Während sich Konstantinos Mavropanos seines Trikots entledigte und in Richtung der ausflippenden Stuttgarter Fans sprintete, malträtierte Oliver Christensen mit zwei kräftigen Tritten den linken Pfosten des Gehäuses. Von dort war der Ball nach der letzten Aktion dieses Spiels ins Tor gegangen und ließ alle in dunkelblau gekleideten Spieler bedröppelt, teilweise stark verärgert zurück. Schien Hertha BSC wenige Sekunden vor dem Ende der siebenminütigen Nachspielzeit und diesem wuchtigen Kopfball des Griechen zumindest mit einem Punkt im Gepäck die Heimreise in Richtung Berlin antreten zu können, so stand man nach dieser 1:2-Niederlage plötzlich ohne etwas Zählbares da. Den Frust darüber verarbeitete jeder für sich, ob nun mit Tritten gegen den Pfosten oder deutlichen Worten, wie denen von Jean-Paul Boetius. „Wir sind sehr, sehr sauer, denn wir wollten unbedingt gewinnen und die drei Zähler holen. Ein Spiel geht bis zum Abpfiff“, sagte der Mittelfeldspieler.
Niederlagen und Unentschieden in sechs Spielen mit späten Gegentoren
Vermutlich hätte er das so gar nicht thematisiert, wäre da nicht ein offenbar grundsätzliches Problem dieser Mannschaft zu erkennen: Das Pokalspiel bei Eintracht Braunschweig eingerechnet, hat Hertha BSC in dieser Saison bislang in sechs Partien späte Gegentore kassiert, die entweder zum Pokal-Aus, zu vermeidbaren Unentschieden (Leverkusen, Mainz, Freiburg) oder Niederlagen gegen Bremen und jetzt eben gegen Stuttgart führten. „Die letzten zehn Minuten sind zu oft nicht gut genug, das müssen wir ehrlich sagen. Wenn es kurz vor Schluss 1:1 steht, müssen wir smarter und fokussierter agieren“, sagte Oliver Christensen. „Wir haben zu viel zugelassen, in diesen entscheidenden Momenten und Phasen müssen wir als Team einfach besser sein.“ Seine Vorderleute konnten sich in Stuttgart bei ihm bedanken, dass das zweite Gegentor nicht schon kurz zuvor in Situationen gefallen war, bei denen der Torwart glänzend parierte.
Auf der Pressekonferenz wurde genau das von Sandro Schwarz angesprochen. Die Ballverluste seiner Mannschaft, in einer Phase, in der es nicht nur darum geht, noch den eigenen Siegtreffer zu erzielen, sondern auch das Unentschieden abzusichern, bezeichnete der Hertha-Trainer gar als naiv. „Wenn du nicht in Führung gehst, musst du zumindest dafür sorgen, dass du auswärts einen Punkt mitnimmst. Gerade wenn es in die Nachspielzeit geht, musst du die Situationen sauber zu Ende spielen“, sagte Schwarz in ernstem Ton und sprach auch die nötige Cleverness im Zusammenhang mit dem späten Gegentor an.
Ein Gegentor, dass Hertha BSC am Dienstagabend auf den Relegationsplatz abrutschen ließ. Lediglich elf Punkte hat die Mannschaft auf dem Konto. So schlecht war Hertha nach 14 Spieltagen zuletzt in der Saison 2009/10, als es am Ende in die Zweite Liga ging. Selbst in der bislang letzten Abstiegssaison 2011/12 hatten die Blau-Weißen zum gleichen Zeitpunkt 18 Zähler auf dem Konto.
Im Rausch der im Vergleich zur Vorsaison diesmal guten Laune, dem positiven Zuspruch der Fans und der stets zu erkennenden Moral nach Rückständen, scheint der Blick auf den neuerlichen sportlichen Ernst der Lage etwas benebelt zu sein. Sechs Spiele hat die Mannschaft von Sandro Schwarz lediglich mit einem Tor Unterschied verloren. Das sorgte für Schulterklopfer und Zuspruch nach den Aufholjagden etwa bei den 2:3-Niederlagen gegen die Spitzenteams RB Leipzig und jüngst gegen den FC Bayern München. Solche Spielverläufe sprechen erst mal für eine intakte Atmosphäre innerhalb des Teams, das nicht in sich zusammenfällt. Aber: Beide Male war Hertha eben auch 0:3 in Rückstand geraten und hatte sich dabei zu viele Fehler geleistet.
Hertha BSC wähnte sich weiter, als man tatsächlich war
Vielleicht hat der Mannschaft auch die zwischenzeitliche Serie von fünf Partien ohne Niederlage, aber auch nur einem Sieg, zwischen dem fünften und neunten Spieltag etwas vorgetäuscht. Gut möglich, dass man sich zu diesem Zeitpunkt weiter wähnte, als man es tatsächlich war. Immerhin war ja auch der Abstand auf die lange Zeit schwächelnden Teams aus Leverkusen, Bochum, Stuttgart und Schalke in dieser Phase komfortabel.

