American Football

Ungesunde Konkurrenz: Berlin Thunder und ihr Football-Kapital

Die Footballer von Thunder aus der ELF haben am Sonntag Heimspiel im Jahn-Sportpark. Das Gros ihres Kaders besteht aus Spielern der Konkurrenzliga GFL.

Die Footballer von Berlin Thunder tragen am Sonntag ihr erstes Heimspiel der neuen Saison gegen den ELF-Bowl-Champion Vienna Vikings aus.
Die Footballer von Berlin Thunder tragen am Sonntag ihr erstes Heimspiel der neuen Saison gegen den ELF-Bowl-Champion Vienna Vikings aus.Eric Mühle/Berlin Thunder

Max Zimmermann (29) hat sich entschieden. Das war schon öfter so – und eigentlich immer zugunsten seiner Footballkarriere. Etwa, als er die Fußballschuhe, die er bei Forst Borgsdorf und Blau-Weiss Hohen Neuendorf getragen hatte, 2012 gegen Helm, Schulterpads und Footballschuhe tauschte und zu den Berlin Adlern wechselte. Oder als er 2019 seinen Job als Sportlehrer am Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf aufgab, weil er einen Vertrag bei den Saskatchewan Roughriders in der Canadian Football League ergattert hatte. Dann stoppte die Pandemie sein Engagement in Kanada. Nach einer Saison in Finnland kam Zimmermann nach Berlin zurück zu den Adlern. Vor dieser Footballsaison entschied sich Deutschlands bester Wide Receiver, der in Europa zu den Topprofis zählt, erneut: Er verließ die Adler aus der German Football League (GFL) und unterschrieb bei Berlin Thunder in der European League of Football (ELF).

Dort steht für die Franchise des früheren NFL-Profis Björn Werner an diesem Sonntag (13 Uhr, Jahn-Sportpark) das erste Heimspiel gegen den Bowl-Champion Vienna Vikings an. Berlin Thunder hat den Titelkampf als Ziel ausgegeben. Auch wegen ihrer neuen Spieler, wie Quarterback Donovan Isom (vom GFL-Klub Berlin Rebels), wie Wide Receiver Aaron Jackson (vom GFL-Klub Cologne Crocodiles), wie Cornerback Jonas Gacek (vom GFL-Klub Potsdam Royals) und eben wegen Zimmermann. Den vermissen sie bei den Adlern menschlich und sportlich nicht nur im Männerteam, sondern auch als Positionstrainer der A-Junioren.

Neuer Wide Receiver bei Berlin Thunder: Max Zimmermann
Neuer Wide Receiver bei Berlin Thunder: Max ZimmermannEric Mühle/Berlin Thunder

Seine Entscheidung, aus den Vereins- und Verbandsstrukturen der GFL, die im American-Football-Verband Deutschland (AFVD) organisiert ist, in die kommerzielle Profiliga EFL zu wechseln, sagt Zimmermann, „sei nie gegen die Adler als Verein gefallen, sondern gegen die GFL, diese Liga, die über Jahre hinweg für Enttäuschung gesorgt hat. Ich sehe, dass die ELF das Potenzial hat, den Sport größer zu machen, eine Plattform zu bieten, den Sport zu professionalisieren. Ich möchte Teil des Fortschritts sein. Aber ich war immer ein Befürworter, die Kräfte zu vereinen, etwa zwischen Adlern und Thunder.“

Wie das gehen soll, ist eine gute Frage. Allein in dieser Saison haben die Adler, die voriges Jahr im Play-off-Viertelfinale der GFL standen, zwölf Spieler an die Konkurrenzliga ELF verloren, zehn davon an Berlin Thunder. Was Adler-Quarterback Zachary Cavanaugh (36), der gleichzeitig die Adler-A-Jugend coacht, die zuletzt im German Youth Bowl stand, jedoch wirklich wütend macht, ist, dass Thunder ihm jetzt schon den sechsten U19-Spieler abgeworben hat.

„Es kann nicht sein, dass sie meinen Jungs auf der Arbeit auflauern, um sie zu überreden und uns zu stehlen. Das sind Jungs, 17, 18 Jahre alt, die noch nie einen Snap im Männer-Football gespielt haben. Die brauchen sie in der ELF, um ihre Kader günstig aufzufüllen, und versprechen ihnen Aufmerksamkeit bei Social Media und einen eigenen Fotografen, statt sie weiterzuentwickeln“, sagt US-Footballer Cavanaugh aus Boston, der schon länger in Berlin lebt. „Das ist purer Kapitalismus auf Kosten der Jungs. Und das schadet dem deutschen Football.“

Adler-Quarterback und A-Jugend-Coach Zachary Cavanaugh
Adler-Quarterback und A-Jugend-Coach Zachary CavanaughSonja Matysiak/Berlin Adler

Die ELF hat mehrere Investoren – und in Commissioner Patrick Esume und Thunder-Mitbesitzer Björn Werner prominente Fernsehexperten, die Informationen rund um die Liga nicht nur bei ProSieben, ProSieben Maxx und ran.de präsentieren, sondern auch auf verschiedenen Social-Media-Kanälen, in Podcasts oder Livevideos. Parallel sind sie als Kommentatoren der amerikanischen Profiliga NFL in den Medien präsent und verkörpern damit eine gewisse Nähe zum Traumziel ambitionierter Footballer. Sie wissen: Björn Werner war 2013 Erstrundenpick der Indianapolis Colts.

