In den Bereichen des Films und des Schauspiels würde man wohl von „Full Frontal Nudity“ sprechen, von der vollen entkleideten Breitseite. Auch solche Bilder gibt es in Nadine Dinters Serie „Torso Reloaded“, Fotografien, die der Fantasie nur wenig Raum lassen.
„Aber ich habe es den Modellen selbst überlassen, wie sie sich selbst inszenieren, was beziehungsweise wie viel sie von sich und ihren Körpern preisgeben wollen“, sagt die Fotografin.
Der eine legt beinahe sittsam die Hand vor seine Scham, der nächste legt frei, was es freizulegen gibt, wieder ein anderer dreht Kamera und Fotografin Po und Rücken zu: Es ist das eigens ausgedachte Genre der „Torsografie“, dem sich Dinter widmet, eine Kunstfotografie der männlichen Körpermitte. Der überwiegende Teil der Serie ist zwischen Januar und April dieses Jahres entstanden, knüpft aber an erste Torsografien aus dem Jahr 2012 an.

„Damals gab es noch die Berliner Galerie Hiltawsky und ich habe dort eine Ausstellung mit den Arbeiten der Hilton Brothers, bestehend aus Christopher Makos und Paul Solberg kuratiert“, erzählt Dinter. Makos sei ein langjähriger Wegbegleiter Andy Warhols gewesen, immer wieder hätten sich die Gespräche um den legendären Pop-Art-Künstler gedreht.
Zarter als Warhols semipornografische Pop-Art-Torsos
„Zusammen mit Benjamin Godfre, einem ehemaligen Erotic-Art-Model, der Teil von Makos' Entourage war, hatte ich dann die Idee, eine Hommage an Warhols berühmte ‚Torso‘-Reihe zu fotografieren“, so die Künstlerin; etwas, das Warhols Grundidee entspricht, seinen farbig übermalten, sehr expliziten Fotografien von männlichen Brustpartien, Bäuchen, Geschlechtsteilen aber in Machart und Stimmung kontrastierend gegenübersteht.

Die Akte, die Dinter 2012 und nun erneut in diesem Jahr fotografierte, sind deutlich zarter als das semipornografische Pop-Art-Vorbild; Bilder in Farbe und Schwarzweiß, die eher intim als drastisch wirken. Deutlich orientiert hat sich die Fotografin indes am Sujet des Meisters: Es sind muskulöse, weiße Männerkörper, die beide in den Fokus nehmen. Das dürfte irritieren, ärgern vielleicht, wer sich von einer zeitgenössischen Aktfotografie ein bisschen mehr Diversität versprochen hätte.
Bisher zeigt sich die Serie der Künstlerin nur wenig divers
„Ich habe jetzt zum Beginn der Serie tatsächlich meine Modelle gemäß der Warhol-Ästhetik gecastet, auch um möglichst nah an seinen Schönheitsidealen zu bleiben“, sagt Dinter. „Das bedeutet aber nicht, dass ich diese in der Fortführung meiner Reihe nicht aufbrechen werde.“ Ihre Torsografie sei als wachsende Serie angelegt, die bald auch andere Körperformen und Hautfarben einschließen dürfte.

Die Idee sei auch, der Omnipräsenz des weiblichen Aktes in zeitgenössischer wie historischer Kunst etwas entgegenzusetzen – schließlich sei der männliche Körper, von den Werken berühmter Beispiele wie Mapplethorpe oder Tillmans einmal abgesehen, in der Fotografie und Malerei relativ unterrepräsentiert. Ein Gedanke, der sicher auch von Dinters Beruf herrührt: Neben der eigenen widmet sie sich vor allem der fremden Kunst, macht etwa Pressearbeit für die Stiftung Helmut Newtons, eines Meisters der erotisierten Frauenportraits.
40 Fotografien ihrer Serie „Torso Reloaded“ zeigt Nadine Dinter ab Samstag in der Schöneberger Hazegallery, einige gerahmt, andere in Form von Wandtapeten. „In einem separaten Raum steht eine Polaroid-Kamera bereit, und die Gäste sind dazu eingeladen, ihren eigenen Torso zu fotografieren. Die dabei entstandenen Bilder werden Teil der nächsten Ausstellung sein“, so die Künstlerin. Wie viel vom eigenen Körper preisgegeben wird, ist dabei natürlich jeder und jedem selbst überlassen.


