Berlin - Die Geschichte, die Nina Meinke zu ihrem großen Kampf mitbringt, hat ihre Mutter kürzlich beim Stöbern in alten Familienunterlagen gefunden: Es ist ein Schulheft. Darin beschreibt die Berliner Boxerin einen Abend im September 2001. Damals war Nina Meinke acht Jahre alt. Die Geschichte heißt „Meine Ferien“ und ist mit einem selbst gemalten Bild illustriert, auf dem ein Mann in Sporthose hinter den Ringseilen seine roten Boxhandschuhe in die Höhe streckt. „Sven Ottge“ hat Meinke mit rotem Filzstift zwischen die Fäuste geschrieben. Es war der erste Profikampf, den sie am Ring miterleben durfte.
Sven Ottke ist Nina Meinkes Patenonkel. Der Berliner verteidigte damals in der Magdeburger Bördelandhalle seinen Weltmeistertitel des Boxverbandes IBF im Supermittelgewicht gegen den US-Profi James Butler. „Als Svenni in den Ring ging haben alle Leute gejubelt“, schrieb Meinke in der krakeligen Bleistiftschrift einer Achtjährigen in ihr Schulheft. Und: „Jems hat sehr geschummelt. Aber Sven Ottke hat trotzdem gewonnen.“

Inzwischen ist Nina Meinke 29 Jahre alt und Europameisterin im Federgewicht. An diesem Donnerstag (19 Uhr, www.danishfightnight.tv) will sie bei der Danish Fight Night in Kopenhagen der ungeschlagenen Sarah Mahfoud von den Färöer-Inseln den Weltmeistertitel des Boxverbandes IBF entreißen. Es ist die zweite WM-Chance für Meinke. 2018 verlor sie in Potsdam gegen Elina Tissen knapp nach Punkten. Und jetzt zieht sich diese zweite Chance schon seit knapp einem Jahr zäher als ein Thera-Band. „Die Nerven liegen langsam blank“, sagt Nina Meinke. Ein Jahr ohne Wettkampf zehrt. Ihre Gegnerin hatte sogar zwei Jahre lang keinen Auftritt im Ring.
Eigentlich hätte der Titelkampf schon im Mai 2021 stattfinden sollen. Wegen Corona wurde er auf August verschoben, dann auf November. Danach galt der 7. Januar 2022 als fix. Aber Omikron und die dänischen Corona-Beschränkungen kamen dazwischen. Eine Woche vor dem geplanten Datum wurde die Veranstaltung in Kopenhagen erneut verschoben. „Als der Januar-Termin ausfiel, war das schon der Peak der Enttäuschung“, sagt Christian Meinke. Er ist nicht nur Ninas Manager, sondern auch ihr Vater. „Wieder war die Spannung weg. Wieder war der ganze Ernährungsplan dahin. Wieder mussten wir die Trainer bezahlen, Sponsoren gewinnen. Weihnachten war ja auch gefloppt. Kein Gans-Essen, keine Familie, obwohl wir Hunderte von Schnelltests gekauft und uns ständig getestet hatten“, erzählt Christian Meinke. Seine Tochter habe sich seit November mit 200 Runden Sparring vorbereitet.
Den Vater als Manager, die Mutter als Psychologin
„214, um genau zu sein“, wirft Nina Meinke ein. Sie sei sich vorgekommen wie in einer schlechten Zeitschleife. Immer wieder blieb die Ungewissheit, wann welche Corona-Beschränkungen aufgehoben werden würden. Ihr Trainer Kay Huste musste das Training jedes Mal auf ein neues Datum ausrichten. Jedes Mal wieder fuhr Nina Meinke nach Hamburg oder Lemgo zum Sparring. Der Verzicht auf die Familie an Weihnachten und Silvester sei ihr sehr schwergefallen, sagt die Boxerin, „ich bin ja ein Familienmensch“.
Halt fand sie dennoch bei ihrem Team, bei ihrem Freund Philipp Micevski, der gleichzeitig ihr Sportmediziner ist und ihre Verspannungen nach harten Einheiten professionell wegmassierte, bei ihrem Ernährungsberater, dem Co-Trainer, dem Cutman, dem Vater – „und meine Mama hat dann immer die Psychologin gespielt, wenn die Männer mein Geheule nicht mehr ertragen konnten“, sagt Nina Meinke.

