Thomas Müller sah draußen unter der Sonne auf dem beschaulichen Grün der Golfanlage Eichenried nicht annähernd so unfroh aus wie die Spielkameraden aus der Nationalmannschaft am Abend zuvor im faden Licht der Schalker Arena, Kabinentrakt, zweites Untergeschoss. Beim Promi-Golf gegen den alten Kumpel Gareth Bale witzelte der (Ex?-)Nationalspieler, er fühle sich „wie 40, aber im Kopf wie 25“.
Müller, in Wahrheit bald 34, war von Bundestrainer Hansi Flick weder im März noch im Juni zu den Länderspielen in seiner bevorzugten Sportart Fußball geladen worden. Eigentlich hatte Flick dabei viel Frisch anrühren wollen. Hatte massig junge Kerle eingeladen, Taktik und Personal fröhlich in einen großen Suppentopf geschüttet und mehrfach mit dem großen Kochlöffel durchgerührt. Mit bekanntermaßen ungenießbarem Ergebnis.
Das Fehlen von Serge Gnabry, Karim Adeyemi und Timo Werner ist spürbar
So kommt es, dass ältere Herrschaften wie Thomas Müller und Torwart Manuel Neuer, beim EM-Turnier 2024 längst 38, zwar gar nicht gespielt haben und dennoch zu Siegern des Sommers geworden sind. Und zwar gemeinsam mit dem wegen des mutmaßlichen Tatbestand eines Phlegmas nicht nominierten Niklas Süle sowie den aus gesundheitlichen Gründen unpässlichen Serge Gnabry, Karim Adeyemi und Timo Werner.
Das Fehlen dieses Trios hat fußballfachlich dazu beigetragen, dass das DFB-Team drei Länderspiele mit zwei Niederlagen und einem Unentschieden produzierte, in denen schnelle Tiefenläufe nicht zu identifizieren waren. Der Grund: Es gab schlicht keine Leute vorn, die schnell genug rennen können, um einen Steilpass zu erlaufen. Das gibt dem deutschen Spiel eine vorhersehbare Statik.
Die Verbannung von Süle hatte Flick mit einer Botschaft verknüpft. Denn gemeinsam mit Sportdirektor Rudi Völler diagnostiziert der Bundestrainer eine schrumpfende intrinsische Motivation der derzeitigen Generation deutscher Nationalspieler. Die Sache mit Süle sollte nicht nur der Dortmunder Profi als Schuss vor den Bug kapieren, sondern auch die anderen. Flick: „Ich finde, jeder Nationalspieler sollte den Anspruch haben, das Maximum aus seinem Potenzial zu machen. Mit weniger durchkommen – das entspricht nicht meiner Mentalität.“
Offenbar ist die Grußadresse nicht dort angekommen, wo sie ankommen sollte. Andernfalls wäre es nicht zu den multiplen Nachlässigkeiten gekommen, die Ukrainer, Polen und Kolumbianer für sich zu nutzen wussten. Und ergo rückt der ausgewiesene Mentalitätsspieler Thomas Müller auf seine alten Tage womöglich wieder auf einen Kaderplatz, wiewohl der 121-fache Nationalspieler ehrlicherweise bei den vier vergangenen großen Turnieren 2016, 2018, 2021 und 2022 keine erkennbare Spur hinterlassen hat.
Gleiches gilt bei notwendiger kritischer Betrachtung auch für Manuel Neuer. Dessen Stellvertreter Marc-André ter Stegen hat zwar bereits angekündigt, seinen Platz nach Neuers Genesung nicht freiwillig räumen zu wollen. Gleichwohl wusste der 31-Jährige nach einer Top-Saison in Barcelona bei seinen Einsätzen in Polen und gegen Kolumbien nicht vollumfänglich zu überzeugen. Haften geblieben ist vor allem, dass ter Stegen gegen Kolumbien eine Klimaaktivistin stellte, ehe diese sich an den Torpfosten binden konnte.
Flick hätte bei seinen Spielern gern mehr Verlässlichkeit, die Spieler anders herum von ihrem Bundestrainer aber auch. Es gibt zwei Denkschulen. Die eine: Flick sorgt – ähnlich wie Joachim Löw bei der WM 2018 und er selbst 2022 – weiterhin dafür, dass Deutschland ein gutes Stück an Erfolgen vorbeigecoacht wird. Die andere: Der Trainer macht und tut, versucht und irrt, weil es der Mannschaft an Haltung fehlt. Wahrscheinlich stimmt beides.
Wahr ist auch: Die längste Winterpause aller Topligen, die schon die Bundesligaklubs in den internationalen Wettbewerben nicht zu nutzen wussten, hat auch dem Nationalteam nicht gedient. Es wirkte im Juni ausgezehrt, wiewohl im Dezember und Januar die Pause durch das frühe WM-Aus auf fast zwei Monate prolongiert wurde. Von Überbelastung kann also keine Rede sein. Und jetzt? Ist erst einmal wieder Urlaub!
Erster Testspiel-Gegner wird WM-Schreck Japan sein
Die beiden kommenden Gegner am 9. und 12. September in Wolfsburg und in Dortmund könnten dann pikanter kaum aussehen: erst WM-Schreck Japan, dann Vize-Weltmeister Frankreich. Auch wenn der klamme DFB in der Causa Flick sein Anspruchsdenken schon spürbar minimiert hat – zweimal zu verlieren, dürfte verboten sein. Andernfalls könnte die derzeit sanft entschlummerte Taskforce herbeigerufen werden müssen, um die Trainerfrage zu debattieren, die bei der DFB-Präsidiumssitzung an diesem Freitag keine Rolle spielt. Dort geht es in erster Linie ums Abnicken des neuen Grundlagenvertrags mit der Deutschen Fußball-Liga, der dem DFB eine dringend notwendige Kapitalzufuhr bescheren soll.



