert, zu sammeln und einzuschicken, was in der Hundebürste hängen blieb: Mit den Spenden wollte die Textilindustrie der massiven Materialknappheit entgegenwirken. Eine Dissertation aus 2008, von Julika Renger an der FU Berlin vorgelegt, beschreibt sogar, dass manches Frauchen durch solche Spenden die luxuriöse Haltung eines Schoßhundes während der Kriegsjahre überhaupt zu rechtfertigen versuchte.

Ich finde es wahnsinnig reizvoll, durch Upcycling etwas wirklich Luxuriöses entstehen zu lassen.

Odély Teboul

Heute ist das Material, das durchaus seine Vorzüge hat, in Vergessenheit geraten. Zumindest fast: Neben Odély Teboul arbeitet zum Beispiel auch die Marke BLESS mit Hundehaar. Das genialische Label, das in Paris und Berlin ansässig ist und sich zwischen konzeptioneller Kunst und avantgardistischem Design bewegt, hat eine Mütze aus der kostbaren Faser stricken lassen. In Kooperation mit dem Projekt Yarn Sustain, mit dem auch Odély Teboul für ihre Häkel-Pullis zusammenarbeitet.

Wuff und Wow: Auch dieses Top von Lou de Bètoly besteht aus Hundehaar.
Wuff und Wow: Auch dieses Top von Lou de Bètoly besteht aus Hundehaar.Lou de Bètoly

Das Berliner Unternehmen verkauft mit „Chiengora“ das weltweit erste industriell versponnene Garn, das auf Haustierfasern basiert. Gesammelt wird bei Tierfriseursalons und Hundeschulen, Tierärzten und Hundeverbänden genauso wie bei privaten Haltern. Die ausgekämmten und gespendeten Hundehaare lässt Yarn Sustain zu Garn verspinnen – dahinter steht auch ein Nachhaltigkeitsgedanke. Die klimaschädliche und zumeist unethische Zucht von Nutztieren für die Textilindustrie sei kaum mehr hinnehmbar, so die These, wenn es doch eine ressourcenschonende Edelfaser gibt, „die uns sprichwörtlich vor den Füßen liegt.“

Statistisch gesehen lebe in jedem zweiten Haushalt in Deutschland mindestens ein Tier, gibt das Projekt Yarn Sustain auf seiner Webseite an. Jede Menge Haar also, das Jahr für Jahr aus Millionen Pflegebürsten gezogen und achtlos weggeworfen wird. Dabei hat das Hundehaar nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Mode und ihre Konsumenten durchaus seine Vorteile: Entsprechende Fasern, die vorzugsweise von langhaarigen Rassen wie Border Collie, Golden Retriever oder Pudel gewonnen werden, sind bis zu 80 Prozent wärmender als Schafswolle; ihr Griff ist vergleichbar mit dem von Angora.

Ist für ihre unwirklichen, unmöglichen Entwürfe bekannt: Odély Teboul.
Ist für ihre unwirklichen, unmöglichen Entwürfe bekannt: Odély Teboul.Lou de Bètoly

Letzteres kann auch Odély Teboul, die Frau mit den schmuckbesetzten Netz-Pullis, bestätigen. „Ich würde sogar sagen, Hundehaar ist noch ein bisschen flauschiger als Angora oder Kaschmir“, sagt sie. „Aber das hat auch seinen Preis.“ Das seltene Material, dem sich die Designerin nun widmet, sei im Einkauf teurer als die industriell hergestellten Garn-Klassiker. Ihre daraus entstandenen Unikate bietet Teboul nun den Geschäften an, mit denen sie zusammenarbeitet; oft sind es aber auch Anfragen von Privatpersonen, die sie bedient – darunter zum Beispiel das Künstler-Duo Eva und Adele.

Gut möglich, dass sich gerade Tebouls Kundinnen und Kunden, die Fans ihres exzentrischen, dekadenten Stils besonders für das ungewöhnliche Garn interessieren. „Das gibt es zwar schon seit Ewigkeiten, aber es wurde eben im Mode-Kontext lange nicht mehr genutzt“, so die Designerin. „Sicherlich auch, weil es bis vor wenigen Jahren noch nicht so populär war, Abfallprodukte weiterzuverarbeiten.“ Sie selbst wolle jedenfalls weiterhin mit Hundehaar experimentieren, damit häkeln, stricken, sticken. „Ich finde es wahnsinnig reizvoll, durch Upcycling etwas wirklich Luxuriöses entstehen zu lassen.“