Es gibt gerade eine Menge zu tun für Michael Gabriel. Der Leiter der Koordinationsstelle der Fanprojekte plant aus seinem Frankfurter Büro mit seinem kleinen Team gerade die bevorstehende Fußball-WM in Katar. Sie werden vor Ort sein, um die wenigen Leute aus Deutschland, die ins Scheichtum düsen, zu begleiten, wenngleich: „Die Zuschauerzahlen aus Deutschland in Katar werden so niedrig wie nie zuvor bei einem Turnier sein. Und die Ursachen liegen auf der Hand: Das Turnier wird aus vielen Gründen abgelehnt: die Menschenrechtssituation, die schlechten Rahmenbedingungen für Fans, die gekaufte Vergabe und die Kosten. Auch die Unterkunftssituation stellt ein großes Problem dar.“
Das hat auch Nationalspieler Joshua Kimmich festgestellt: „Freunde und Familienangehörige wollen gerne zur WM kommen. Aber als Privatperson ist es offenbar sehr schwierig, überhaupt ein Hotel zu bekommen. Ich hoffe da auf ein bisschen Unterstützung des DFB.“ Der Verband hat seine im Fanclub Nationalmannschaft organisierten Anhänger mangels Unterkünften in Doha in Dubai untergebracht. Sie werden dann zu jedem Spiel nach Katar geflogen. Klingt verdächtig nach einer Notlösung.
Es gibt keine Zivilgesellschaft, mit der Fanvertreter kooperieren
Gabriel ist gut vernetzt und weiß: „Es gibt unter den Fußballfans in Deutschland eine tiefsitzende massive Ablehnung dieses Turniers.“ Er habe „noch keinen Fan getroffen, der die Vergabe der WM nach Katar für eine gute Idee hält. Diese WM wird als Symbol alles Schlechten im Fußball interpretiert, als Symbol, dass der Ausverkauf immer weiter geht zulasten des Sports und seiner Fankultur. Als Symbol dafür, dass man sich im Fußball alles kaufen kann und die Werte des Sports nichts zählen.“
Mit der Botschaft, die die deutschen Fanvertreter in Katars Hauptstadt Doha während der WM aufbauen werden, stehen sie ziemlich alleine da. „Es gibt keine Zivilgesellschaft in Katar, mit der man kooperieren könnte. Das ist ein elementarer Unterschied zu allen Turnieren bisher. Wir sind in Russland mit unserer Fan-Botschaft von dortigen Fanorganisationen unterstützt worden, auch waren wir in Kontakt mit Menschen aus der LGBTIQ-Community. Ähnliches gibt es in Katar natürlich nicht.“
Fans stellen sich die Frage, was für ein Turnier sie erwartet
Komplizierte Zeiten. „Alle Fans, die dann doch hinfahren, stellen sich die Frage, was für ein Turnier sie erwartet“, weiß Gabriel, „Es gibt keine wirkliche Fußballtradition in Katar. Es wird spannend, ob und wie die Fans ihre Fankultur ausüben können: zusammenkommen, zusammenfeiern, singen und auch Alkohol konsumieren.“
Der 58-Jährige, seit der EM 1992 in Schweden in der Fanbetreuung bei großen Turnieren, kennt die Erwartungshaltung unter Fans an den Deutschen Fußball-Bund. Der Verband müsse klarmachen: „Dies ist kein Turnier wie jedes andere.“ Es würde „sehr positiv wahrgenommen“, dass der DFB die Forderung nach einem Entschädigungsfonds unterstützt, der die Familien von verletzten oder getöteten Arbeiter entschädigt“. Ein WM-Boykott würde „von der übergroßen Mehrheit nicht verlangt.“ Denn: „Die meisten Fans verstehen schon, dass die Spieler nur alle vier Jahre einen solchen Höhepunkt erleben.“ Spieler und Fans seien „in eine Situation gezwungen worden, die sie sich nicht ausgesucht“ hätten. „Die Rahmenbedingungen, der Vergabeprozess und die Menschenrechtssituation werden von den Fans scharf kritisiert.“
So etwas sollte besser in vergleichbarer Form nie wieder passieren. Zuletzt hatte Saudi-Arabien Interesse an der WM 2030 bekundet. Der einstige österreichische U20-Nationalspieler Gabriel glaubt kaum, dass eine WM-Vergabe an Saudi-Arabien vor dem Hintergrund der zuletzt großen Diskussionen um die Vergaben an Russland und Katar vorstellbar sei. Andererseits ist er nicht naiv: „Wir bewegen uns im Fußball im Fifa-Kosmos, deshalb würde ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass es nicht doch passieren kann.“
Nach Gabriels Eindruck sei eine „gewisse Distanz“ zur Nationalmannschaft „nach wie vor vorhanden“, wiewohl aus Jogi-Land ja inzwischen Hansi-Land geworden ist und seit mehr als einem Jahr keine Spiele mehr verloren werden. Mit Blick auf die EM 2024 sieht der Sozialarbeiter „eine Chance, dass man sich emotional wieder annähert“. Jedoch: „Der harte Kern, der regelmäßig zu Länderspielen fährt, ist gebröckelt, die Zahlen gehen runter.“ Immerhin müssten sich die friedfertigen Anhänger im Wüstenemirat keine Sorgen machen: „Es ist nicht zu erwarten, dass da Leute hinfahren, um Randale zu machen.“
In Leipzig könnte es Probleme mit den ungarischen Fans geben
Diesen Freitag in Leipzig anlässlich des Spiels in der Nations League gegen Ungarn (20.45 Uhr, ZDF) könnte das anders aussehen. „Man wird ein Auge darauf haben müssen, wie die deutsche gewaltorientierte Szene auf diese Begegnung reagiert.“ Die vereinszentrierten Ultras würden grundsätzlich nicht zu Länderspielen gegen, „und die Hooligans, die zu Spielen der Nationalmannschaft gehen, sind schon etwas in die Jahre gekommen“.
Wären da noch die Fans des Gegners Ungarn, die beim EM-Spiel vor einem Jahr in München als schwarzer Block wahrgenommen wurden. „Die ungarische Fanszene ist in großen Teilen sehr nationalistisch eingestellt und generell nah dran an den rechten gesellschaftspolitischen Positionen von Viktor Orbáns Regierungspartei“, sagt Gabriel – und in Teilen gewaltbereit.

