Berlin-Ein besseres Zugpferd als Patrick Esume kann es für American Football in Deutschland kaum geben. Der frühere Spieler, der es als Coach bis in die National Football League (NFL) in den USA schaffte, hat dem Sport als Moderator von „ran NFL“ zu einem Millionenpublikum verholfen: auf lockere Art, mit Hamburger Schnodderschnauze, gleichzeitig scharf analytisch. Hinter Fußball und Formel 1 hat sich American Football als quotenträchtiges Liveformat etabliert. Nun ist Esume, 46, mit dem früheren ProSieben/Sat.1-Sportchef Zeljko Karajica, 49, dabei, eine professionelle kontinentale Liga aufzubauen: die European League of Football (ELF). Starttermin: Juni 2021. Esume wird Sportdirektor, Karajica Geschäftsführer. Die Saison soll in der NFL-Pause von Juni bis September nach NFL-Regeln gespielt werden – unabhängig vom American Football Verband Deutschland (AFVD) und der Bundesliga (GFL). 13 Jahre, nachdem in der NFL Europe ein vergleichbares Projekt scheiterte, plant Esume wöchentliche Übertragungen der Spitzenspiele im Fernsehen.
Berliner Zeitung: Herr Esume, seit Sie Ihren ELF-Plan vorgestellt haben, gab es Gegenwind von Vereinen und Verband. Für die europäische Topliga brauchen Sie aber die Vereine, oder?
Patrick Esume: Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob Gegenwind von den Vereinen oder vom Verband kommt. Wir brauchen keine Vereine, wir sind ja kein Verbandssport. Wir sind eine Liga, die professionalisiert arbeitet und nicht auf der Vereinsstruktur basiert.
Aber die Spieler, Ihre Ressourcen, kommen aus den Vereinen.
Die Spieler spielen in gemeinnützigen Vereinen. Sie haben jetzt die Möglichkeit zu sagen, ich möchte nicht hobbymäßig im Verein spielen, sondern professioneller auf nächsthöherer Ebene. Das ist doch legitim. Die Vereine besitzen ja die Spieler nicht. Das sind Mitglieder, die kaufen sich ihre eigenen Schuhe, Helme, Shoulderpads. Aber natürlich brauchen wir den deutschen Amateurfootball. Wir können uns nicht völlig von der Basis loskoppeln, klar.
Das erste NFL-Sonntagsspiel dieser Saison hatte bis zu 1,13 Millionen TV-Zuschauer. Nun soll es für die neue ELF einen festen, wöchentlichen Sendeplatz im Fernsehen geben?
Wenn man sich im Football umhört, hört man überall: unzufriedenheit. Die wird immer größer. Ich bin 28 Jahre in dem Sport unterwegs und kann nur das tun, wovon ich glaube, dass es diesen Sport nach vorne bringt. Veränderung von innen ist gerade im Gang und nennt sich Re-Start 21. Dazu gibt es die Möglichkeit, das Ganze von außen zu ändern, indem du dich davon unabhängig machst. Die Einschaltquoten sind jetzt so hoch wie nie, die mediale Aufmerksamkeit ist da. Die Leute wollen Football sehen.

Beispiel Berlin: Das neue Franchise draftet die besten Spieler der Adler, Rebels, Bullets oder Potsdam Royals. Die sind sicher nicht froh, dass ihre Besten gehen.
Das kann ich durchaus verstehen. Aber dann muss man fragen, warum gehen Spieler weg? Sie spielen halt vor 1000 Zuschauern, müssen Mitgliedsbeitrag bezahlen, Lizenzgebühr, finden nirgendwo statt, außer in einem Livestream, den 100 Leute gucken. Das ist nicht so groß, wie es sein könnte.
Städte wie Berlin oder Hamburg haben wohl genug gute Spieler. Aber wie ist es etwa in Ingolstadt, wenn die Franchise-Roaster 50 Mann stark sind?
Genügend Talente hat Deutschland. Mit 65.000 Mitgliedern sind wir die größte Football-Nation in Europa. Ich glaube, dass reichlich Potenzial noch auf der Straße herumläuft. Ich gehe durch die Stadt, hier in Hamburg, und sehe Kinder, die gar keinen Sport machen, weil sie einfach zu groß und gigantisch sind. Zu kräftig für Basketball. Ich sage, mmh, der sollte eigentlich Football spielen. Endet der dann tatsächlich im Verein? Wenn ja, dann steht er irgendwo auf einer Wiese. Was kann sein Ziel sein? Mal am Samstag oder am Sonntag im Fernsehen stattzufinden, in einem Stadion einzulaufen, bejubelt zu werden. Das sind ja die Träume, die jeder Spieler hat. Aber im Moment gibt es keinen Anreiz in Europa, sondern nur auf der anderen Seite des großen Wassers.
Jugendarbeit macht der Amateursport. Gibt es einen Traineraustausch?
Traineraus- und -fortbildung ist natürlich ein Leichtes, wenn es eine lose Zusammenarbeit mit der NFL gibt. Es ist geplant, Fortbildungen oder mal eine Coaches-Clinic auszurichten. Für die Jugend sind Sommercamps geplant. Wir wollen mit den Local Heroes der Franchises die Kids dazu bewegen, Sport zu machen. Die werden dann, wenn sie aus diesen Camps kommen, in die Vereine laufen. Was ja auch erwünscht ist. Es ist immer einfach, uns vorzuwerfen, ihr tut nichts für die Jugend. Aber wann gab es die letzte Coaches-Clinic, die vom AFVD organisiert wurde? Wann war das letzte AFVD-Jugendcamp, das letzte Herren-Camp? Wann hat die Nationalmannschaft das letzte Mal gespielt?
2008.
Der AFVD hat 65.000 zahlende Mitglieder und bestimmt ein gutes sechsstelliges Budget. Wo geht das ganze Geld hin? Wenn man mal recherchiert, findet man ein Gerichtsurteil, wo der Verband Sportförderung beantragt und sie nicht bekommen hat. Mit der Begründung, Moment ..., Verwaltungsgericht Köln, 2015: Weil der AFVD umfangreiche Geldmittel für Zwecke der Vergütung seines Präsidiums und seines Rechtsvertreters zur Verfügung stellt. Das heißt, das Geld landet …
… nicht in der Jugendarbeit. Eigentlich müssten im American Football alle Juhu schreien, dass es eine Alternative gibt.
Ich würde auch sagen, dass 80 Prozent Juhu schreien. Aber davon haben 79 Prozent Angst vor rechtlichen Repressalien für ihren Verein.
Sie sind auf jeden Fall der erste Sportdirektor, der auf Video eine Choreo zu Michael Jacksons „Thriller“ tanzt.
Auch wenn dieser Titel so heißt, ich fühl mich jetzt nicht wie ein Commissioner. Ich bin immer noch derselbe wie vorher. Ein Mensch, der den Football auf allen Ebenen liebt: als Fan, als Trainer und als Spieler. Das ist der einzige Grund, warum ich das mit der ELF mache.

