Das Königreich Saudi-Arabien hat eine Reihe neuer Helden. Wobei nach dem 2:1-Sieg gegen Argentinien, bei dem das inflationär verwendete Adjektiv „sensationell“ tatsächlich mal angebracht ist, der eine oder andere hervorgehoben werden muss. Wozu unter keinen Umständen Mohammed bin Salman zu zählen ist. In einer Mitteilung des Königshauses hieß es nämlich, dass der Kronprinz wesentlich Anteil am historischen Erfolg habe. Wie das? Nun, weil der Sohn von König Salman ibn Abd al-Aziz beim Empfang des Teams vor der WM keinen Druck aufgebaut hätte.
Beginnen wir also mit Saleh al-Shehri. Der 29-Jährige, der im Ligaalltag für den saudischen Spitzenklub al-Hilal Riad Sport Club stürmt, erkannte in der 48. Spielminute sofort, was nach einem leichtfertigen Ballverlust von Lionel Messi, auf dessen Leistung gleich noch ausführlicher eingegangen werden soll, beim Umschaltspiel zu tun ist: in Position laufen, Tempo aufnehmen, denn gleich könnte es eine Chance zum Torabschluss geben. Gab es auch, weil Teamkollege Faris al-Buraikan den Ball geschickt auf ihn weiterleitete, Argentiniens Innenverteidiger falsch stand und nicht schnell genug reagierte, um dies zu korrigieren. Al-Shehri machte zwei, drei schnelle Schritte, traf mit links in die lange Ecke. Sein Treffer brachte das Momentum, wie es so schön heißt, auf die Seite seines Teams, nachdem die hochfavorisierten Südamerikaner die erste Hälfte dominiert hatten und durch Messi per Strafstoß (10.) in Führung gegangen waren.

Machen wir weiter mit Salem al-Dwasari. Auch er spielt für den Serienmeister al-Hilal, stand ab Sommer 2018 mal für ein halbes Jahr beim FC Villarreal unter Vertrag, ist aber nicht nur deshalb ein Star in seiner Heimat. Er war es jedenfalls, der nur fünf Minuten nach dem Ausgleich die Verwirrung der Gauchos zu einem wunderbaren Tor nutzen konnte. Schon verloren schien der Ball nach einer Flanke, doch er setzte nach, umspielte noch einen Gegenspieler, um den Ball aus 16 Metern in den Winkel zu jagen. Die Saudis, inklusive aller Ersatzspieler und Staff-Mitglieder, verloren sich sogleich in einer Jubeltraube, auf der Tribüne schrien etwa 10.000 mitgereiste Fans vor unfassbarem Glück. Nur einer blieb cool.
Coach Renard wählt das richtige System
Womit wir bei Hervé Renard angekommen wären, dem Trainer dieser Mannschaft. Der verwegen gut aussehende Franzose, weit gereist, turnierprobt durch zahlreiche Auftritte als Nationalcoach bei Africa Cups und Weltmeisterschaft, hatte sein Team weltmeisterlich auf den Titelkandidaten eingestellt. Dabei wählte der 54-Jährige zur Abwehr der argentinischen Angriffswellen ein 4-1-4-1, das in der ersten Hälfte noch ziemlich wacklig zu sein schien, aber bei der Verteidigung des Vorsprungs von Minute zu Minute eine immer bessere Wirkung zeigte. Wobei natürlich die Leidenschaft und Laufbereitschaft der Saudis die Basis für den Coup war. Insofern böte es sich an, noch über weitere Helden im Detail zu berichten, zum Beispiel über den fehlerlosen Torhüter Mohammed al-Owais, doch muss an dieser Stelle auch Messi mit in die Berichterstattung einbezogen werden.

Der 35-Jährige erweckte vor über 88.000 Zuschauern im Lusail Stadium zunächst den Eindruck, als habe er richtig Lust und Laune auf dieses Spiel, agierte, ohne in Manndeckung genommen zu werden, im zentralen offensiven Mittelfeld, ließ sich aber auch schon in der ersten Hälfte anmerken, dass er mit der Leistung der Teamkollegen nicht vollends zufrieden war. Und spätestens in Durchgang zwei wurden Erinnerungen wach an all seine missratenen Auftritte mit der Albiceleste.
Hängende Schultern ohne, ziellose Dribblings mit Ball, bezeichnend war dabei eine Szene aus der unangebracht langen, 14 Minuten dauernden Nachspielzeit, als sich der Starspieler von Paris Saint-Germain im gegnerischen Strafraum an einem Zaubertor versuchte, sich samt Ball mehrmals drehte, von da nach dort und wieder zurück, besser postierte Mitspieler aus dem Blick und schließlich auch den Ball verlor.

