Tulpen und Tomaten

Gärtnern in Krisenzeiten: Was jetzt noch ins Gemüsebeet kann

Unsere Kolumnistin neigt nicht zur Panikmache, will aber in diesem Jahr trotzdem Wintergemüse anbauen – für schlechte Zeiten, man weiß ja nie.

Gesundes Blattgemüse: Spinat kann man fast die ganze Saison über aussäen. 
Gesundes Blattgemüse: Spinat kann man fast die ganze Saison über aussäen. Kai-Uwe von Hacht/PantherMedia

Jedes Jahr um diese Zeit nehme ich Abschied von meinem Gemüsebeet. Mein Garten springt mir bunt entgegen, und ich nutze diese letzten sonnigen, warmen Tage und ernte, was noch übrig ist: sechs Mangold, ein Brokkoli, dreimal Rote Bete. Die sauer gewordenen Salatköpfe landen auf dem Komposthaufen, der Amarant nebendran, und den einzigen Kürbis, der es dieses Jahr geschafft hat, platziere ich mit albernem Stolz vor der Hauseingangstür.

Es gibt viel zu tun in diesen Tagen: Laub harken, Kompost umsetzen, Rasen düngen, Stauden teilen, Zwiebeln stecken und so weiter, da bin ich froh, wenn ich zumindest das Gemüse bis Februar vom Hals habe. Obwohl mir das, wenn ich’s recht bedenke, eigentlich stets am meisten Freude bringt.

Ein großer Spaß: Mit Pferdeäpfeln im Auto den Sohn abholen

Meine Selbstversorgersaison findet ihr Ende mit folgendem letzten Akt: Ich quetsche zwei große Garteneimer in mein Auto, fahre nach Wannsee und steige in den Pferdemistcontainer des dort ansässigen Reittherapiezentrums. In Gummistiefeln und mit Grabegabel schaufle ich dann die gegen eine kleine Spende angebotenen Pferdeäppel in meine Eimer, schnalle diese auf den Rücksitzen fest und hoffe inständig, dass mir nicht ausgerechnet auf dieser Tour jemand hinten reindonnert.

Ja, ich weiß, wenn’s hinten kracht, gibt’s vorne Geld – aber die Schweinerei im Auto muss ich dann doch nicht haben … Manchmal hole ich auf dem Rückweg meinen Sohn von der Schule ab, das macht immer Spaß. Kaum eingestiegen, fängt er natürlich sofort an zu motzen. „Mama, du bist echt widerlich!“, wird er sagen und sich theatralisch über den Gestank beschweren.

Im Garten dann verteile ich den Mist auf den abgeräumten Beeten. Wie eine wärmende Decke liegt er dann da und gibt seine Kraft langsam an die ausgelaugte Erde ab. Erst im Frühjahr begegnen wir uns wieder, mein Gemüsegarten und ich – er voll mit Würmern, ich voll mit neuer Energie. Dann beginnt der Spaß von vorn. Tja. So läuft das hier. Normalerweise.

Luxus ist in diesem Winter irgendwie unangebracht

In diesen sehr besonderen Zeiten aber sollte ich vielleicht umdenken. Schließlich redet alle Welt über unsichere Stromversorgung, Notfallpläne und Vorräte für den Katastrophenfall. Bereits zu Beginn der Coronakrise war das ein imminentes Thema, ließ mich damals aber irgendwie kalt. In der jetzigen Krise jedoch erscheint es mir geradezu dumm, als Gartenbesitzerin nicht vorzusorgen. Und auch ein bisschen vermessen, ehrlich gesagt. Einen Garten nicht zu bestellen, muss man sich leisten können, das ist Luxus. Und Luxus ist in diesem Winter irgendwie unangebracht, finde ich.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will keine Panik machen. Ich bin keine Prepperin oder so. Prepper, das sind Menschen, die immerzu mit einer Katastrophe rechnen. Nö, ich frage mich schlicht, wie weit ich kommen würde mit meinem Kürbis, dem bisschen Mangold und den im Keller lagernden Äpfeln. Und sollten Lebensmittel tatsächlich knapp werden oder aus irgendwelchen anderen Gründen die Supermärkte mal kurz schließen müssen, wäre es doch egoistisch, wenn mein Gemüsebeet und ich nicht zumindest ein bisschen dazu beitragen, die allgemeine Situation zu entlasten.

Winterhart: Feldsalat ist sehr genügsam und kann auch jetzt noch ausgesät werden.
Winterhart: Feldsalat ist sehr genügsam und kann auch jetzt noch ausgesät werden.Imago

Auf der Webseite des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) kann man sich darüber informieren, wie genau ein Vorrat für Krisenzeiten aussehen soll. Die gedruckte Publikation ist aufgrund der hohen Nachfrage vergriffen, aber im Netz steht, man sollte für zehn Tage vorsorgen. Dauert die Krise länger, ist eh alles egal, fürchte ich.