Max Zimmermann glaubt, die besten Footballer „werden immer in die attraktivere Liga gehen, wo sie Spaß haben und die Familie sie im Fernsehen sehen kann. Ich glaube schon, dass man auch in Europa hochklassigen Football spielen kann.“ Adler-Quarterback Cavanaugh bezweifelt, dass die ELF derzeit attraktiveren Football als die GFL bietet: „Wo ist die Qualität, wenn sie ihre Kader mit Drittligaspielern und 19-Jährigen füllen? Warum sollen die Jungs besser werden, nur weil sie ins Fernsehen kommen? Aufmerksamkeit auf Social Media ist die neue Währung. Aber die NFL scoutet nicht bei Instagram.“

In Deutschland bilden gemeinnützige Sportvereine wie die Adler, Berlin Rebels, Potsdam Royals oder Schwäbisch Hall Unicorns Talente fünf, sechs Jahre lang in ihren Jugendteams aus und führen sie dann meist über ihre zweiten Männermannschaften in unteren Ligen an die GFL 1 heran. Jetzt, da es mit der ELF seit drei Jahren eine europäische Konkurrenzliga gibt, die von acht Teams im ersten Jahr auf 17 gewachsen ist, davon acht aus Deutschland, ist der Kampf um Spieler an allen Standorten in vollem Gang.

Kader von 40, 50 Mann müssen gefüllt werden – und so bedient sich die kommerzielle Liga derzeit praktisch ohne Gegenleistung an den Strukturen der Vereine, die Zahl der deutschen Spieler, die gebraucht werden, wird immer größer. Doch wo sollen sie herkommen, wenn die ELF, wie angekündigt, bald auf 24 Teams wachsen will? Es gibt keine Regulierung zwischen den Ligen, keine Wechselsperre innerhalb der Saison, keine Ausbildungsentschädigung wie etwa im Fußball für die Klubs, die jahrelang viel Geld in Trainer, Entwicklung und Equipment der Kinder gesteckt haben.

Dieses Problem ist nicht neu. Und nicht auf Berlin und Umland beschränkt, wo es etwa 27 American-Football-Vereine und etwa 3000 Aktive gibt. Vor zwei Jahren, als Thunder gegründet wurde, schimpfte der Vorsitzende der Berlin Rebels, Andreas Riedel, über die Abwerbungen ohne Gegenleistung aus der ELF und beklagte eine Kannibalisierung.

Max Zimmermann sieht das Dilemma. Er hat durch seinen Abstecher in die kanadische Profiliga erfahren, dass Football dort „vor allem ein Business ist, dass es nicht um dich als Person geht“. Bei Thunder fühlt er sich dagegen wertgeschätzt. Das war auch bei den Adlern so, aber durch den viele Jahre amateurhaft geführten AFVD fehlt ihm das Vertrauen in eine positive Entwicklung des Verbandes. Der wird mittlerweile jedoch seit November 2022 von einem neuen, progressiven Präsidium geführt, das sich neben der Präsentation der GFL-Spiele auf der Plattform Sportdeutschland TV auch um mehr Social-Media-Aktivität kümmert.

Viele junge Footballer träumen den Traum, den Zimmermann geträumt hat: Ein Engagement in der NFL ist das Ziel, der Pick eines Teams aus der besten Liga der Welt. Die wird durch das amerikanische College-System gefüttert, wo junge Footballer vier Jahre Zeit haben, sich Kraft, Ausdauer und Wettkampfhärte für die Männerliga anzutrainieren. Wer in einer professionellen Liga spielt, verliert die Möglichkeit, aufs College zu gehen.

Albert Wiesingstrauch (21) war einer der Ersten aus der Adler-A-Jugend, der vorige Saison zu Thunder wechselte. Er kam im ersten Jahr tatsächlich kaum zur Geltung, hatte im Team einen amerikanischen Runningback vor sich. In dieser Saison könnte er mehr Spielzeit bekommen, Björn Werner nannte ihn als einen der kommenden Local Heros im Thunder-Team.

Wie es aussieht, belebt Konkurrenz im deutschen Football derzeit nicht das Geschäft, sondern hemmt es eher. Manch einer fragt sich, wie es die ELF-Klubs in Berlin, Köln, Leipzig, Stuttgart oder anderswo mit den Krankenversicherungen ihrer Spieler oder Mindestlohnansprüchen halten und was eine Sozialversicherungsprüfung ergeben würde. „Es wäre wichtig, eine Lösung für beide Seiten zu finden, etwas an die Vereine zurückzugeben“, meint Zimmermann, „vielleicht mit der Infrastruktur, im PR-Bereich, im Sponsoring, im medizinischen Bereich, mit dem Mannschaftsbus für Jugendteams. Es gibt ein Sprichwort, das sagt: Alleine geht man schnell. Zusammen geht man weit.“