Berlin-Vor einigen Tagen unterhielt ich mich mit altgedienten Fans, die Hertha BSC seit Jahrzehnten die Treue halten. Es ging um die Frage, warum Hertha keine Anführer besitzt, die im Abstiegskampf vorangehen, die das Zeug zum Publikumsliebling haben und auch die Ostkurve in Wallung bringen. Einer, der gute Voraussetzungen besaß, verlässt nach Saisonschluss den Verein: Der zweimalige Nationalspieler Niklas Stark. Doch dazu später.
Ich fragte die Fans, wann sie das letzte Mal vor allem wegen eines herausragenden Spielers ins Olympiastadion gegangen waren? Wen sie vielleicht sogar anhimmelten und verehrten? Es fielen folgende Namen: Marcelinho, Marko Pantelic, Zecke Neuendorf und auch Ronny. Diese Hitliste hat mich nicht überrascht. Auch ich als Reporter war oft begeistert von den Auftritten der genannten Profis, die mit ihrem Können, ihren ganz speziellen Fähigkeiten, auch ihrer Exzentrik und ihrem Charisma die Mannschaft mitrissen. Die Geschichte besitzt nur einen Haken: Die große Zeit all dieser Profis liegt lange zurück. Vergleichbar starke Typen hat Hertha BSC schon lange nicht mehr in seinen Reihen.
Es begann mit dem Abgang von Fabian Lustenberger
Für mich begann der Mangel an echten Kerlen auf dem Platz mit dem Weggang des Schweizers Fabian Lustenberger im Mai 2019. Der ehemalige Kapitän war kein lauter Typ, eher ein leiser Anführer: zuverlässig, einsatzstark, eloquent, bodenständig und vereinstreu. „Lusti“ kam in zwölf Jahren auf 220 Erstligaeinsätze und 51 Spiele in der Zweiten Liga. Vor der Spielzeit 2020/21 verließen die Anführertypen Vedad Ibisevic, Salomon Kalou und Per Skjelbred den Verein – ein echter Aderlass. Sie gehörten zu einer wichtigen Achse in der Mannschaft, sorgten für Stabilität, Tore und Kampfkraft. Dieses Trio konnte nie adäquat ersetzt werden, was bis heute Auswirkungen hat.
Nun verlässt mit dem Abwehrmann Niklas Stark, der erst in Berlin zum Nationalspieler aufstieg, ein Profi den Verein, der das Zeug zu einer wichtigen Figur besaß: ein meinungsstarker Typ, der sich auch nach vielen Niederlagen als einer von wenigen Profis den Medien stellte, ein smarter Profi mit Willenskraft. Doch zuletzt konnten beide Seiten – Spieler und Verein – nicht mehr zueinanderfinden. Hertha hatte sich noch mehr Führungsqualitäten von Stark in schwierigen Situationen versprochen, Stark wiederum war enttäuscht von der miesen sportlichen Entwicklung des Teams, das sich seit 2019 mehr oder weniger im Abstiegskampf befindet, statt in den oft vollmundig angekündigten oberen Tabellenregionen. Zudem vermisste er ab und an auch die Rückendeckung der sportlichen Leitung. So wird die einst so hoffnungsvoll begonnene Liaison nach sieben Jahren enden. Auch andere Profis werden den Verein verlassen.
Hertha-Transfers verfehlen ihre beabsichtigte Wirkung
Hertha steuert im Sommer erneut auf einen personellen Umbruch zu. Wie heftig der ausfällt, richtet sich danach, in welcher Liga man antreten wird. Auffällig für mich ist, dass unter den jüngsten Transfers keine Persönlichkeit mit Anführerqualitäten zu finden ist. Der dafür vorgesehene Kevin-Prince Boateng spielt sportlich keine Rolle mehr. Der feine Fußballer Stevan Jovetic plagt sich permanent mit Verletzungen herum (wie auch auf seinen Stationen zuvor), Myziane Maolida bleibt unsichtbar und scheint untauglich für den Abstiegskampf zu sein. Der Südkoreaner Lee zeigt sich bislang für die Bundesliga nicht robust genug und der als Stark-Nachfolger verpflichtete Marc-Oliver Kempf bildet bislang eher ein Sicherheitsrisiko, statt wie ein Stabilisator in der Abwehr zu wirken.