Das BBK geht von einem täglichen Energiebedarf von 2200 Kilokalorien aus und hat unter „Meine persönliche Checkliste“ recht anschaulich aufgelistet, was man, neben Wasser, im Haus haben sollte: Reis und Mehl, Zucker, Linsen, Knäckebrot, Bohnen, Nüsse und Nudeln. Auch Konserven mit Fisch, Rotkohl und Volleipulver. Von Volleipulver habe ich noch nie gehört, aber das macht ja nix, ich könnte im Supermarkt danach fragen.

Wer sich nicht die Mühe machen möchte, all diese Dinge einzeln einzukaufen, für den haben spezialisierte Anbieter sogenannte „Notfallpakete“ ausbaldowert. Neben den Lebensmitteln sind dann noch Klopapier, eine Campingtoilette und Pfefferspray mit eingepackt. Rund 300 Euro soll so was kosten.

Die Stiftung Warentest, die Großartige, hat diese Pakete natürlich längst unter die Lupe genommen. Und rät ab. Fazit: „Wer die Produkte einzeln einkauft, kann nach unseren Berechnungen oft rund ein Drittel an Geld sparen – und zudem die Lebensmittel nach individuellen Vorlieben auswählen.“

Wächst denn jetzt Ende Oktober überhaupt noch was?

Ob nun als Paket organisiert oder individuell, Fakt ist: Nichts von dem, was da empfohlen wird, wächst in meinem Garten. Außer dem Amarant vielleicht, aber den pflanze ich eigentlich nur zu Dekorationszwecken. Natürlich könnte ich mir trotzdem all die empfohlenen Nahrungsmittel in die Speisekammer stellen und das Ganze mit frischem Wintergemüse garnieren. Bloß – bin ich nicht längst zu spät dran? Wächst denn jetzt Ende Oktober überhaupt noch was?

Eine kurze Recherche im Netz ergibt: Ja, klar, ein bisschen was geht noch. Vor allem aber fällt mir an dieser Stelle meine Reise nach England ein. Für das ZDF filmte ich vor einigen Wochen in den Lost Gardens of Heligan, einer fantastischen Schaugartenanlage im Süden von Cornwall. Nicola, die Chefgärtnerin, führte mich durch das schönste Gemüsebeet, das ich je gesehen habe. Allein sechs verschiedene Sorten Rote Bete hatten die da! Der Mangold sah aus wie ein Lagerfeuer, der Kohl glänzte silbrig-lila, und die Schwarzwurzeln, Artischocken und Kürbisse blickten uns erntereif entgegen. Nicola und ich plauderten über Fruchtfolge, Rhabarberglocken und die kommende kalte Jahreszeit.

Tolles Wintergemüse: Schwarzwurzeln erntet man im Oktober oder November.
Tolles Wintergemüse: Schwarzwurzeln erntet man im Oktober oder November.Imago

„Langweilst du dich im Winter?“, fragte ich. „Oh no, never!“, erwiderte sie und schüttelte energisch den Kopf. „Auf den meisten Beeten machen wir einfach weiter.“ Im Oktober, erzählte mir Nicola, säen sie in den Lost Gardens noch mal Rucola, Spinat und asiatisches Blattgemüse. Auch Knoblauch, Wintererbsen, rote Zwiebeln und Radieschen kommen in die Erde. „Versuch das doch mal bei dir zu Hause“, sagte die Gärtnerin, „wenn du ein Vlies über die Aussaat deckst, funktioniert das auch in Berlin.“

Wenn ich mich heute, an diesem goldenen Herbsttag, an dieses Gespräch erinnere, frage ich mich, warum ich nicht sofort nach draußen marschiere und damit beginne, die Gemüsebeete zu bepflanzen. Ich habe das ja bislang nur nicht gemacht, weil mir der Herbst so wahnsinnig viel anderes abverlangt. Wenn ich jetzt aber die Arschbacken zusammenkneife und neben all den anderen Tätigkeiten die Aussaat angehe, habe ich dann nicht spätestens Mitte Dezember genau das gärtnerische Glück, das ich in der dunklen Jahreszeit stets so unfassbar vermisse? Verrückt eigentlich, dass es diesen Scheiß-Krieg brauchte, um mich darauf zu bringen.

Wissen Sie was? Ich werde es tun. Gleich jetzt, wenn dieser Text fertig ist, lege ich los. Und sollte die Sache klappen, informiere ich den Katastrophenschutz. Vielleicht könnten die ihre Krisenempfehlungen um Wintergemüse erweitern und einen Unterpunkt für Balkon- und Gartenbesitzer einbauen? Das werde ich denen vorschlagen. Und noch etwas werde ich tun: Gleich nach der ersten Ernte haue ich mir Volleipulver in die Pfanne und garniere das Ganze mit frischem Blattspinat. Ob das schmeckt, will ich jetzt natürlich wissen.