Perfektes Timing, könnte man sagen. Da diskutiert die gesamte Modebranche seit Tagen darüber, was Werbung kann, was Werbung darf, wo die Geschmacksgrenzen liegen und wie weit sie zu überschreiten sind. Und just in dieser diskursiven Gemengelage eröffnet in Berlin die Ausstellung „Helmut Newton. Brands“, die speziell die Werbefotografie des legendären Kamera-Provokateurs in den Fokus rücken soll.
In der aktuellen Debatte geht es um die Marke Balenciaga, die vergangene Woche zwei Werbekampagnen veröffentlicht hatte, die sich ästhetisch wie inhaltlich mit Themen der sexualisierten Gewalt an Kindern in Verbindung bringen lassen. Unwissentlich, versehentlich, wie das französische Modehaus beteuert – zumindest einen Imageschaden aber hat das Label längst davongetragen.
„Bei der Erarbeitung der Ausstellung, die ja schon seit einigen Monaten lief, konnten mich diese aktuellen Geschehnisse natürlich noch nicht beschäftigen“, sagt Matthias Harder, Direktor der Helmut-Newton-Stiftung. „Trotzdem passt die Schau nun in diese Diskussion, eben weil Newton immer polarisiert und mitunter provoziert hat.“ Und auch, so will man anfügen, weil es aktuell längst nicht mehr nur um Balenciagas fragliche Bildinhalte geht. Sondern vor allem um das Verhältnis der Auftraggeber zu ihren Kreativen.

Balenciaga hat eine Millionenklage gegen eine Agentur und einen Set-Designer eingereicht, die „nicht autorisierte Objekte“ in die Werbebilder eingebaut haben sollen. Viele Kommentatoren und Kommentatorinnen werfen der Marke nun Rückgratlosigkeit und fehlende Integrität vor. Balenciaga wolle die Schuld auf Dritte abladen, obgleich das Label die Fotografien ja freigegeben und unter seinem Namen veröffentlicht habe.
Die Beziehung zwischen Marke und Macher, Label und Fotograf zum Beispiel, ist eine durchaus interessante, wie auch in „Helmut Newton. Brands“ zu erleben ist. Im Fall von Newton, so Matthias Harder, wurde dem Künstler durch seine Auftraggeber zumeist die Carte blanche gereicht, also ein kreativer Freibrief. „Ich würde vermuten, dass die meisten Marken seinerzeit lediglich bestimmt haben, um welche Produkte es gehen soll. Und der Rest der Inszenierung stammte größtenteils von Newton.“

Ersichtlich wird das in Berlin in den Ausstellungsräumen und -bereichen, die nach Unternehmen unterteilt sind: Newtons Fotografien für Neiman Marcus, Newtons Fotografien für Yves Saint Laurent, für Versace, für Wolford, den französischen Lederdesigner Jitrois, das Londoner Kultlabel Biba. Doch so unterschiedlich die Firmen auch sind, für die der Fotograf arbeitete, sein Stil bleibt immer ersichtlich: die Inszenierung des Models als statuenhafte Schönheit, oft im Bruch zu herben Hintergründen. Und immer wieder Aspekte des Schocks, der Verstörung.
Interessant wurde oft der Moment, der nach Newtons Produktionen folgte. Die Zeit der Abnahme der Fotos – oder eben ihres Verwurfs, ihrer cancellation. Als Beispiel führt Harder eine von Newtons berühmtesten Fotografien an, auf der zwei mit Diamantringen geschmückte Model-Hände ein gebratenes Hähnchen zerteilen. Die Schmuckmarke Bulgari, für die diese Kampagnenbilder entwickelt wurden, soll sie abgelehnt haben, erzählt Harder. „Also hat Newton sie später ins editorial, also den redaktionellen Teil der französischen Vogue eingebracht.“ 1994 war das.

Ein anderes Bild wiederum, eine andere Kampagne, ging an die Öffentlichkeit, wie es sich der Meister ausgedacht hatte: Das Werbefoto für die Marke Prada aus dem Jahr 1986 zeigt die Beine einer vermeidlich leblosen Frau, davor eine Tasche aus Krokodilleder, aus der Geldscheine quellen – der Tatort einer Gewalttat. „Es geht in dieser Aufnahme in erster Linie um die auf dem Boden liegende Ledertasche, und Prada war damals so cool, dass dieses Bild in den späten 1980er-Jahren als Werbekampagne lief.“
Ausgerechnet diese Fotografien sind nicht Teil der aktuellen Schau – Matthias Harder hatte sie schon häufig in anderen Kontexten gezeigt. Aber die Geschichten hinter diesen beiden Bildern illustrieren aufs Beste, dass es für Newton meistens bewundernde Zustimmung gab, aber eben manchmal auch Ärger und Ablehnung. In den Räumlichkeiten der Helmut-Newton-Stiftung allerdings hängen nun vornehmlich Bilder, die so auch im Namen der Marken als Werbekampagnen erschienen sind.

In einem Schwarz-Weiß-Motiv für die Uhrenmarke Paul Picot aus dem Jahr 1992 zum Beispiel kratzt eine Frau einen Männerrücken hinab. Während auf seiner Haut blutige Spuren zurückbleiben, funkelt an ihrem Handgelenk ein diamantbesetztes Uhrenmodell. Auf einer Fotografie für den italienischen Weinhersteller Ca’ del Bosco sitzt eine Gruppe Frauen 1992 barbusig am Restauranttisch. In Kampagnenbildern für Villeroy & Boch tragen hemdsärmelige weibliche Models 1985 übergroße Toiletten und Waschbecken wie sklavische Bauarbeiterinnen durchs Bild, überwacht von gutbetuchten Hausherrinnen mit grimmiger Miene und Schäferhund an der Leine.
„Newton ist also gelegentlich auf gleichgesinnte kreative Geister getroffen, die auf seine ungewöhnlichen Ideen eingegangen sind“, sagt Harder. „So konnte die großartige Erfolgsgeschichte seiner angewandten Fotografie immer weitergeschrieben werden.“ Wie konstant die Arbeit Newtons auch postum im Mode- und Werbebereich sichtbar bleibt, zeigen gerade die Fotografien, die er zwischen 1982 und 1995 für Yves Saint Laurent gemacht hat.

In der Ausstellung füllen sie einen ganzen Raum: Frauenporträts in grellen Farben oder schwarz-weiße Gruppenbilder, geprägt von schrägen Bildanschnitten, exaltierten Posen, Bewegungen. Durchaus lassen sich Parallelen ziehen zu den aktuellen Kampagnen der Marke Saint Laurent, die bis 2016 unter der kreativen Leitung Hedi Slimanes und seither mit Kreativchef Anthony Vaccarello an der Spitze ganz ähnliche Kampagnen herausbringt.
„Man sieht, wie einflussreich Helmut Newton geblieben ist und dass noch immer viele Fotografinnen und Fotografen auf seinen Spuren wandeln“, sagt Harder. „Newtons Fotos waren damals zeitgenössisch, jetzt sind sie zeitlos und gleichzeitig fast schon wieder zeitgemäß.“ Wohl auch, weil der Meister, anders als zuletzt beim Label Balenciaga zu sehen, an den Grenzen des guten Geschmacks genussvoll entlangtänzelte – ohne sie je aufs Derbste zu kreuzen.




